Planetologie: Der Exoplanet nebenan
Als 1982 die neu gewählte US-Regierung um Präsident Reagan umfangreiche Kürzungen bei der US-Weltraumforschung beschloss, gehörte die geplante NASA-Mission Venus Orbital Imaging Radar zu den Opfern. Doch die Abteilung für Planetologie am Massachusetts Institute of Technology griff zu unkonventionellen Methoden: Schnell kratzten die Wissenschaftler von anderen Missionen übrig gebliebene Teile zusammen und konstruierten daraus eine preiswertere Raumsonde. Nur noch 680 Millionen US-Dollar kostete der so konzipierte Magellan-Orbiter, der 1989 zur Venus startete.
1990 war er am Ziel. In den darauf folgenden fünf Jahren lieferten die Instrumente Radarbilder der gesamten Planetenoberfläche, Daten über Schwerkraftanomalien und eine topografische Karte der Venus. Magellan war die jüngste in einer langen Reihe sowjetischer und US-amerikanischer Missionen zu unserem Nachbarplaneten. Nachdem die Sonde 1994 planmäßig auf die Oberfläche der Venus gestürzt war, endete mit ihr allerdings auch das Interesse der NASA an weiteren Flügen zu dem erdgroßen Himmelskörper. Seither haben Planer gut zwei Dutzend Vorschläge für neue Missionen eingereicht – genehmigt wurde keiner. Die von Magellan gesammelten Daten liefern bis heute das beste Kartenmaterial.
In der Zwischenzeit haben die europäischen und japanischen Raumfahrtagenturen mit erfolgreichen Missionen zur Venus das Spielfeld betreten. Diese führten zu Durchbrüchen beim Verständnis der Atmosphäre und brachten zusammen mit neuen Analysen der Magellan-Messungen Erkenntnisse, auf Grund derer einige Lehrbücher umgeschrieben werden müssen. Die Venus scheint vulkanisch aktiv zu sein, und es gibt sogar Hinweise auf eine beginnende Plattentektonik. Solche Vorgänge halten viele Wissenschaftler für eine Voraussetzung für die Entstehung von Leben. Theoretische Modelle deuten auch darauf hin, dass die Venus relativ lange flüssiges Wasser auf ihrer Oberfläche gehalten hat.
Diese Erkenntnisse fallen mit einer weiteren erstaunlichen Entwicklung in der Astronomie zusammen: der Entdeckung von Tausenden von Exoplaneten in anderen Sonnensystemen. Viele sind etwa so groß und so weit von ihren Sternen entfernt wie die Venus. Alles, was wir über den Planeten nebenan erfahren, könnte das Verständnis solcher unzugänglich fernen Welten verbessern. Wenn wir herausfinden, ob und wann auf der Venus lebensfreundliche Bedingungen geherrscht haben, können wir auch die Chancen auf Leben auf den venusähnlichen Himmelskörpern in der übrigen Milchstraße besser einschätzen.
Die meisten der bisher entdeckten Exoplaneten wurden mit der Transitmethode gefunden. Dabei untersuchen Astronomen verräterische Helligkeitsschwankungen von Sternen, die auftreten, wenn Planeten vorbeiziehen. Die Technik liefert deren Größe, aber die allein sagt noch nicht viel aus. Würde ein außerirdischer Beobachter unser Sonnensystem mit der Transitmethode betrachten, erschienen Venus und Erde fast identisch. Dabei ist Erstere zumindest für uns bekannte Lebensformen völlig unbewohnbar, während die Erde seit rund vier Milliarden Jahren komplexe Ökosysteme beherbergt.
Wir können zwischen ähnlich großen Planeten näher differenzieren, indem wir ihre Abstände zu ihren Sternen messen. Die »habitable Zone« ist die Region, in der ein felsiger Planet zumindest theoretisch flüssiges Wasser auf seiner Oberfläche haben könnte. Bei der Erde ist das offensichtlich der Fall. Doch auch die Venus befand sich früher in jenem Bereich – womöglich sogar eine ganze Weile. Die Grenzen der habitablen Zone verschieben sich mit der Zeit nach außen, weil die Sonne mit zunehmendem Alter intensiver leuchtet. Inzwischen liegt unser ungleicher Zwilling in der nach ihm benannten Venuszone. In dieser Region eines Sternensystems verursacht verdampfendes flüssiges Wasser einen »galoppierenden Treibhauseffekt«, der letztlich die Ozeane zum Kochen bringt und völlig verschwinden lässt.
