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Mimiviren: Rätselhafte Riesenviren aus der Kläranlage

Viren gelten im klassischen Sinne nicht als Lebewesen. Riesenviren verwischen diese Linie etwas, doch womöglich sind sie nichts anderes als Opportunisten.
Modell eines Virus (Symbolbild)

Eigentlich besteht das Leben, wie wir es kennen, aus drei Domänen: Eukaryoten, die unter anderem Pflanzen und Tiere umfassen, Bakterien und Archaea. Als vor rund 15 Jahren die Riesenviren entdeckt wurden, verschwamm die Grenze zu dem, was wir unter Leben verstehen – sie galten einigen Biologen bereits als weiteres neues Reich. Der Fund von vier neuen Riesenvirenarten in österreichischem Klärschlamm verstärkt jedoch die Zweifel an diesem Vorschlag. Die entdeckten Exemplare deuten an, dass die Giganten aus normalen Viren hervorgingen, indem sie nach und nach Erbgutbausteine aus ihren Wirten übernahmen und so ein immer umfangreiches Genom aufbauten, diskutieren Frederik Schulz vom Joint Genome Institute im kalifornischen Walnut Creek und sein Team in "Science".

Die Wissenschaftler hatten Wasserproben aus dem Klärwerk der österreichischen Gemeinde Klosterneuburg einer DNA-Analyse unterzogen. Eigentlich waren sie dabei auf der Suche nach Gensequenzen von nitrifizierenden Bakterien, doch stattdessen stießen sie auf das Erbgut von bisher unbekannten, aber eng miteinander verwandten Riesenviren, die sie auf den Fundort bezogen als Klosneuviren bezeichnen. Im Gegensatz zu den bisher bekannten Riesenviren befallen sie nicht Amöben, sondern Wimperntierchen und andere einzellige Lebewesen mit Zellkern.

Das war aber nicht die einzige unerwartete Erkenntnis, wie die folgende Genomanalyse zeigte. Das Genom ist 1,54 Megabasen groß und enthält überraschend viele Gene für die Proteinbiosynthese. Eines der drei Viren kodierte die Bauanleitung für mehr als 20 verschiedene Boten-RNAs und Enzyme zum Aufbau von 19 verschiedenen Aminosäuren, die den Ausgangspunkt für Proteine darstellen. Zudem wiesen alle mehr Gene für die Translation auf als jedes andere Virus. Gängige Viren sind zur Proteinbiosynthese nicht selbst in der Lage, sondern benötigen Wirtszellen, um sich zu vermehren. Dass Riesenviren dazu selbst in der Lage zu sein scheinen, verwischte daher die Grenze zum echten Leben und führte zur Idee eines weiteren Lebensbereichs.

Selbst entwickelt haben die Klosneuviren diese Fähigkeit jedoch nicht, wie die weitere Untersuchung zeigte. Die Daten deuteten an, dass die Translationsgene jenen verschiedener Einzeller stark ähneln. Die Riesenviren haben sie also wahrscheinlich durch "Genklau" von ihren Wirten übernommen und in ihr eigenes Erbgut eingebaut. Entstanden sind sie daher wohl auch aus kleineren, "normalen" Viren und wuchsen, indem sie fremdes Erbgut in ihr eigenes integrierten. "Riesenviren sind also keine Relikte einer vierten Domäne des Lebens, sondern eine höchst ungewöhnliche Gruppe an Viren, die sich auf das Sammeln von Genen anderer Organismen spezialisiert haben", folgert deshalb Tanja Woyke, die Leiterin der Studie. Unklar ist noch, warum die Giganten DNA-Teile ihrer Wirte übernehmen. Eventuell reagieren sie damit einfach auf Abwehrmaßnahmen ihrer unfreiwilligen Gastgeber, die Viren auszuhungern. Mit der Proteinbiosynthese können sie diese Strategie dann schlicht umgehen, so die Theorie.

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