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Radioastronomie: Die vielfältigen Wege zu Millisekunden-Pulsaren

Zwei Bonner Astronomen haben ein neues Szenario vorgeschlagen für die Entwicklung einer neugefundenen Art von Millisekunden-Pulsaren in Doppelsternsystemen mit ähnlichen Umlaufperioden und Exzentrizitäten. Nach der Hypothese von Paulo Freire und Thomas Tauris werden Materie und Drehmoment von einem Begleitstern durch Akkretion auf einen massereichen Weißen Zwergstern übertragen, der dadurch auf eine Gesamtmasse jenseits der für die Sternentwicklung kritischen Chandrasekhar-Grenzmasse anwächst. Allerdings wird dieser Stern dann nicht unmittelbar zu einem Neutronenstern kollabieren, da er sehr schnell rotiert und die resultierenden Zentrifugalkräfte ihn zunächst stabil halten. Erst nach Beendigung der Massenübertragung verliert der Stern allmählich seine Rotationsenergie und wird schließlich direkt zu einem Millisekunden-Pulsar, also einem extrem schnell rotierenden Neutronenstern, der nicht erst durch zusätzliche Akkretion "nachbeschleunigt" werden muss. Die damit verbundene Freisetzung von gravitativer Bindungsenergie führt zu den exzentrischen Bahnen, die in solchen Systemen beobachtet werden. Die neue Hypothese beinhaltet eine Reihe von Vorhersagen über diese erst kürzlich entdeckte Untergruppe von Millisekunden-Pulsaren, die durch Beobachtungen getestet werden können. Wenn sie sich damit bestätigt, ermöglicht das neue Wege bei der Erforschung der Physik von Sternen, speziell Impulsübertragung und Massenverlust bei einem durch Akkretion verursachten Kollaps von sehr massereichen Weißen Zwergsternen.
Radioteleskop Effelsberg

Neutronensterne können sich extrem schnell um ihre eigene Achse drehen – der Rekordwert liegt bei 716 Umdrehungen pro Sekunde! Solche außergewöhnlichen Objekte lassen sich als Millisekunden-Pulsare beobachten. Seit der ersten Entdeckung eines Millisekunden-Pulsars im Jahr 1982 wurde vermutet, dass es sich dabei um alte tote Neutronensterne handeln muss, die nur glücklicherweise in einem Doppelsternsystem gelandet sind. Bei der Entwicklung des Begleitsterns zu einem Roten Riesen werden dann Masse und Drehimpuls auf den Neutronenstern übertragen, wodurch dessen Rotation beschleunigt wird. Ein solches Sternsystem ist auch als Röntgendoppelstern bekannt. Der Begleitstern entwickelt sich schließlich zu einem Weißen Zwerg, die Massenübertragung hört auf und der Neutronenstern wird zu einem Millisekunden-Pulsar, der durch seine gepulsten Radiosignale beobachtbar wird. Die Umlaufbahnen solcher Doppelsternsysteme haben eine sehr geringe Exzentrizität, das heißt, es handelt sich dabei um nahezu perfekte Kreisbahnen. Die Ursache lässt sich auf die Massenübertragung zurückführen und ein solches Szenario wird sowohl durch theoretische Berechnungen als auch durch Beobachtungen von Systemen in unterschiedlichen Stadien bei der Entwicklung von Röntgendoppelsternen zu Millisekunden-Pulsaren bestätigt.

Entwicklung von Millisekunden-Pulsaren | So sehen die Spätstufen der Entwicklung von engen Doppelsternsystemen nach dem neuen von Paulo Freire und Thomas Tauris entwickelten Szenario aus: a) Röntgendoppelstern mit akkretierendem Weißen Zwerg von ursprünglich 1,2 Sonnenmassen mit einem Begleitstern von 2,0 Sonnenmassen. b) Obwohl der Weiße Zwerg durch Akkretion (Massenübertragung) auf eine Gesamtmasse jenseits der Chandrasekhar-Massengrenze angewachsen ist, wird er nach dem Ende des Massentransfers nicht unmittelbar zu einem Neutronenstern kollabieren. Grund dafür ist die schnelle Rotation, durch deren Zentrifugalkräfte der Stern zunächst stabil bleibt. c) Wenn schließlich die Rotation des massereichen Weißen Zwergs durch Abbau von Drehmoment genügend verlangsamt wird, wird er unmittelbar zu einem Millisekunden-Pulsar in einem sehr exzentrischen Orbit kollabieren. d) Der Begleitstern hat sich als Überrest des ursprünglichen "Spendersterns" zu einem Weißen Zwerg mit Heliumkern von geringer Masse (0,27 Sonnenmassen) entwickelt. Alle im Diagramm angegebenen Massen sind in Sonnenmassen skaliert.

