Evolutive Innovationen: Nasenlochrallye in der Kieferkurve
Ganz ohne Nasenlöcher wäre Atmen schon schwierig - fehlten zudem auch noch Verbindungen zur Luftröhre, wäre irgendetwas ganz blöd geplant. Ein Lob dem Planer, denn der musste ganz schön improvisieren.
Stellen wir uns mal kurz die Evolution als Schönheitschirurgen mit einer Mission vor. Er – oder sie, jedenfalls Dr. E. – hatte im Laufe der Jahrmillionen einiges umzumodeln und zu optimieren, bis aus einem glibberigen Altfisch, dem Stammvater aller Landwirbeltiere, irgendwann ein properer Mensch entstanden ist. Nach welchen ästhetischen Gesichtspunkten unser Doktor dabei vorging wäre diskussionswürdig – es gibt ja auch schöne Fische und eher unansehnliche Homo-sapiens-Exemplare.
Aber nennen wir doch den Menschen Krone der Schöpfung und sehen in ihm das von Doc E. angestrebte Idealmodell – das Endziel seines Masterplans, als er sich vor einer knappen halben Milliarde Jahre einen Fisch vors Messer holte und anfing zu modellieren. Beim Vergleich von Ausgangsmaterial (dem ältesten fischigen Landwirbeltierahnen) und vorläufigem Endzustand (Sie und ich) fallen einige Unterschiede auf. Da wäre etwa die Sache mit den Flossen und Beinen, und dem Wasser und der Landluft. Nehmen wir aber mal einen der weniger auffälligen: Nasenlöcher. Frühe Fische hatten wie moderne zwei Paar. Menschen nur eines. Und genau das zu erklären, fällt Wissenschaftlern, die in der Evolution eben etwas anderes sehen als einen Schönheitschirurgen, schwerer als die Umwandlung der an Land eher unpraktischen Flossen und Kiemen. Die Nasenlochfrage ist seit langem eine der umstrittensten unter Kennern und Liebhabern der Wirbeltierevolutions-Historie.
Verwissenschaftlicht ausgedrückt stellt sich dabei weniger die Frage, welches der Nasenlochpaare eines Urfisches – er besaß ein vorderes und ein hinteres Lochduo – zu dem einsamen Einzelpaar des Menschen und aller anderen Landwirbeltiere wurde (es war, so viel ist wohl klar, das vordere). Was geschah aber im Laufe der Evolutionsmodellierung mit dem hinteren?
Vielleicht, so Schädelforscher, wurde dies zu den so genannten Choanen im Gaumen der Landwirbler. Diese internen Nasenlöcher verbinden Naseninnenraum und Mundhöhle – gut so, denn ohne die choanenvermittelte Verbindung zur Lunge wäre reine Nasenatmung nicht möglich. Gestützt wurde die Umwandlungstheorie durch Analysen der Embryonalentwicklung, bei der in jedem Wirbeltierembryo Teile der Evolutionsgeschichte in einem sich entwickelnden Individuum nachvollzogen werden: Offenbar hatten die alten hinteren Nasenlöcher der Fischahnen tatsächlich im Laufe der Evolutions-Jahrmillionen langsam ihren Standort geändert. Kurz die Routenplanung: Sie waren von oberhalb der Mundöffnung irgendwie nach unten, über die Zahnreihe ins Innere der Mundhöhle und auf dem Gaumenknochen dann noch ein ganzes Stück nach hinten gerutscht. Ziemlich abenteuerliche Wanderung.
Zu abenteuerlich und alles Quatsch, sagen andere. Stimmte das Szenario, dann hätte man mittlerweile fossile Übergangsformen zwischen Fischahne und Landvierbeiner finden müssen, bei denen die wandernden Nasenlöcher auf Höhe der Zahnwurzeln inmitten der Zahnreihe auftauchen. Das dabei etwa Eckzähne und Schneidezähne für die Nasenlochpassage Platz gemacht haben müssten, ginge ja vielleicht noch an. Zudem erfordere die Wanderung aber auch radikale Verlegungen von Nervenbahnen im Kiefer: Kaum vorstellbar, das dies alles tatsächlich geschehen ist. Die Choanen müssen, so die Ungläubigen unter den Evolutionsforschern, neu entstanden sein. Und die hinteren Nasenlöcher der Urfische sind im Laufe des Landgangs der Wirbeltiere einfach verschwunden oder vielleicht auch zu Tränendrüsen-Kanälen geworden.
