Raumfahrttechnik: Pannenhelfer im Weltall
Der orbitale Pannendienst kommt lautlos und in einem weiten Bogen. Er tänzelt um sein havariertes Ziel herum, schmiegt sich an und greift schließlich beherzt zu. Mithilfe seines Roboterarms tauscht er defekte Bauteile aus oder tankt den Satelliten auf. Und falls gar nichts mehr hilft, schleppt er das Wrack einfach ab.
So soll es aussehen, wenn im Jahr 2018 "Deos" startet – die "Deutsche Orbitale Servicing Mission". Oder besser gesagt: falls sie startet. Denn die farbenfrohe 3-D-Animation, die der Raumfahrtkonzern Astrium auf der Berliner Luftfahrtmesse ILA gezeigt hat, ist bislang nicht mehr als ein ambitionierter Plan. Ein Jahr haben die Ingenieure von Astrium nun Zeit, um gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein überzeugendes Konzept für künftige Serviceeinsätze im Erdorbit zu entwickeln. Dann muss die Entscheidung fallen, ob "Deos" tatsächlich gebaut und gestartet werden soll.
Zu tun gäbe es genug: Mehr als tausend aktive Satelliten umkreisen derzeit die Erde – Tendenz stark steigend. Nicht immer läuft dabei alles wie geplant, Ausfälle sind keine Seltenheit. Fernseh- und Telekommunikationssatelliten, die in etwa 36 000 Kilometern Höhe unterwegs sind, verstopfen dann die begehrten Plätze im sogenannten geostationären Orbit. Erdbeobachtungssatelliten, die auf deutlich niedrigeren Bahnen kreisen, drohen auf die Erde zu stürzen. So wie der europäische Umweltspäher "Envisat": Im April ist der 26 Meter lange Satellit ohne Vorwarnung ausgefallen. Seitdem taumelt er in 760 Kilometern Höhe um den Planeten – immer in Gefahr, mit anderen Raumfahrzeugen zu kollidieren.
"Deos" wird ihm nicht helfen können, er hat andere Aufgaben: "Wir verstehen 'Deos' als eine Demonstrationsmission, nicht als operationellen Einsatz", sagt Christoph Hohage, Projektdirektor beim DLR-Raumfahrtmanagement in Bonn. Die Deutschen wollen mit ihrem Projekt, dessen zwölfmonatige Planungsphase 15 Millionen Euro kosten wird, ausloten, was ein Weltraum-Pannendienst leisten kann. Ist der Versuch erfolgreich, könnten die gesammelten Erfahrungen in echte Service-Missionen einfließen – ins Nachtanken oder in den kontrollierten Absturz eines gestrandeten Satelliten.
Zunächst muss allerdings geübt werden: Gemeinsam mit dem knapp 1000 Kilogramm schweren Serviceroboter will das DLR im Rahmen der "Deos"-Mission einen etwa halb so großen Testsatelliten starten, Klient genannt. Er soll helfen, alle möglichen Wartungsfälle im All durchzuspielen. Das ungleiche Duo wird dazu, kurz nachdem es seine Umlaufbahn in 550 Kilometern Höhe erreicht, getrennt. Anschließend muss sich der Pannenhelfer auf die Suche nach seinem Kunden machen.
Auf Hilfe kann er dabei nicht zählen: Im Gegensatz zur Internationalen Raumstation ISS senden defekte Satelliten kein Peilsignal aus, das anfliegenden Raumschiffen den Weg weist. Der Serviceroboter muss sich deshalb auf seine eigenen Systeme verlassen, auf Radar und Stereokameras. Da er genauso wie sein Ziel mit etwa 28 000 Kilometern pro Stunde durch den Orbit rast, ändern sich beim Anflug ständig die Lichtverhältnisse. Mal blendet die Sonne, dann liegt der Klient im Schatten, immer wieder muss zwischen verschiedenen Empfangsstationen am Boden umgeschaltet werden. "Das wirklich Komplexe bei der Mission ist, all diese Übergänge reibungslos hinzubekommen und die Szenarien flüssig zu fliegen", sagt Eckard Settelmeyer, Leiter des Astrium-Standortes in Friedrichshafen. "Da darf nichts schief gehen."
Hat sich der Pannenhelfer seinem Ziel bis auf Armweite genähert, greift er zu: im Fall des DLR-Klienten an einem Handlauf, der das Testobjekt praktischerweise umgibt. Da die wenigsten aktiven Satelliten über solch ein Geländer verfügen, trainieren die DLR-Ingenieure am Robotikzentrum im bayerischen Oberpfaffenhofen seit Jahren aber auch schon, an der Austrittsdüse des Satellitenmotors festzumachen – eine Stelle, die sich bei fast allen Trabanten greifen lässt.
