Sprachwissenschaften: Rechnen ohne Worte
Sprache ist die Grundlage allen Denkens, so die unwiderlegte Meinung - sie erst ermöglicht alle höheren Prozesse von Einsicht über Logik bis zur Mathematik. Zumindest Letzterem wird nun widersprochen.
Denken zu definieren, daran versuchten sich schon größere Geister. Denken sei sein, meinte etwa Descartes. Stimmig, aber doch für naturwissenschaftlich Geprägte unbefriedigend vage. Auf der Suche nach Griffig-Messbarem nähern Forscher der komplexen Frage angemessen scheibchenweise: "Denken", soweit war bald klar, entsteht wohl in vielen kleinen Unterroutinen aus unterschiedlichen Gehirnregionen, die eins ins andere greifen, in übergeordneten Regionen integriert werden und so nach und nach ihre Feinpolitur erhalten.
Eine Vorstellung, die durch vielerlei Studien mit bildgebenden Verfahren belegt wird, bei denen Forscher anderen Menschen beim Denken zugeschaut haben. Fast immer aber arbeiten bei komplexen Prozessen gleich mehrere Gehirnregionen. Und nach und nach werden dabei auch Denkhierarchien im Räderwerk offenbar: Die Aktivität mancher Gedankenroutinen scheint geradezu Voraussetzung zu sein für die Funktion des Gesamtsystems. Eine dieser basalen Denkfilter könnte die Sprache des Menschen sein.
Die extremste Meinung zu ihrer Bedeutung formulierten schon vor mehr als fünf Jahrzehnten die Forscher Benjamin Lee Whorf und Edward Sapir: Eine nach ihnen benannte, umstrittene Fundamental-Hypothese geht davon aus, dass die Sprache unser Denken derart fundamental beeinflusst, dass etwas, für dass kein Begriff geformt werden kann, in der Folge undenkbar bleibt.
Das gelte nicht nur für unterschiedliche Weltbilder, die durch eigene sprachliche Begrifflichkeiten von selbst entstehen. Auch eigentlich Sprachfernes wie etwa die Mathematik leide unter Begrifflosigkeit: Geht die Sprache verloren, so verliere sich auch das Verständnis für Zahlen und Rechenwege. Das scheint tatsächlich belegbar: In vielen Studien zeigte sich, dass beim Lösen einfacher Rechenaufgaben auch Gehirnregionen aktiv werden, deren primäre Funktion in der Verarbeitung der Sprache liegt.
Streng genommen verloren damit die Kandidaten, folgt man buchstabengerecht der "Sapir-Whorf-Hypothese", ja auch die Denkfähigkeit, so sie diese nicht durch vor ihrer Aphasie erworbenen Mechanismen kompensieren können. Auf jeden Fall aber, so die Nullhypothese der Wissenschaftler um Varley, sollten sie nicht mehr rechnen können, wenn denn die Mathematik allein durch Sprache beherrschbar ist.
Die Gehirnverletzungen hatten dazu geführt, dass den Versuchsteilnehmern die Einsicht in die Entschlüsselung von Einschubsätzen ("Hund beißt Mann, der eine Katze streichelte, die eine Maus fraß, die den Käse genascht hat") verloren gegangen ist. Selbst einfache grammatikalische Regeln, die den der Unterschied der Sätze "Hund beißt Mensch" oder "Mann beißt Hund" kodieren, waren nicht länger vertraut – auch wenn die Probanden mit den Wörtern alleine noch eine Bedeutung verbinden konnten.
Mathematisch übersetzt sollten die Kandidaten damit auch keine Einschubregeln der Mathematik beherrschen, also etwa einen Term mit Klammer wie "90 – (3 + 17) x 3" korrekt berechnen können. Und schon der Unterschied zwischen "42 – 13" und "13 – 42" müsste sie überfordern.
Aber falsch gedacht: Stellten die Wissenschaftler den drei Kandidaten tatsächlich entsprechende Aufgaben (mit Ziffern, nicht aber in ausgeschriebenen Zahlen), so waren sie durchaus in der Lage, diese zu lösen. Sprache und Mathematik mögen also ähnliche Regeln haben – offensichtlich aber sind für ihre Verarbeitung unterschiedliche Gehirnareale verantwortlich.
Vielleicht hat aber auch der einstige Spracherwerb der erst später als Erwachsene gehirngeschädigten Kandidaten in der Folge die mathematischen Regeln fest verdrahtet? Nicht auszuschließen, mit dem gewählten Versuchsansatz, aber: Vielleicht war es auch anders herum, und eine gewisse mathematische Grundbegabung mit eigenständigen Regeln hat jene der Sprachen mitgeprägt. Möglicherweise aber bestehen einfach ähnliche Systeme im Gehirn funktional und neuroanatomisch unabhängig mehrfach nebeneinander – und das Gehirn arbeitet weniger hierarchisch von übergeordneten Subroutinen gesteuert als geargwöhnt.