Ohne Min Zhu von der Chinesichen Akademie der Wissenschaften und Per Ahlberg von der Universität in Uppsala hätten sich die Anhänger beider Theoriegebäude vielleicht noch weitere Jahrzehnte befeindet. Nun aber präsentieren die Wissenschaftler stolz einen schlagenden Fossilbeleg: Kenichthys, ein 395 Millionen Jahre altes Fischexemplar aus einer chinesischen Fossillagerstätte. Auf seinem Oberkieferknochen, zwischen den Zähnen fanden sich zwei Lücken – darin je ein "Nasenloch". Kenichthys ist offenbar das lang gesuchte Übergangsexemplar, der Fisch präsentierte sich mit nicht mehr ganz Nasenlöchern und noch nicht ganz Choanen. Die uralte Wanderung der Nasenlöcher ist damit wohl bewiesen, ihre Route belegt.
Zurück zur plastischen Chirurgie: Tatsächlich verschafft die uralte Nasenlochwanderung diesem Gebiet heutzutage durchaus sinnvolle Arbeit. Geht während der embryonalen Entwicklung des Menschen etwas mit dem uralten Programm der Kieferbildung und Wanderungsanleitung der Choanen schief, so bleibt gelegentlich eine charakteristische Lücke im Kiefer-Bereich bis nach der Geburt unverschlossen: Die früher als Hasenscharte bezeichnete Lippen-Kiefer-Gaumenspalte entsteht – ein Programmfehler-Relikt aus alten Fischzeiten unserer Vorläufermodelle.
Durch plastische Chirurgie ist die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte heute gottlob durch ganz reale Schönheitschirurgen recht gut zu behandeln. Doktor E. gibt es indes natürlich nicht. Evolution plant nicht, sie geschieht: Aus allem, was zufällig an Modelländerungen vorkommt, selektiert sich nach und nach Verpatztes vor dem Hintergrund der jeweiligen Umweltanforderungen aus, Gelungenes setzt sich durch. Wäre Evolution aber doch ein planender Chirurgendesigner – man dürfte ihn angesichts einiger offensichtlicher Konstruktionsfehler der derzeitigen Krone der Schöpfung schon manchmal einen Stümper nennen. Einen ziemlich trickreichen allerdings auch.
Aber nennen wir doch den Menschen Krone der Schöpfung und sehen in ihm das von Doc E. angestrebte Idealmodell – das Endziel seines Masterplans, als er sich vor einer knappen halben Milliarde Jahre einen Fisch vors Messer holte und anfing zu modellieren. Beim Vergleich von Ausgangsmaterial (dem ältesten fischigen Landwirbeltierahnen) und vorläufigem Endzustand (Sie und ich) fallen einige Unterschiede auf. Da wäre etwa die Sache mit den Flossen und Beinen, und dem Wasser und der Landluft. Nehmen wir aber mal einen der weniger auffälligen: Nasenlöcher. Frühe Fische hatten wie moderne zwei Paar. Menschen nur eines. Und genau das zu erklären, fällt Wissenschaftlern, die in der Evolution eben etwas anderes sehen als einen Schönheitschirurgen, schwerer als die Umwandlung der an Land eher unpraktischen Flossen und Kiemen. Die Nasenlochfrage ist seit langem eine der umstrittensten unter Kennern und Liebhabern der Wirbeltierevolutions-Historie.
Verwissenschaftlicht ausgedrückt stellt sich dabei weniger die Frage, welches der Nasenlochpaare eines Urfisches – er besaß ein vorderes und ein hinteres Lochduo – zu dem einsamen Einzelpaar des Menschen und aller anderen Landwirbeltiere wurde (es war, so viel ist wohl klar, das vordere). Was geschah aber im Laufe der Evolutionsmodellierung mit dem hinteren?