Heißes Ende nach viel versprechendem Start
Ursprünglich entstanden Venus und Erde unter sehr ähnlichen Bedingungen. Wahrscheinlich brachten Kometen Eis auf die Oberflächen beider Planeten. Simulationen der frühen Venus zeigen, dass es hier wohl eher flüssiges Wasser gab als auf der Erde. Es könnte sich bis vor etwa einer Milliarde Jahren dort gehalten haben. Heute ist die Venus jedoch äußerst unwirtlich. Wie kam es dazu? Ist die Venus vielleicht sogar der Endzustand aller bewohnbaren Planeten dieser Größe, oder repräsentiert sie lediglich eines von vielen möglichen Schicksalen solcher Himmelskörper?
Unsere Suche nach Antworten wird zum Teil durch die dicke, nahezu undurchsichtige Atmosphäre des Planeten behindert. Hoch oben liegen Wolken aus Schwefelsäure, und am Boden ist der Luftdruck vergleichbar mit dem Wasserdruck einen Kilometer unter der Oberfläche irdischer Ozeane. Die weitaus überwiegend aus Kohlendioxid bestehende Atmosphäre ist hier so dicht, dass das Gas zu einem so genannten überkritischen Fluid mit Eigenschaften sowohl eines Gases als auch einer Flüssigkeit wird.
Im Gegensatz zu unserer Welt hat die Venus kein Magnetfeld als Schutz vor dem Sonnenwind. Dieser stete Strom energiereicher Teilchen dürfte über die Äonen hinweg das verdampfte Wasser des Planeten in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten haben. Der leichte Wasserstoff entwich schnell ins All. Gleichzeitig konnte sich mangels Oberflächenwasser das ständig aus dem Planeteninneren entweichende Treibhausgas Kohlendioxid nirgends lösen. Es sammelte sich darum in der Atmosphäre an. Heute sind die Temperaturen auf Grund des Treibhauseffekts durch das CO2 auf der Venus mehr als 400 Grad Celsius höher als auf der Erde.
Die einzigen Daten, die wir direkt von der Oberfläche der Venus haben, stammen von sowjetischen Venera-Landesonden aus den 1970er und 1980er Jahren. Diese überlebten unter den extremen Bedingungen nur wenige Minuten, aber in der kurzen Zeit übertrugen sie immerhin einige Informationen über die chemische Zusammensetzung ihrer Umgebung. Darüber hinaus beruht unser mineralogisches Wissen vor allem auf umstrittenen Interpretationen von Radarmessungen aus dem Orbit und auf Spekulationen über chemische Reaktionen zwischen den Gesteinen und den Gasen des Planeten bei den dort herrschenden Drücken und Temperaturen.
Inzwischen fanden Forscher jedoch heraus: Es ist möglich, die Gesteine auf der Venus von der Umlaufbahn aus zu kartieren. Dazu muss man gewissermaßen durch geeignete Fenster im elektromagnetischen Spektrum schauen, bei denen Strahlung nicht vom Kohlendioxid in der Atmosphäre absorbiert wird. Glücklicherweise lassen sie gerade in Bereiche blicken, wo sich die für Vulkangestein typischen Minerale Olivin und Pyroxen bemerkbar machen. Vielleicht könnten wir so endlich die Zusammensetzung des Planeten genauer bestimmen.
Die europäische Raumsonde Venus Express, die von 2006 bis 2014 den Planeten untersucht hat, nutzte eines der Fenster. Damit erstellten Forscher für einen Großteil der Südhalbkugel die erste Übersicht der von der Oberfläche ausgestrahlten Wärme. Die Daten enthalten auch spektrale Informationen, das heißt charakteristische Ausschläge in den Intensitätskurven, mit denen sich Minerale im Boden identifizieren lassen.
Auf der Karte fallen zudem zahlreiche so genannte Hotspots auf. Solche Gebiete geben so viel Wärme ab, dass die wahrscheinlichste Erklärung dafür ein junger Vulkanismus ist. Die Venus ist also wohl noch geologisch aktiv, im Gegensatz etwa zum Mond, der in dieser Hinsicht seit langer Zeit ruhig ist, und zum Mars, wo Vulkanismus bestenfalls vereinzelt vorkommt.