Neu gefundene Pulsare wie PSR J1946+3417 lassen vermuten, dass es auch andere Wege geben muss, die zur Entwicklung von Millisekunden-Pulsaren führen. PSR J1946+3417 gehört zu den 14 Pulsaren, die erst kürzlich mit dem 100-Meter-Radioteleskop Effelsberg entdeckt worden sind. Mit 315 Umdrehungen pro Sekunde ist es eindeutig ein Millisekunden-Pulsar, aber die Exzentrizität der Umlaufbahn ist vier Größenordnungen höher als bei anderen Systemen mit vergleichbarer Umlaufperiode. Die Masse des Begleitsterns liegt bei 0,24 Sonnenmassen; es handelt sich dabei höchstwahrscheinlich um einen Weißen Zwerg mit Heliumkern. Interessanterweise sind fast zur gleichen Zeit zwei weitere Systeme mit ganz ähnlichen Parametern entdeckt worden, diesmal durch Beobachtungen mit dem Arecibo-305-Meter-Radioteleskop.

Es ist durchaus möglich, dass diese Sternsysteme ihre Entwicklung als Dreifachsterne begonnen haben, die schließlich dynamisch instabil wurden, wie zum Beispiel bei PSR J1903+0327, dem ersten Millisekunden-Pulsar mit einer sehr exzentrischen Umlaufbahn. Ein solcher Prozess sollte allerdings zu einer großen Bandbreite von Umlaufperioden, Bahnexzentrizitäten und Begleitsternmassen führen, ganz im Gegensatz zu den drei neu gefundenen Systemen, die sich in allen Parametern sehr ähneln.

Die neue Hypothese beinhaltet den Kollaps eines massereichen Weißen Zwergs, nachdem die Massenübertragung vom Begleitstern aufgehört hat. Sie erklärt nicht nur die Ähnlichkeiten von Bahnexzentrizität und Masse des Begleitsterns, sondern auch ihre absoluten Werte. "Ich war schon überrascht, als wir uns die von unserem Modell vorhergesagten Bahnperioden und Exzentrizitäten angesehen haben", sagt Thomas Tauris, der in beiden Forschungsgruppen, "Sternphysik" am Argelander-Institut für Astronomie und "Radioastronomische Fundamentalphysik" am Max-Planck-Institut für Radioastronomie, mitarbeitet. "Sie stimmen exakt mit den Beobachtungen überein! Dadurch war mir klar, dass wir auf einer interessanten Spur sind, obwohl es noch eine Stichprobe mit sehr wenigen Daten darstellt."

Die neue Theorie basiert auf umfangreichen Computermodellen, die unter der Leitung von Thomas Tauris gerechnet wurden. Sie ermöglicht Vorhersagen für diese Art von Doppelsternsystemen. Zum Beispiel sollten die Umlaufperioden zwischen 10 und 60 Tagen liegen, jedoch konzentriert auf den mittleren Bereich dazwischen. Und das stimmt exakt mit den beobachteten Werten der drei neuen Systeme überein.

"Unser neuer Ansatz ist sehr elegant", sagt der Erstautor, Paulo Freire vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie. "Aber ob die Natur in der Tat Millisekunden-Pulsare auf diese Art erzeugt, wissen wir damit natürlich noch nicht."

In den nächsten Jahren wird das Pulsar-Team in der Forschungsgruppe "Radioastronomische Fundamentalphysik" am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in der Lage sein, die Vorhersagen des hier vorgestellten Szenarios zu überprüfen, speziell über optische Nachfolgebeobachtungen und präzise Massenbestimmungen von Pulsaren und Begleitsternen. Sie werden ebenso versuchen, weitere Systeme dieser Art mit dem Radioteleskop Effelsberg aufzuspüren.

"Das Schöne dabei ist, dass wir bei der Bestätigung unserer Theorie einiges über Impuls und Massenverlust in Verbindung mit solchen Supernovae lernen können, die erst durch Massenübertragung ausgelöst werden, oder auch über das Innere von Neutronensternen. Es könnte einen sehr wichtigen Puzzlestein für unser Verständnis von diesen Vorgängen darstellen", schließt Paulo Freire.

MPIfR / Red.

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