Redox-Flow-Technologie: Eine gigantische Batterie im Untergrund
Wer vom ostfriesischen Jemgum aus durch das idyllische Rheiderland radelt – ein Stündchen dauert es, dann ist man in den Niederlanden –, sieht saftige Wiesen links und Wiesen rechts. Auch der Wind bläst oft kräftig von der Nordsee her. Doch von der Ressource unterhalb der Grasnarbe bekommt man nichts zu Gesicht: Es sind Löcher, gewaltige Kavernen in Salzstöcken, die darauf warten, mit etwas Nützlichem gefüllt zu werden. Zum Beispiel mit der Flüssigkeit der größten Batterie der Welt.
Genau das wollen Ingenieure im Jemgumer Untergrund bauen: einen Energiespeicher, der mehr Strom bereithält als jede andere Batterie zuvor auf der Welt. Im optimistischsten Szenario wären es 700 Megawattstunden (MWh), das ist so viel, dass man alle 1,8 Millionen Haushalte Berlins für eine Stunde mit Energie versorgen könnte.
Im pessimistischsten Szenario scheitert das gesamte von Jenaer Forschern und dem norddeutschen Energieunternehmen EWE Gasspeicher geplante Projekt schon vor Baubeginn. Denn noch ist keineswegs klar, ob die Technik hält, was die Forschung verspricht. Ebenso unklar ist, ob sich der ehrgeizige Zeitplan halten lässt. Die Inbetriebnahme ihrer Batterie haben die Planer jedenfalls schon einmal um zwei Jahre auf 2025 verschoben.
Wer baut die größte Megabatterie?
Eine Hand voll Wettbewerber konkurrierten um den Titel der weltgrößten Batterie. Der aktuelle Rekordhalter liefert seit Ende 2017 Strom ins australische Netz: Die Lithiumionenbatterie Hornsdale Power Reserve – gebaut von Tesla – hat eine Kapazität von 129 MWh. Eine noch größere hat Siemens in Planung: In Kalifornien sollen es 400 MWh werden. Auch der deutsche Konzern greift dabei auf die Lithiumtechnologie zurück.
Doch wer die Speicherkapazität noch weiter steigern will, stößt mit Lithiumtechnologie bald an Grenzen. Als aussichtsreichster Nachfolger gilt ein Batteriekonzept, das geradezu prädestiniert ist für Megabatterien: der Redox-Flow-Akkumulator. Bei ihm ist die elektrische Energie in zwei Elektrolytflüssigkeiten gespeichert. Mehr Flüssigkeit bedeutet mehr Kapazität. So dass, wer über geräumige Kavernen wie im Jemgumer Untergrund verfügt, enorme Strommengen speichern kann.
Zumindest in der Theorie. Denn die Technologie, die Flüssigbatterien dieser Größe ermöglicht, befindet sich noch im Laborstadium. Weltweit forschen Teams daran, dem System die Kinderkrankheiten auszutreiben und das Redox-Flow-Verfahren fit für Großbatterien zu machen. Eine Anlage mit immerhin 60 MWh Kapazität wird in Japan erprobt. Von den 700 MWh, die für Jemgum angepeilt werden, ist das allerdings noch weit entfernt.
Größter Schwachpunkt aktueller Redox-Flow-Batterien ist ihre Abhängigkeit von einer hochpreisigen Ressource: dem Element Vanadium, das auch in der Stahlindustrie begehrt ist. In Deutschland entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts für Chemische Technologie in Pfinztal ein solches vanadiumbasiertes System. Der Weltmarktpreis für das Material liege derzeit so hoch, dass sie ihre Tanks nur zur Hälfte füllen konnten, erläutert Projektleiter Peter Fischer. Erst im Herbst 2018 wollen sie die restliche Flüssigkeit einfüllen. Zudem ist bei vanadiumbasierten Batterien die Membran, die positiv und negativ geladene Elektrolytflüssigkeit voneinander trennt, auf Grund ihrer Materialanforderungen vergleichsweise teuer.