Eine Vorstellung, die durch vielerlei Studien mit bildgebenden Verfahren belegt wird, bei denen Forscher anderen Menschen beim Denken zugeschaut haben. Fast immer aber arbeiten bei komplexen Prozessen gleich mehrere Gehirnregionen. Und nach und nach werden dabei auch Denkhierarchien im Räderwerk offenbar: Die Aktivität mancher Gedankenroutinen scheint geradezu Voraussetzung zu sein für die Funktion des Gesamtsystems. Eine dieser basalen Denkfilter könnte die Sprache des Menschen sein.
Die extremste Meinung zu ihrer Bedeutung formulierten schon vor mehr als fünf Jahrzehnten die Forscher Benjamin Lee Whorf und Edward Sapir: Eine nach ihnen benannte, umstrittene Fundamental-Hypothese geht davon aus, dass die Sprache unser Denken derart fundamental beeinflusst, dass etwas, für dass kein Begriff geformt werden kann, in der Folge undenkbar bleibt.
Das gelte nicht nur für unterschiedliche Weltbilder, die durch eigene sprachliche Begrifflichkeiten von selbst entstehen. Auch eigentlich Sprachfernes wie etwa die Mathematik leide unter Begrifflosigkeit: Geht die Sprache verloren, so verliere sich auch das Verständnis für Zahlen und Rechenwege. Das scheint tatsächlich belegbar: In vielen Studien zeigte sich, dass beim Lösen einfacher Rechenaufgaben auch Gehirnregionen aktiv werden, deren primäre Funktion in der Verarbeitung der Sprache liegt.
Ohne Sprache also keine Mathematik? Forscher um Rosemary Varley überprüften dies nun an denkenden, lebenden Beispielen: Drei Personen, die durch Unfall oder Krankheit große Bereiche ihrer sprachverarbeitenden Gehirnregionen eingebüßt haben. Obwohl in anderen Denkprozessen nicht oder kaum beeinträchtigt, sind diese Versuchsteilnehmer fast völlig aphasisch, also nicht länger zu normaler Sprachwahrnehmung oder -produktion fähig.
Streng genommen verloren damit die Kandidaten, folgt man buchstabengerecht der "Sapir-Whorf-Hypothese", ja auch die Denkfähigkeit, so sie diese nicht durch vor ihrer Aphasie erworbenen Mechanismen kompensieren können. Auf jeden Fall aber, so die Nullhypothese der Wissenschaftler um Varley, sollten sie nicht mehr rechnen können, wenn denn die Mathematik allein durch Sprache beherrschbar ist.
Die Gehirnverletzungen hatten dazu geführt, dass den Versuchsteilnehmern die Einsicht in die Entschlüsselung von Einschubsätzen ("Hund beißt Mann, der eine Katze streichelte, die eine Maus fraß, die den Käse genascht hat") verloren gegangen ist. Selbst einfache grammatikalische Regeln, die den der Unterschied der Sätze "Hund beißt Mensch" oder "Mann beißt Hund" kodieren, waren nicht länger vertraut – auch wenn die Probanden mit den Wörtern alleine noch eine Bedeutung verbinden konnten.
Mathematisch übersetzt sollten die Kandidaten damit auch keine Einschubregeln der Mathematik beherrschen, also etwa einen Term mit Klammer wie "90 – (3 + 17) x 3" korrekt berechnen können. Und schon der Unterschied zwischen "42 – 13" und "13 – 42" müsste sie überfordern.
Aber falsch gedacht: Stellten die Wissenschaftler den drei Kandidaten tatsächlich entsprechende Aufgaben (mit Ziffern, nicht aber in ausgeschriebenen Zahlen), so waren sie durchaus in der Lage, diese zu lösen. Sprache und Mathematik mögen also ähnliche Regeln haben – offensichtlich aber sind für ihre Verarbeitung unterschiedliche Gehirnareale verantwortlich.
Vielleicht hat aber auch der einstige Spracherwerb der erst später als Erwachsene gehirngeschädigten Kandidaten in der Folge die mathematischen Regeln fest verdrahtet? Nicht auszuschließen, mit dem gewählten Versuchsansatz, aber: Vielleicht war es auch anders herum, und eine gewisse mathematische Grundbegabung mit eigenständigen Regeln hat jene der Sprachen mitgeprägt. Möglicherweise aber bestehen einfach ähnliche Systeme im Gehirn funktional und neuroanatomisch unabhängig mehrfach nebeneinander – und das Gehirn arbeitet weniger hierarchisch von übergeordneten Subroutinen gesteuert als geargwöhnt.
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