Solange die Lageregelung des Havaristen noch funktioniert, sollte solch ein Zugriff machbar sein: Der europäische Raumfrachter ATV, der ebenfalls von Astrium gebaut wird, fliegt ähnliche Manöver regelmäßig bei seinen automatischen Annäherungsversuchen an die ISS. Wirklich kompliziert wird es, wenn das Ziel wild taumelt. Der Pannenhelfer muss dann nicht nur den richtigen Moment zum Zupacken finden, er muss auch damit klarkommen, dass sich sein Massenschwerpunkt nach der Kontaktaufnahme schlagartig ändert. Ausgeklügelte Bahnmanöver werden nötig sein, um das schlingernde Duo abzubremsen und zu stabilisieren, sagt Christoph Hohage: "'Deos' ist die weltweit erste Mission, die so etwas versucht."
Nach dem Andocken kommt die Arbeit: Mit seinem Roboterarm wird der Servicesatellit versuchen, Elektronikboxen auszutauschen und Steckverbindungen herzustellen. Er wird zudem das Auftanken simulieren – indem er ein Ventil vakuumdicht mit der Tanköffnung verbindet. Bei heute aktiven Satelliten wäre so etwas allerdings unmöglich, sie sind schlichtweg nicht für einen mobilen Service ausgelegt. Die "Deos"-Macher nehmen diese Einschränkung bewusst in Kauf: "Mit der Mission wollen wir auch Erfahrung sammeln, wie künftige Satelliten gebaut sein müssen, um überhaupt servicefähig zu sein", sagt Eckard Settelmeyer.
Mehrmals sollen all diese Manöver im Laufe der Mission durchgespielt werden, mit steigendem Schwierigkeitsgrad. Für die finale Aufgabe hat "Deos" allerdings nur einen Versuch: Nach getaner Arbeit soll der Servicesatellit mitsamt seines abgeschleppten Pannenfahrzeugs in die Erdatmosphäre eintauchen und dort verglühen – das Ende des mehrere hundert Millionen Euro teuren Testflugs. "Die kontrollierte Entsorgung von Weltraumschrott soll künftig allerdings nur das letzte Mittel sein", sagt DLR-Raumfahrtvorstand Gerd Gruppe. "Bei 'Deos' wird es in erster Linie darum gehen, die Lebensdauer von Satelliten zu verlängern."
Sollte die Demonstrationsmission, die derzeit für 2018 geplant ist, erfolgreich verlaufen, könnte sie den Weg für einen kommerziellen Satellitenservice ebnen. Ein Helfer für alle Fälle wird allerdings schwer zu realisieren sein. Vielmehr muss jeder Servicesatellit auf die geplante Mission, auf die Form und Masse seines Havaristen zugeschnitten werden. Soll ein Koloss wie "Envisat" beispielsweise kontrolliert zum Absturz gebracht werden, darf dies bei weitem nicht so aufwändig und teuer sein wie ein komplexer Reparatureinsatz.
Die Deutschen sind mit ihren Plänen nicht allein. „Viele andere stecken auch in den Startlöchern, so richtig weit ist bislang allerdings niemand gekommen", sagt Eckard Settelmeyer. So planen Ingenieure der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne, eine Müllabfuhr für ausgediente Satelliten zu entwickeln. Die orbitalen Ausputzer, nur 30 Zentimeter lang und acht Millionen Euro teuer, sollen Satelliten schnappen und gezielt zum Absturz bringen. Die Forschungsabteilung des Pentagons, die vor fünf Jahren bereits unbemannte Serviceeinsätze im Weltall ausprobiert hat, will dagegen ausgewachsene Serviceroboter in den geostationären Orbit schicken. Dort könnten die Systeme alte Satelliten reparieren oder ausschlachten.
Dass das Militär Interesse an der Technologie hat, ist wenig verwunderlich: Ein Satellit, der sich an andere Späher heranschleichen und diese reparieren kann, kann sie auch gezielt ausschalten. "Unsere Motivation ist allerdings eindeutig zivil", betont DLR-Vorstand Gruppe. "Wir wären aber dumm, wenn wir übersehen würden, dass es auch militärische Anwendungen gibt."
Die janusköpfige Natur der modernen Raumfahrt – der offizielle Jargon umschreibt sie als "Dual Use" – ist heute schon Alltag, etwa bei Erdbeobachtungssatelliten, die auch militärisch genutzt werden können. Für Gruppe ist das jedoch kein Grund, auf die zivile Nutzung zu verzichten. Ein Lastwagen, der dazu entwickelt wurde, um Steine zu transportieren, könne schließlich auch als Truppentransporter eingesetzt werden. "Deswegen den Bau von Lastwagen einzustellen", sagt Gruppe, "halte ich für Unfug."
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben