Nahost-Konflikt: »Vögel gehören keinem Land«
Zu den weltweit bedeutendsten Routen des Vogelzugs gehört das Jordantal. Rastende Vögel laufen jedoch Gefahr, sich durch Pestizide zu vergiften. Die Chemikalien sollen Ratten und Mäuse bekämpfen, schaden aber den Greifvögeln, die die Nager fressen. Yossi Leshem hat deshalb auf Schleiereulen als biologische Schädlingsbekämpfer gesetzt. Sein Projekt zum Schutz der Vögel betreut er zusammen mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus Jordanien und den palästinensischen Gebieten. Im Gespräch erzählt er, wie die Zusammenarbeit im internationalen Team in Krisenzeiten funktioniert und wie Naturschutz zur Friedensstiftung beitragen kann.
»RiffReporter«: Seit vielen Jahren engagieren Sie sich für die Verständigung zwischen Israelis, Palästinensern und Jordaniern durch den gemeinsamen Schutz der Natur. Warum glauben Sie, dass ausgerechnet Vögel Friedensstifter sein können?
Yossi Leshem: Vögel symbolisieren Freiheit und Grenzenlosigkeit wie kaum ein anderes Lebewesen. Sie gehören keinem Land – sie wandern zwischen Ländern und sogar Kontinenten hin und her und sind daher ein quasi fleischgewordenes Symbol für den Frieden. Aus diesem Grund haben wir unsere Zusammenarbeit zwischen Israelis, Jordaniern und Palästinensern seit ihrem Beginn vor einem Vierteljahrhundert unter das Motto gestellt: »Zugvögel kennen keine Grenzen«. Warum sollten wir, die wir Vögel schützen, also an Grenzen Halt machen?
Sie haben Landwirten in Israel, Jordanien und den palästinensischen Gebieten gezeigt, dass man durch das Bereitstellen von Nistkästen für die Eulen Nagetiere auf natürliche Weise bekämpfen und deutlich weniger Agrarchemikalien versprühen kann. Wie ist es dazu gekommen, und wo steht das Projekt heute?
Wir haben das zunächst nur auf israelischer Seite gemacht und rasch erkannt, dass es nicht ausreicht, die Pestizide nur auf einer Seite des Jordans zu reduzieren. Die Eulen jagen natürlich auf beiden Seiten der Grenze und auch im palästinensischen Westjordanland. Wir haben dann nach Partnern gesucht. Nur weil wir Menschen wie meinen jordanischen Partner General Mansour Abu Rashid gefunden haben, konnten wir die Idee weitertragen und zum Erfolg machen. Seit wir 2002 die Zusammenarbeit mit Jordanien und dann 2007 mit den Palästinensern begonnen haben, haben wir in jeder Situation daran festgehalten. Und politische Krisen gab es eine Menge. Nur im vergangenen Jahr konnten wir uns wegen Covid-19 nicht mehr treffen. Also haben wir über Zoom weitergemacht.
Vogelschutz im Jordantal
Das Jordantal, auch bekannt als Bet-Shean-Tal, liegt eine Autostunde von Bethlehem entfernt zwischen Israel, Jordanien und dem palästinensischen Westjordanland. Das Gebiet ist Teil des Rift Valleys, einer der weltweit bedeutendsten Routen des Vogelzugs: Millionen Vögel aus Europa, Russland und Zentralasien nutzen diese Region als Zwischenstopp zum Auftanken auf dem Weg in ihre afrikanischen Winterquartiere und zurück. Hunderte vom Aussterben bedrohte Greifvögel wie Schelladler, Kaiseradler, Merlin, Rohr- und Kornweihen überwintern hier.
In der Vergangenheit starben die Tiere jedoch immer wieder massenhaft auf der Jagd nach Nagetieren. Grund dafür war der großflächige Einsatz von Pestiziden zur Bekämpfung von Ratten und Mäusen. Diese wurden für den Ausfall von bis zu 35 Prozent der Weizenernte verantwortlich gemacht. Neben den Kleintieren verseuchten die Chemikalien auch die Böden und das Grundwasser – und vergifteten indirekt die Zugvögel.
Um die Belastung durch die Chemikalien zu reduzieren, setzte der emeritierte Professor an der Universität Tel Aviv Yossi Leshem ab Mitte der 1980er Jahre auf biologische Schädlingsbekämpfung: Die im Jordantal beheimateten Schleiereulenpaare fressen 2000 bis 6000 Nagetiere im Jahr. Die Population der Schleiereulen im Jordantal war zu der Zeit relativ gering, weil es an geeigneten Brutplätzen mangelte. Daraufhin stellten der der Vogelschützer Leshem und seine Mitstreiterinnen und Mitstreitern im grenznahen Kibbutz Sde Elyahu die ersten Nistkästen für Schleiereulen auf – zum Teil gefertigt aus ehemaligen Munitonsboxen der Armee. Später schlossen sich Partnerinnen und Partner in Jordanien und dem palästinensischen Westjordanland an. Das Programm ist mittlerweile eines der erfolgreichsten Programme der biologischen Schädlingsbekämpfung weltweit.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit in Zeiten der Krise wie jetzt?
Mit Jordanien funktioniert es noch gut, die Palästinenser machen wegen der politischen Situation zur Zeit allein weiter und nehmen nicht an gemeinsamen Treffen teil wie in der Vergangenheit. In diesem Jahr hat aber auch Marokko entschieden, dem Projekt beizutreten, und schon seit 2015 machen Zypern und Griechenland mit.
Kernidee des Projekts ist ja der Vogelschutz. War es von Anfang an auch ein Ziel, durch gemeinsame Aktivitäten auf den verschiedenen Seiten der Grenze zum gegenseitigen Verständnis beizutragen und damit ein Fundament gegen Hass und Feindschaft zu legen?
Natürlich. Wir haben zwei gleich wichtige Ziele. Wir wollen einerseits einen Beitrag zum Natur- und Umweltschutz leisten: Heute stehen an vielen Orten in Israel, Jordanien und im Westjordanland Nistkästen – mehr als 500 insgesamt. Regional konnten wir den Einsatz von Pestiziden um die Hälfte senken. Das hilft sehr vielen Zugvögeln bei uns, in Jordanien, bei den Palästinensern und in Europa, wo sie brüten. Aber genauso wichtig ist der menschliche Aspekt. Wir haben enge Verbindungen zwischen muslimischen und jüdischen Bauern und genauso zwischen Naturschützern und Forschern auf allen Seiten der Grenze geschaffen.
»Auch Jimmy Carter war sich sicher, dass Vögel den Job hervorragend beherrschen, Menschen zusammenzubringen«
Wirft der aktuelle Konflikt die Bemühungen ihres Projekts wieder zurück, oder sind die Bindungen inzwischen stark genug, um so etwas auszuhalten?
Die politische Situation macht die tägliche Arbeit und Zusammenarbeit sehr schwierig. Gerade für unsere palästinensischen Freunde. Wir haben deshalb mit Alexander Roulin aus der Schweiz einen Vertreter eines neutralen Staates einbezogen, mit dem die Palästinenser leichter kommunizieren und agieren können als mit uns.
Sogar der Papst hat Sie schon eingeladen, um Ihre Initiative vorzustellen.
Schon die Umstände unseres Besuchs waren sehr symbolisch. Papst Franziskus empfing uns nämlich am 11. Mai: Für mich – einen Juden – war das der Schabbat, und für General Mansour und unseren palästinensischen Kollegen, dessen Namen ich zu seinem Schutz nicht nenne, fiel das Treffen in die Fastenzeit des Ramadan. Der Papst ermunterte uns, weiterzumachen und sagte, dass dies der Weg sei, um Konflikte zu lösen – mit der Natur und durch ihren Schutz.
Auch der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter hat ihre Arbeit einmal als einen der wenigen Lichtblicke bezeichnet, die er im Nahen Osten ausgemacht habe. Wie kam es dazu?
Ich lud Jimmy Carter ein, als er 2005 als Vorsitzender seiner Stiftung nach Jericho kam, um mit Jassir Arafat zu sprechen. Ich wusste, dass er ein begeisterter Twitcher war.
Ein Vogelbeobachter.
Ja genau. Der US-Botschafter sagte mir dann, dass Carter keine Zeit habe, also besorgte ich mir seine private E-Mail. Und siehe da. Morgens um halb sechs fand sich ein Zeitfenster, und wir haben gemeinsam Vögel beringt und unsere Kooperationsprojekte vorgestellt. Auch Carter war sich sicher, dass Vögel den Job hervorragend beherrschen, Menschen zusammenzubringen.
»Der Frieden wird letztlich von Staaten und Politikern gemacht. Und da ist das Versagen im Nahen Osten kolossal«
Das Eulenprojekt ist nicht das einzige, bei dem Sie den Vogelschutz auch als Mittel der Verständigung nutzen. Welche Initiativen gibt es noch?
In der Vergangenheit haben wir hunderte Schüler aus Jordanien, Israel und den Palästinensergebieten miteinander in Kontakt gebracht. Wir haben ihnen Computer gegeben, mit denen sie die Zugwege besenderter Störche – übrigens deutsche Vögel – über ihre Region verfolgen konnten. Auch Treffen zwischen den Schülern haben wir organisiert. Heute funktioniert das leider nicht mehr. Palästinenser und Jordanier haben auch zehn Jahre lang an unserem Marathon zum Schutz der Kraniche im Hula-Tal teilgenommen, zusammen mit Israelis. Und vor zwei Jahren gab es ein gemeinsames Seminar über Mauersegler mit den Palästinensern. In Bethlehem gibt es jetzt in der Nähe der Geburtskirche Nistkästen. Jetzt brüten sie dort, genauso wie an der Klagemauer in Jerusalem.
Während wir miteinander sprechen, gehen bei Ihnen zahlreiche Raketen aus dem Gaza-Streifen nieder. Was überzeugt Sie in Stunden wie diesen, dass Frieden im Nahen Osten möglich ist?
Bis vor wenigen Stunden war der Nachthimmel hier voll mit Raketen und Abwehrraketen. Eine riesige Zahl, überall. Ich bin nicht naiv. Ich bin 74 Jahre alt, ich habe den Sechstagekrieg, den Abnutzungskrieg, den Jom-Kippur-Krieg und den Libanonkrieg mitgemacht und bin Oberstleutnant der Luftwaffenreserve. Durch diese Erfahrungen habe ich erkannt, dass man mit Gewalt nichts erreicht! Es wird nur Blut vergossen, es werden nur Hunderte von Milliarden Dollar für Kriege verschwendet statt für Forschung, Umweltschutz und Bildung eingesetzt. Die einzige Lösung ist also die Kooperation. Mein jordanischer Partner, General Mansour, kämpfte 20 Jahre lang mit Israel und wurde zweimal verwundet. Genau wie ich hat er erkannt, dass Frieden der einzige Weg ist. Wir tragen natürlich nur einen sehr kleinen Teil dazu bei, denn der Frieden wird letztlich von Staaten und Politikern gemacht. Und da ist das Versagen im Nahen Osten kolossal.
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