19 Millionen Euro kalkuliert das Fraunhofer-Team für den Bau der Batterie. Ihr Ziel ist es, die Redox-Flow-Technologie so weiterzuentwickeln, dass sie sich auf effiziente Weise mit einer Windenergieanlage koppeln lässt. Ein solcher Verbund könnte lokal – beispielsweise auf Inseln oder in Energiedörfern – eine komplett autarke Stromversorgung sicherstellen helfen. 20 MWh Kapazität soll das fertige System haben.
Ein Speicher wie ein Kraftwerk
Ähnlich, aber in viel größeren Dimensionen, denken die Macher hinter dem »brine4power« genannten Projekt in Jemgum. Auch sie wollen ihre Megabatterie mit Windkraft kombinieren, allerdings mit einem ganzen Windpark. Für die Batterie haben sie eine Leistung von 120 Megawatt berechnet, bei einem zu erwartenden Wirkungsgrad von mindestens 70 Prozent. Das Gesamtsystem könnte darum die Rolle eines ebenso leistungsfähigen Kraftwerks übernehmen, das jederzeit, also gerade auch bei Windflauten, auf Knopfdruck Energie ins Netz einspeisen kann, aber trotzdem vollständig auf erneuerbare Energien baut. Als »letztes Puzzleteil« in der Energiewende bezeichnen die Projektpartner darum ihr Vorhaben.
Während Raum für neue Pumpspeicherkraftwerke knapp bemessen und teuer ist, stellen die Kavernenbatterien nur moderate Anforderungen an den Standort: Der oberirdische Platzbedarf ist klein, und die Kapazität lässt sich bei Bedarf kontinuierlich erweitern. Denn passende Salzstöcke sind deutschlandweit wesentlich besser verfügbar als Orte, an denen man Seen aufstauen kann.
Die nötigen Kavernen werden künstlich erzeugt, indem man mit Hilfe von Wasser das Salz aus den Lagerstätten herausspült. So entstehen Hohlräume mehrere hundert Meter tief unter der Erde und so groß, dass der Eiffelturm komplett in sie hineinpassen würde. Seit 2013 nutzt man sie in Jemgum als Lager für Erdgas, andernorts werden Kavernen mit Erdöl befüllt. Energieversorger können so im Sommer günstig einkaufen und den Brennstoff im Winter mit Gewinn weiterverkaufen. In Deutschland gibt es im europäischen Vergleich die meisten Kavernen, die EWE betreibt allein 38 solcher Lager. Im ostfriesischen Jemgum nutzt sie acht davon, um Erdgas zu speichern. Sollte ihr Batterieprojekt in die Praxisphase übergehen, müssten zwei davon geräumt werden.
Angesichts dessen ist es kein Wunder, dass auch andere Firmen begonnen haben, ihre Fühler in Richtung Kavernenbatterie auszustrecken. In Ohrensen – 15 Kilometer von der niedersächsischen Stadt Stade entfernt – schwelgt der Chemiekonzern Dow geradezu in einem Überfluss an Platz. Sie könnten nach Medienberichten in ihrer eigenen Kaverne eine Batterie mit noch gigantischeren Ausmaßen bauen. Mit drei Millionen Kubikmetern ist sie fast 30-mal so groß wie die in Jemgum. Ob es so weit kommt, ist allerdings noch fraglich: Derzeit befinde sich das Projekt in einer frühen Untersuchungsphase, teilt Dow auf Nachfrage mit. Auch der niederländische Chemieriese AkzoNobel verfügt in Twente – rund 1,5 Autostunden von Jemgum entfernt – über Salzkavernen und findet das Konzept der Kavernenbatterie nach eigenen Aussagen zumindest »interessant«.
