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Politische Attentate: Wer billigt Gewalt gegen Andersdenkende?

Die meisten Menschen lehnen politische Attentate rundweg ab – manche jedoch nicht. Die Persönlichkeit spielt dabei eine Rolle, erklärt aber nicht alles.
Blick in den Lauf einer Schusswaffe
Ein Attentat mit Schusswaffe war in der vorliegenden Studie die am wenigsten akzeptierte Form von Gewalt gegen einen Politiker.

Das Attentat auf Donald Trump ist wohl das jüngste Beispiel für zunehmende Gewalt gegen politisch Andersdenkende, und diese Entwicklung betrifft nicht nur die USA: Angriffe auf Politikerinnen und Politiker häufen sich auch in Deutschland. Zu den meistdiskutierten Ursachen zählen hier wie dort die politische Spaltung der Gesellschaft und die (sozialen) Medien. Doch davon lassen sich glücklicherweise nur wenige Menschen dazu bewegen, Gewalt zu befürworten oder gar auszuüben. Bei wem die Polarisierung und andere Einflüsse auf fruchtbaren Boden fallen, hat jetzt eine Studie in Deutschland, Italien, den USA, Australien und Argentinien untersucht. Wie das Fachmagazin »Personality and Individual Differences« berichtet, fanden sich in allen fünf Ländern ähnliche Zusammenhänge zwischen der Persönlichkeit und der Tendenz, Gewalt gegen politisch Andersdenkende zu billigen.

Der Politikwissenschaftler Alessandro Nai von der Universität Amsterdam und die Soziologin Elizabeth Young von der Universität Tilburg hatten insgesamt rund 10 000 Menschen eine fiktive Zeitungmeldung über einen Fall von politisch motivierter Gewalt vorgelegt. Die Meldung beschrieb, wie ein Mann einen Teilnehmer eines lokalen Parteitreffens angegriffen hatte – aus Ärger darüber, dass sich Wähler dieser Partei in seiner Stadt versammelten. In der »harmlosesten« Variante schlug der Mann mit der Faust ins Gesicht; in einer zweiten Version schlug er mit einem Baseballschläger zu und in der dritten Variante schoss er dem Opfer in die Brust. Die Befragten sollten die Tat auf einer Skala von 1 (starke Ablehnung) bis 7 (starke Zustimmung) beurteilen: Befürworteten sie die Tat? Könnte sie unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein? Und sollte der Angreifer strafrechtlich verfolgt werden?

In allen Ländern wurde der Schlag ins Gesicht am ehesten akzeptiert, der Schuss in die Brust am wenigsten. In Italien war die Ablehnung am größten, in Australien fiel sie weniger deutlich aus. Und wie erwartet spielte auch die Persönlichkeit der Befragten eine Rolle, erfasst mit einem Fragebogen zum HEXACO-Modell, das sechs Dimensionen unterscheidet.

Ergebnis: Je mehr soziales Selbstwertgefühl und je mehr intellektuelle Neugier die Befragten sich attestierten, desto mehr lehnten sie die Attentate ab. Doch die Zusammenhänge mit den zugehörigen Dimensionen, Extraversion und Offenheit, waren im Mittel nur schwach. Eine größere Rolle spielte eine andere Dimension: Bescheidenheit. Wer hier niedrige Werte aufweist, glaubt zum Beispiel, Sonderrechte beanspruchen zu können (ein Merkmal von Narzissmus) und setzt eigene Interessen auch mit unmoralischen Mitteln durch (ein Merkmal von Psychopathie). Ob sich jemand als unter- oder überdurchschnittlich bescheiden beschrieben hatte, machte im Mittel einen Punkt Unterschied auf der siebenstufigen Skala der Gewaltakzeptanz. In Australien und den USA hatte Bescheidenheit den größten Effekt, in Deutschland war er nur halb so groß.

In einer zweiten Studie wurden rund 1800 weitere Menschen in den USA befragt: Sie bekamen nur das Fallbeispiel mit Baseballschläger vorgelegt und beantworteten außerdem einen Fragebogen zur »Dunklen Triade« – den drei Persönlichkeitsmerkmalen Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie. Alle drei Merkmale waren typisch für Menschen, die den Angriff weniger verwerflich fanden, am stärksten aber Psychopathie, die von Rücksichtslosigkeit und Gefühlskälte gekennzeichnet ist.

Die Befunde stimmen überein mit zahlreichen Studien, die bei Menschen mit ausgeprägter dunkler Triade generell eine erhöhte Gewaltbereitschaft beobachteten. »In einem Klima, das zunehmend von Drohungen und radikalen politischen Taten geprägt ist, könnten solche Einstellungen dramatische Konsequenzen haben«, warnt das niederländische Forschungsduo. Wie bedeutsam dabei bestimmte Facetten der Persönlichkeit sind, belegte bereits der Politologe Oluf Gøtzsche-Astrup von der Universität in Aarhus mit Untersuchungen in den USA aus den Jahren 2019 und 2021. Demnach führt eine starke Identifikation mit einer Partei nur bei ausgeprägter dunkler Triade zu einer erhöhten Bereitschaft zu politischer Gewalt. Eine zunehmende Verunsicherung, etwa infolge von sozialen Unruhen, steigere die Bereitschaft wiederum nur bei Menschen, die wenig offen sind für Neues.

Die Studien suchen nach typischen Zusammenhängen zwischen Person, Umwelt und Verhalten. Über die konkreten Ursachen in einem Einzelfall wie dem Attentat auf Trump sagen sie nichts aus, können aber begründete Anhaltspunkte liefern.

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