Vielleicht zeigt die Venus gerade, wie Plattentektonik ihren Anfang nimmt
Auf der Erde hängt der Vulkanismus mit der Plattentektonik zusammen, also der Bewegung von Teilen der Kruste gegeneinander. Sie ist für die vielen geologischen Formationen auf unserem Planeten verantwortlich und hat außerdem langfristige Klimazyklen stabilisiert. Das hat höher entwickeltes Leben auf der Erde begünstigt oder gar erst ermöglicht. Tektonische Vorgänge bilden neue Kruste an den mittelozeanischen Rücken der Erde und schieben an anderen Stellen Teile zurück in den Mantel. Beide Prozesse erlauben es unserem Planeten, Wärme und chemische Verbindungen zwischen seinen inneren und äußeren Bereichen auszutauschen. Vulkanismus bringt Wasser an die Oberfläche, hält die Atmosphäre in einem gewissen Gleichgewicht und schafft Lebensraum oberhalb des Meeresspiegels. Aus diesen und weiteren Gründen ist die Frage, ob die Venus solche Phänomene aufweist – und warum oder warum nicht –, für viele Forscher so wichtig.
Spärlichen Daten zufolge begann die Plattentektonik auf der Erde vielleicht schon vor vier Milliarden Jahren. Nur wenige Spuren haben sich bis heute erhalten. Jedenfalls wissen wir nicht wirklich, wie ein mit Basalt und möglicherweise bereits mit Ozeanen bedeckter Planet zu einem komplizierten System beweglicher Platten übergeht. Eine Hypothese lautet: Heißes Material aus dem Inneren dringt nach oben, was die Kruste und den äußeren Mantel (zusammen Lithosphäre genannt) schwächt. Die Oberfläche bricht auf, und die unter Druck stehende Gesteinsschmelze kann zu heftigem Vulkanismus führen, wie er sowohl auf der Erde als auch auf der Venus vorkommt. Die Last des ausgetretenen Materials auf der gerissenen Lithosphäre kann die betroffenen Teile absinken lassen und eine Subduktion herbeiführen, wobei eine Schicht unter eine andere gleitet. Wenn der Prozess oft genug stattfindet, stößt das die Plattentektonik an.
Eventuell geschieht das gerade auf der heutigen Venus. Die Lithosphäre auf der Venus ist heiß und dünn – wohl wie seinerzeit bei der Erde. Gewisse Regionen erinnern frappierend an terrestrische Subduktionszonen. Ein Beispiel ist Artemis Corona, eine kreisartige Formation in der Nähe des Venusäquators. Ihre Größe entspricht etwa der des Aleutengrabens, einer Vertiefung des Meeresbodens vor der Küste Alaskas. Solche Merkmale könnten Stellen auf der Venus kennzeichnen, an denen Material aus dem Mantel an die Oberfläche steigt und auf die Kruste drückt. Auch Laborexperimente und Computersimulationen deuten darauf hin, dass es sich hier um Subduktionszonen handelt.
Die bislang vorliegenden Bilder haben eine zu geringe Auflösung, um das sicher zu beurteilen. Aber anscheinend befindet sich die Tektonik auf der Venus im Anfangsstadium ihrer Entwicklung. Die Magellan-Bilder zeigen keine Hinweise auf miteinander verbundene Platten – vielmehr sehen wir vereinzelte Stellen, an denen die Subduktion beginnt, jeweils um solche kreisförmigen Regionen mit aufsteigendem Material. Doch warum kam es nicht früher dazu, und wie wird es weitergehen?
Sofern sich die Venus im Lauf der Zeit abkühlt, können die jetzt entstehenden Verwerfungen überdauern, und der Planet durchliefe vielleicht den gleichen Übergang zur Plattentektonik wie damals die Erde. Möglicherweise sind dieser Prozess und die damit verbundene Stabilisierung der Atmosphäre nicht nur in unserem Sonnensystem üblich, sondern auch bei Exoplaneten. Es gibt also gewichtige Gründe für weitere Missionen zum Nachbarplaneten. Mit genaueren Bildern und Spektren könnten Wissenschaftler zentrale Fragen zum Vulkanismus und zur Plattentektonik der Venus beantworten.
Die NASA entscheidet im Rahmen ihres Discovery-Programms regelmäßig über kleine, verhältnismäßige kostengünstige Missionen. Zwei von uns (Smrekar und Dyar) sind an der Planung einer vorgeschlagenen Raumsonde namens VERITAS beteiligt (Venus Emissivity, Radio Science, InSAR, Topography, and Spectroscopy). Sie würde die Oberfläche viel detaillierter erfassen und hätte neben einer Kamera auch ein Spektrometer an Bord. Weitere Arbeitsgruppen erstellen ebenfalls Konzepte. So könnte eine neue Generation von Planetologen die Chance bekommen, besser zu verstehen, warum unsere Nachbarin einen so anderen Weg gegangen ist als die Erde, und mehr über die Entwicklungen in Erfahrung zu bringen, die solche Himmelskörper lebensfreundlich machen.
Das ausführliche Video zur Venus finden Sie hier.
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