Dass ausgerechnet zwei Chemiefirmen Interesse am Konzept der Kavernenbatterie erkennen lassen, ist kein Zufall. Denn aus ökonomischen Gründen lässt sich eine solche Megabatterie sehr wahrscheinlich nicht mit Vanadium-Elektrolyten realisieren. Der entscheidende Fortschritt, der das Jemgumer Projekt überhaupt erst ermöglicht, ist darum gar nicht so sehr die Idee, unterirdische Salzkavernen zu nutzen, sondern der Einsatz eines gänzlich neuen Speichermediums. Und hier ist die Chemie gefragt.
Die flüssige Kochsalz-Polymer-Batterie
Wie das aussehen könnte, hat eine Jenaer Forschungskooperation zwischen der Arbeitsgruppe um Ulrich Schubert von der Universität Jena und dem Batterieentwickler JenaBatteries im Jahr 2015 in einem Beitrag für das Fachmagazin »Nature« vorgestellt. Ihr Elektrolyt basiert auf Kochsalz, Wasser und speziellen Polymeren. Keine Metallsalze mehr, nur noch Stoffe, die recycelbar und ohne Lieferengpässe kostengünstig verfügbar sind. Im Labor hielten die so konstruierten Batterien ohne große Kapazitätsverluste in einem ersten Test 10 000 Ladezyklen aus. Am Ende sollen es sogar 20 000 Ladezyklen sein. Berechnungen zufolge liegt die Lebensdauer ihrer Entwicklung bei rund 25 Jahren – mehr als doppelt so viel, wie man derzeit für Lithiumionenakkus ansetzt. Mit dieser Langfriststabilität steht und fällt die Rentabilität des Projekts.
»Überstehen die Kunststoffe tatsächlich 20 Jahre Batteriebetrieb und können sie mit einer Kapazität von deutlich unter 50 Euro pro Kilowattstunde hergestellt werden, ist das der richtige Weg, um den Redox-Flow-Batterien zum Durchbruch zu verhelfen«, findet auch Dirk Uwe Sauer von der RWTH Aachen, der selbst an der Entwicklung und Lebensdauer von Batterien forscht.
Auch die Membran ist preiswert. Sie besteht aus einem Material, das in der Trinkwasserfiltration und der Dialyse bekannt ist und schon lange in großer Stückzahl hergestellt wird. Sie muss auch nicht besonders feinporig sein, da die zurückzuhaltenden Polymere anders als Vanadiumsalze vergleichsweise große Moleküle sind.
Größtes Problem: Die erhoffte Kraftbrühe ist noch etwas schwach auf der Brust. Während Lithiumionenakkus mit einer Energiedichte von bis zu 500 Wattstunden pro Liter (Wh/l) aufwarten können, liegen die Elektrolyte der Redox-Flow-Batterien generell schon einmal um den Faktor zehn darunter, auf etwa 30 Wh/l bringen es gebräuchliche Lösungen. Wie hoch ist die Energiedichte der geplanten Jemgumer Megabatterie? Das ist die große Frage, und die gilt es derzeit in realistischen Tests zu ermitteln.
»Alles größer zehn« würde ihm Freude bereiten, sagt Ralf Riekenberg, der das Batterieprojekt für die EWE Gasspeicher leitet. Doch selbst bei 10 oder 11 Wh/l rentiert sich das Vorhaben nur, weil brine4power die gigantische Größe seiner Kavernen ausspielen kann. Zweimal 100 000 Kubikmeter können gefüllt werden. Bisher konnten die Polymere ihre Stärken nur in 50-Liter-Tanks unter Beweis stellen. Dieser »erste wichtige Meilenstein«, so der Projektleiter der EWE, sei gebührend gefeiert worden. Aber viele Fragen bleiben weiterhin offen. »Bevor wir in die Kavernen gehen, wollen wir das Ganze erst mal im Salzbergwerk testen.« Anders als die Hohlräume im Salz der norddeutschen Tiefebene lassen sich diese nämlich auch dann noch auf ihre Standsicherheit inspizieren, wenn sie mit der polymerhaltigen Flüssigkeit gefüllt sind.