Vielleicht, so Schädelforscher, wurde dies zu den so genannten Choanen im Gaumen der Landwirbler. Diese internen Nasenlöcher verbinden Naseninnenraum und Mundhöhle – gut so, denn ohne die choanenvermittelte Verbindung zur Lunge wäre reine Nasenatmung nicht möglich. Gestützt wurde die Umwandlungstheorie durch Analysen der Embryonalentwicklung, bei der in jedem Wirbeltierembryo Teile der Evolutionsgeschichte in einem sich entwickelnden Individuum nachvollzogen werden: Offenbar hatten die alten hinteren Nasenlöcher der Fischahnen tatsächlich im Laufe der Evolutions-Jahrmillionen langsam ihren Standort geändert. Kurz die Routenplanung: Sie waren von oberhalb der Mundöffnung irgendwie nach unten, über die Zahnreihe ins Innere der Mundhöhle und auf dem Gaumenknochen dann noch ein ganzes Stück nach hinten gerutscht. Ziemlich abenteuerliche Wanderung.
Zu abenteuerlich und alles Quatsch, sagen andere. Stimmte das Szenario, dann hätte man mittlerweile fossile Übergangsformen zwischen Fischahne und Landvierbeiner finden müssen, bei denen die wandernden Nasenlöcher auf Höhe der Zahnwurzeln inmitten der Zahnreihe auftauchen. Das dabei etwa Eckzähne und Schneidezähne für die Nasenlochpassage Platz gemacht haben müssten, ginge ja vielleicht noch an. Zudem erfordere die Wanderung aber auch radikale Verlegungen von Nervenbahnen im Kiefer: Kaum vorstellbar, das dies alles tatsächlich geschehen ist. Die Choanen müssen, so die Ungläubigen unter den Evolutionsforschern, neu entstanden sein. Und die hinteren Nasenlöcher der Urfische sind im Laufe des Landgangs der Wirbeltiere einfach verschwunden oder vielleicht auch zu Tränendrüsen-Kanälen geworden.
Ohne Min Zhu von der Chinesichen Akademie der Wissenschaften und Per Ahlberg von der Universität in Uppsala hätten sich die Anhänger beider Theoriegebäude vielleicht noch weitere Jahrzehnte befeindet. Nun aber präsentieren die Wissenschaftler stolz einen schlagenden Fossilbeleg: Kenichthys, ein 395 Millionen Jahre altes Fischexemplar aus einer chinesischen Fossillagerstätte. Auf seinem Oberkieferknochen, zwischen den Zähnen fanden sich zwei Lücken – darin je ein "Nasenloch". Kenichthys ist offenbar das lang gesuchte Übergangsexemplar, der Fisch präsentierte sich mit nicht mehr ganz Nasenlöchern und noch nicht ganz Choanen. Die uralte Wanderung der Nasenlöcher ist damit wohl bewiesen, ihre Route belegt.
Zurück zur plastischen Chirurgie: Tatsächlich verschafft die uralte Nasenlochwanderung diesem Gebiet heutzutage durchaus sinnvolle Arbeit. Geht während der embryonalen Entwicklung des Menschen etwas mit dem uralten Programm der Kieferbildung und Wanderungsanleitung der Choanen schief, so bleibt gelegentlich eine charakteristische Lücke im Kiefer-Bereich bis nach der Geburt unverschlossen: Die früher als Hasenscharte bezeichnete Lippen-Kiefer-Gaumenspalte entsteht – ein Programmfehler-Relikt aus alten Fischzeiten unserer Vorläufermodelle.
Durch plastische Chirurgie ist die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte heute gottlob durch ganz reale Schönheitschirurgen recht gut zu behandeln. Doktor E. gibt es indes natürlich nicht. Evolution plant nicht, sie geschieht: Aus allem, was zufällig an Modelländerungen vorkommt, selektiert sich nach und nach Verpatztes vor dem Hintergrund der jeweiligen Umweltanforderungen aus, Gelungenes setzt sich durch. Wäre Evolution aber doch ein planender Chirurgendesigner – man dürfte ihn angesichts einiger offensichtlicher Konstruktionsfehler der derzeitigen Krone der Schöpfung schon manchmal einen Stümper nennen. Einen ziemlich trickreichen allerdings auch.
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