Neue Krankheiten: Rätselhaftes Kinderlähmungsvirus gefunden?
Seit 2012 treten in den USA merkwürdige Fälle von Kinderlähmung auf, deren Ursache bislang unklar ist: Allein seit dem letzten Herbst sind davon mehr als 100 Kinder betroffen. Wahrscheinlich hängen diese Erkrankungen mit heftigen Atemwegserkrankungen zusammen, die vom Enterovirus EV-D68 ausgelöst werden – dieser Verdacht habe sich jetzt zumindest erhärtet, so Mediziner um Charles Chiu von der University of California in San Francisco. Sie wiesen Gensequenzen des Virus in Atemwegssekreten – in einem Fall auch im Blut – von mehreren Kindern nach, die an der Kinderlähmung litten. In der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit entdeckten sie zwar keine Spuren des Erregers, doch fanden die Forscher dort auch keine anderen potenziell in Frage kommenden Pathogene. Dies sei jedoch wenig überraschend, so Chiu und Co, denn selbst das bekannte Poliovirus lässt sich dort nur sehr selten detektieren.
EV-D68 wurde schon 1960 erstmals isoliert, doch löste es bis zum Jahr 2014 nur selten schwere Komplikationen aus. In diesem Jahr kam es zu einer größeren Erkrankungswelle, die wahrscheinlich durch eine erst vor relativ kurzer Zeit erfolgten Mutation ausgelöst wurde. Auch die in den Kinderlähmungspatienten isolierten Gensequenzen deuten in diese Richtung: Sie gehören zum neuen EV-D68-Virenstamm B1, der vor vier Jahren erstmals auftrat. Er besitzt molekulare Strukturen ähnlich dem Poliovirus und dem ebenfalls als nervenschädigend bekannten EV-D70. Der Virenstamm B1 dominierte den letzten Ausbruch des Enterovirus 2014 und erklärt damit wahrscheinlich die relativ hohen Fallzahlen von Kinderlähmung. Das Virus löste die Kinderlähmung jedoch nur bei einem Teil der Betroffenen aus: Bei einem erkrankten Geschwisterpaar litt anschließend nur eines der Kinder an der neuronalen Störung. "Nicht nur das Virus allein löst die Erkrankung aus, auch die persönliche Konstitution bestimmt, welchen Verlauf die Infektion nimmt", sagt Chiu. "Womöglich verursacht beispielsweise ein anormal auf EV-D68 reagierendes Immunsystem die neurologischen Symptome." Bis heute hat sich noch keines der betroffenen Kinder vollständig davon erholt, eine Therapie oder Impfung gegen das Virus gibt es noch nicht.
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