EWE Gasspeicher und JenaBatteries haben dann beispielsweise zu klären, ob die aktiven Inhaltsstoffe tatsächlich wie gewünscht langzeitstabil sind. Auch das chemische Verhalten des Elektrolytsystems ist nicht vollständig vorhersehbar. Die Moleküle seien beispielsweise recht anfällig dafür, unerwünschte Nebenreaktionen einzugehen, bemerkt der Fraunhofer-Forscher Peter Fischer. Das könnte dann die Leistungsfähigkeit des Stromspeichers vermindern und auf Dauer Probleme bereiten. Auch der technische Ablauf des Auf- und Entladens birgt Störungspotenzial. Die Flüssigkeit muss ständig hin und her gepumpt werden, sie läuft durch Ventile und passiert die Membran. »Das kann schon super funktionieren, aber nur, wenn alles super sauber ist«, sagt der Batterieexperte Olaf Wollersheim von Solarwatt Innovation. Im ungünstigen Fall könnte die Sole Verunreinigungen aus den Kavernenwänden aufnehmen und die Membran verstopfen.
Ein Pluspunkt bei der Nutzung einer Salzkaverne ist, dass die stark salzhaltige Sole direkt vor Ort anfällt. Dennoch, so nachhaltig das Gesamtsystem sei, meint Riekenberg, »umweltfreundlich ist das nicht«. Die Batterieflüssigkeit – die Jenaer Forscher setzten in ihrer »Nature«-Studie auf die kommerziell erwerblichen Polymere TEMPO und ein Viologen – sollte besser nicht ins Grundwasser geraten. Einige Viologen-Verbindungen können beispielsweise herbizid wirken. Die Wissenschaftler geben, etwas versteckt im Anhang ihrer Veröffentlichung, zu bedenken, dass erste Tests einen gewissen Einblick in die Toxizität gegeben haben, aber langfristige Ökotoxizitätstest und Tierversuche erforderlich seien, um die Auswirkungen der Polymere auf Wildtiere und Pflanzen vollständig zu bewerten.
Eher unwahrscheinlich ist ein Versickern der Flüssigkeit aus der Kaverne selbst. Die größere Gefahr, das zeigen die Erfahrungen mit der Erdöllagerung, lauert im Leitungssystem. 2013 führte beispielsweise ein Leck an einer Verteileranlage in Etzel in der Nähe von Wilhelmshaven zum Austritt von 40 Kubikmeter Rohöl. In Gronau traten an verschiedenen Stellen auf den Äckern bis zu 53 000 Liter Öl aus, nachdem eine Rohrleitung in der Erdölkaverne in 217 Meter Tiefe undicht wurde.
Jede Menge Forschung ist also noch nötig. Und womöglich schafft es ja am Ende eine ganz andere Elektrolytlösung in den Jemgumer Untergrund. »Es gibt ja noch viele andere Varianten«, sagt Riekenberg. Batterieforscher erproben beispielsweise Flüssigkeiten auf Basis von Lignin, einem der häufigsten Bestandteile von Holz, und auf Basis von Chinonen, die ebenfalls in Pflanzen vorkommen. »Diese Verfahren sind noch nicht so weit, aber wir beobachten diese.«
Auch beim aktuellen Zeitplan scheint noch Bewegungsspielraum gegeben. Ursprünglich war die Inbetriebnahme der Kavernen für 2023 geplant, inzwischen wurde sie auf 2025 verschoben. Doch Riekenberg reagiert relativ gelassen auf diese Frage. Bis zum nächsten wichtigen Meilenstein, der Bergwerkserprobung, könne es noch bis 2021 dauern. Aber er sei eben Berufsoptimist, denn »die Energiewende geht nicht ohne Speicher«.
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