Nickelate: Neuartiger unkonventioneller Supraleiter weckt Hoffnungen

Eine neue Familie von Supraleitern sorgt für Begeisterung in der Festkörperphysik. Nickelhaltige Verbindungen, so genannte Nickelate, leiten elektrischen Strom widerstandsfrei – und zwar bei einer relativ hohen Temperatur von 45 Kelvin (minus 228 Grad Celsius) und ohne äußeren Druck. Ein Team der Southern University of Science and Technology (SUSTech) im chinesischen Shenzhen hat zentrale Merkmale einer solchen Supraleitung in einer dünnen Schicht von Kristallen aus Nickeloxid festgestellt. Es veröffentlichte seine Entdeckung am 17. Februar 2025 im Fachjournal »Nature«.
Der Materialforscher Danfeng Li von der City University of Hong Kong erklärt, warum die Fachwelt große Erwartungen an solche Materialien hat: »Irgendwann könnten wir die kritische Temperatur anheben und sie für Anwendungen nützlicher machen.« Die kritische Temperatur ist eine zentrale Kenngröße für Supraleiter; unterhalb davon verliert der Stoff plötzlich jedweden elektrischen Widerstand.
Nickelate gesellen sich damit zu zwei weiteren, länger bekannten Gruppen von Keramiken, nämlich Cupraten auf Basis von Kupfer sowie eisenbasierten Pniktiden. Sie alle sind unkonventionelle Supraleiter, das heißt, sie funktionieren bei Umgebungsdruck und bei vergleichsweise hohen Temperaturen von bis zu 150 Kelvin (minus 123 Grad Celsius). Die neuen Daten könnten dabei helfen, endlich zu erklären, wie solche Hochtemperatursupraleiter funktionieren. Denn das ist nach wie vor ein großes Rätsel, während der Mechanismus, der hinter herkömmlichen Supraleitern steckt, seit 1957 bekannt ist. Er führt dazu, dass einige Metalle bei noch niedrigeren Temperaturen oder extremem Druck widerstandslos Strom leiten.
Das Ziel der Forschung an Hochtemperatursupraleitern: Materialien zu entwickeln, die sich unter normalen Umgebungsbedingungen verwenden lassen. Solche Supraleiter müsste man etwa nicht kühlen, sondern könnte sie bei Raumtemperatur nutzen. Das würde ihren praktischen Einsatz bei Technologien wie der Magnetresonanztomografie erheblich vereinfachen.
Die theoretische Physikerin Lilia Boeri von der Universität Sapienza in Rom lobt die Fortschritte des SUSTech-Teams beim präzisen Design der Materialeigenschaften. Sie erwartet, dass derartiges Finetuning dabei helfen wird, die unkonventionelle Supraleitung zu ergründen: »Die Vorstellung, ein System zu haben, das man experimentell genau einstellen kann, ist sehr aufregend.«
Auf dem Weg zu Normalbedingungen
Die Begeisterung für Nickelate wächst seit 2019. Damals fand eine Gruppe um Danfeng Li erste Hinweise darauf, dass sich die nickelhaltigen Verbindungen ähnlich wie Supraleiter verhalten – wenn auch bei sehr niedrigen Temperaturen. Strukturell ähneln die Materialien den Cupraten. Könnten also auch Nickelate dazu gebracht werden, bei höheren Temperaturen zu leiten? Ein anderes Forschungsteam demonstrierte das im Jahr 2023 tatsächlich. Dort befand sich das Material allerdings unter hohem Druck.
Im Dezember 2024 sahen Fachleute der kalifornischen Stanford University erste Anzeichen von Supraleitfähigkeit von Nickelaten bei Umgebungsdruck. Bei den SUSTech-Experimenten zeigten sich dann schließlich die unverkennbaren Merkmale von Supraleitern: Die Kristalle verloren bei einer kritischen Temperatur ihren Widerstand und verdrängten Magnetfelder aus ihrem Inneren.
Nickelate sind hinsichtlich ihrer kritischen Temperatur noch weit von den Cupraten entfernt. Diese Temperatur zu erhöhen habe aktuell Priorität, sagt SUSTech-Physiker und Mitautor Zhuoyu Chen. Das Team probiere verschiedene Tricks aus, um das Züchten der Kristalle und ihre genaue Zusammensetzung zu optimieren.
Supraleitung bei Umgebungsdruck zu erreichen, ist deswegen ein Meilenstein, weil sich die Proben hier viel besser untersuchen lassen. Um das Verhalten der Ladungsträger darin zu verstehen, seien dann Methoden anwendbar, die unter hohem Druck kaum gelängen, fügt Chen hinzu.
Das weltweite Wettrennen läuft
Die Supraleitung hat in den vergangenen Jahren einige Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, allerdings nicht immer aus ruhmreichen Gründen. Das Forschungsfeld wurde durch die inzwischen zurückgezogenen Behauptungen des Physikers Ranga Dias über Supraleitung bei Raumtemperatur erschüttert. Eine andere viral gegangene Verkündung eines Materials mit der Bezeichnung LK-99 – von dem man ebenfalls hoffte, es sei ein Raumtemperatur-Supraleiter – erwies sich als voreilig.
Die Qualität der Daten in der neuen Arbeit hingegen sei absolut großartig, urteilt Li, und andere dürften sie wahrscheinlich bald reproduzieren. »In China sehe ich Leute Tag und Nacht daran arbeiten, neue Materialien zu synthetisieren und physikalische Erkenntnisse über solche Systeme zu gewinnen.«
Chen zufolge stellen große Laboratorien auf der ganzen Welt inzwischen Mittel dazu bereit, Nickelate eingehender zu untersuchen. »Dieser Eifer unterstreicht den Optimismus der Forschungsgemeinschaft: Nickelate könnten der Schlüssel dazu sein, die unterschiedlichen Theorien zur Hochtemperatursupraleitung endlich zu vereinheitlichen.«

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