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Sexualität: Müllmänner der Evolution

Für manche der schönste Zeitvertreib überhaupt, dient er für andere schlichtweg der Vermehrung. Tatsächlich ist Sex nichts anderes als ein gigantisches Müllabfuhrunternehmen.
Daphnia pulex
Es geht auch ohne Männer. Einige Tierarten vermehren sich parthenogenetisch, also ohne jegliches Zutun des so genannten starken Geschlechts. So bekommen beispielsweise die Weibchen von Fadenwürmern, Muschelkrebsen, Schlupfwespen oder Wasserflöhen in der Regel scharenweise Kinder aus unbefruchteten Eiern. Das funktioniert prima und hat den Vorteil, dass die Mutter sämtliche Gene an alle ihre Kinder weiterreichen kann.

Wozu also überhaupt den Umstand der Partnersuche und Paarung? Dem weiblichen Part scheint Sex doch nur Nachteile zu bringen. Schließlich kann die Mutter bei der sexuellen Vermehrung nur einen Teil ihrer Gene an die gemeinsamen Nachkommen weitergeben – der andere Teil stammt in diesem Fall vom Vater. Irgendeinen Vorteil muss die geschlechtliche Fortpflanzung aber auch den Weibchen bringen, sonst gäbe es schon lange keinen Sex mehr auf der Welt.

Der einzige Grund für Sexualität ist nach der gängigen Lehrmeinung, dass dabei das genetische Material regelmäßig gründlich durchgemischt und so die Evolution vorangetrieben wird. Denn sowohl die Mutter als auch der Vater haben bei dieser Vermehrungstaktik die Möglichkeit, der Nachkommenschaft ihre besten Gene zu vererben, sodass diese optimal an die aktuellen Lebensbedingungen angepasst ist. Kinder aus asexueller Vermehrung hingegen können lediglich darauf hoffen, dass die Mutter sie auch ohne fremde Unterstützung genetisch schon ganz gut ausstatten wird.

Gleiches gilt umgekehrt: Hat sich einmal ein Fehler ins Erbgut eingeschlichen, der die Fitness des Organismus beeinträchtigen könnte, wird er bei der asexuellen Vermehrung an alle Nachkommen weitergegeben und könnte letztendlich deren Aussterben verursachen. Bei der sexuellen Vermehrung besteht hingegen theoretisch die Möglichkeit, den Fehler auszumerzen, indem der Partner die intakte Version des beschädigten Gens beisteuert.

Daphnia pulex | Die Weibchen der Wasserflöhe (Dapnia pulex) vermehren sich meistens ungeschlechtlich über sich schnell entwickelnde unbefruchtete Eier. Gelegentlich treten aber auch Zwergmännchen auf. Dann legen die Weibchen Dauereier, die befruchtet werden und sich langsam entwickeln.
Genau dies geschieht tatsächlich, wie Susanne Paland und Michael Lynch von der Universität von Indiana herausfanden. Die beiden Wissenschaftler arbeiteten mit Wasserflöhen (Daphnia pulex), da sich diese Krebstiere über mehrere Generationen hinweg parthenogenetisch vermehren – das Erbgut wird also über einen langen Zeitraum hinweg nicht durch das Zutun männlicher Tiere verändert.

Paland und Lynn verglichen nun das Genom von 14 Wasserfloh-Populationen, die sich sexuell paaren, mit dem von 14 Daphnien-Gemeinschaften, die sich seit Generationen ungeschlechtlich vermehrt hatten. Dabei zeigte sich, dass die ungeschlechtlich entstandenen Daphnien viermal schneller negative Mutationen angehäuft hatten als ihre Artgenossen sexueller Abstammung. Die Populationen, die sich parthenogenetisch vermehrten, schleppten dementsprechend wesentlich mehr genetischen Müll mit sich herum als die Daphnien, die sich die Mühe machten, einen Geschlechtspartner zu finden.

"Letztlich wüssten wir gerne, wie lange eine Art auf Sex verzichten kann ohne dabei auszusterben"
(Michael Lynch)
Demnach geht es zwar ohne Männer, aber es bringt den Müttern nur kurzfristig einen Vorteil, ihre Gene auf ungeschlechtlichem Weg vollständig an die Kinder weiterzugeben; auf lange Sicht sammelt sich jedoch zu viel Ausschuss an. Dann lohnt sich der Aufwand der Partnersuche und das Zugeständnis an den Partner, dass er auch ein paar Gene zur Nachkommenschaft beisteuern darf – schließlich übernimmt der Vater damit auch die Aufgabe eines Müllmanns und hilft dabei, beschädigte Gene zu beseitigen.

"Letztlich wüssten wir gerne," betont Lynch, "wie lange eine Art auf Sex verzichten kann ohne dabei auszusterben."

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