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News: Rückblick ins Jahr der Physik

Das Jahr 2000 war das Jahr der Physik. Neben fünf zentralen Veranstaltungen fanden überall in Deutschland an Universitäten, an Forschungseinrichtungen und an Schulen Aktionen und Experimente statt. Viele bekannte und nicht so bekannte physikalischen Phänomene wurden dabei anschaulich erklärt. Aber wie sah es in diesem Jahr mit neuen Erkenntnissen der Grundlagenwissenschaft aus? Welche Entdeckungen konnten in den letzten zwölf Monaten gemacht werden? Blicken wir auf zehn Höhepunkte des Jahres 2000 zurück.
  1. Wechselvolles Jahr am CERN

    Im Nachhinein wird vielleicht vielen Forschern am CERN das Jahr 2000 wie ein Ritt auf einer Achterbahn vorkommen, schließlich stellte es für das europäische Teilchenlabor ein regelrechtes Auf und Ab dar. Gleich zu Beginn des Jahres konnten die Wissenschaftler mit einer fulminanten Entdeckung aufwarten: Sie hatten einen Zustand der Materie hergestellt, von dem man annimmt, dass er kurz nach dem Urknall existierte. In diesem Quark-Gluonen-Plasma befinden sich die Quarks nicht innerhalb von Protonen und Neutronen, wie es normalerweise der Fall ist, sondern wirbeln wild in einem Plasma umher. Seit Juni steht im Brookhaven National Laboratorys der Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC) zur Verfügung. Mit ihm wollen die Teilchenphysiker die Eigenschaften des Quark-Gluonen-Plasma im Detail untersuchen.

    Seit dem Sommer hat am CERN eine Fabrik für Antimaterie ihren Betrieb aufgenommen, der so genannte Antiproton Decelerator. Er liefert Antiprotonen für drei Experimente, in denen die Unterschiede zwischen Materie und Antimaterie erforscht werden sollen. Wissenschaftler hoffen auch zu klären, wieso das Universum heute in erster Linie aus Materie besteht, obwohl man davon ausgeht, dass beim Urknall gleiche Mengen an Materie und Antimaterie entstanden.

    Im Herbst meinten Physiker am CERN endlich das Higgs-Boson gesehen zu haben. Endgültige Sicherheit gab es jedoch nicht. Dazu wären weitere Experimente notwenig gewesen. Das Dilemma war allerdings, dass der Large Electron Positron Collider (LEP) ausgedient hatte und Ende des Jahres abgeschaltet werden sollte; schließlich soll in demselben Tunnel, in dem LEP Collider bislang sein Zuhause hatte, der neue Large Hadron Collider gebaut werden. Immerhin bekam der LEP Collider noch eine Verlängerung von fünf Wochen, doch das Geheimnis des Higgs-Bosons konnte er nicht mehr klären, und so begannen Ingenieure am 13. Dezember ihn auseinander zu nehmen.

  • Tau-Neutrino entdeckt

    Auch auf der anderen Seite des Atlantiks waren Physiker mit Elementarteilchen schwer beschäftigt. Ein internationales Forscherteam hat am Fermilab in den USA erste Anzeichen für das Tauon-Neutrino, auch Tau-Neutrino genannt, gefunden. Dabei handelt es sich um das fehlende Puzzlestück im Standardmodell, welches den Aufbau aller Materie aus nur wenigen elementaren Teilchen erklärt. Im Juli fand die Gruppe die Spur des unscheinbaren Teilchens nach einer bis dahin drei Jahre andauernden Suche mit einem Experiment, das den Namen DONUT für Direct Observation of the Nu Tau trägt. Damit sind nun alle zwölf Teilchen des Standardmodells experimentell nachgewiesen – sechs Quarks, drei Leptonen und drei Neutrinos.

  • Schrödingers Katze hat ihren Auftritt

    Die Fähigkeit eines Teilchens, an zwei Orten zugleich auftauchen zu können, ist eine der zentralen Aussagen der Quantentheorie, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feierte. Erwin Schrödinger hatte dazu ein Gedankenexperiment formuliert, das als "Schrödingers Katze" bekannt ist: Eine Katze kann in diesem Experiment gleichzeitig tot und lebendig sein – sie lässt sich beschreiben als die quantenmechanische Superposition makroskopischer Zustände. In diesem Jahr ist es gleich zwei Gruppen gelungen, eine derartige makroskopische Superposition nachzuweisen. Keine Angst, Tiere mussten hier nicht leiden, denn sowohl das Team an der State University of New York als auch das an der Technical University in Delft haben an einem supraleitenden Ring gezeigt, dass ein Strom von der Stärke einiger Mikroampere in entgegengesetzte Richtungen gleichzeitig fließen kann.

  • Siliziumlaser in den Startlöchern

    Im November haben Physiker von der University of Trento eine Hürde auf dem Weg zum Siliziumlaser genommen. Ihnen ist es gelungen, die Lichtintensität in einem Nanokristall aus Silizium stark zu erhöhen – die Grundvoraussetzung für Laserlicht. Die elektronische Struktur "normaler" Siliziumkristalle mit makroskopischen Abmessungen ist nicht für die Lichtemission geeignet, aus diesem Grund verwendet die Industrie lieber andere Materialien. Diese haben jedoch den Nachteil, dass sie sich schlecht mit der bestehenden Mikroelektronik vertragen, die auf Silizium aufbaut. Ein Siliziumlaser ist deshalb von der Halbleiter- und Telekommunikationsindustrie heiß begehrt.

  • Lichtgeschwindigkeit überflügelt?

    Alle Jahre wieder geistert die Meldung durch die Presseagenturen, dass jemand die magische Grenze der Physik, die Lichtgeschwindigkeit, durchbrochen hat. So geschah es auch im Juli als Lijun Wang und seine Mitarbeiter am NEC Research Institute in Princeton ein Experiment vorstellten, bei dem sich ein Laserpuls mit 300facher Lichtgeschwindigkeit fortbewegt haben soll. Allerdings musste keine Theorie neu geschrieben werden, die Physik hat sich seitdem auch nicht geändert. Der Effekt lässt sich mit herkömmlicher Physik erklären und steht nicht im Widerspruch zu ihr, es handelt sich vielmehr um ein geschickt aufgebautes Experiment: Die Forscher schickten die Laserpulse in eine Zelle, die mit Cäsium-Gas gefüllt war. Zwei weitere Laser und ein Magnetfeld versetzten das Gas in einen angeregten Zustand. Durch einen Effekt, den Physiker als anormale Dispersion bezeichnen, kommt es zu einer Verschiebung des Maximums des eintretenden Lichtimpulses. Das ist an sich nichts Besonderes, lässt sich allerdings je nach Definition des Begriffs "Information" als Überlichtgeschwindigkeit interpretieren.

  • Organische Materialien auf dem Vormarsch

    Das Jahr 2000 bescherte uns einige neue organische Materialien, mit guten optischen und elektronischen Eigenschaften. Sie sind vielfach einfacher und damit auch günstiger herzustellen, als konventionelle anorganische Materialien. Den Anfang machten Forscher der Princeton University, sie entwickelten ein Display auf Basis eines organischen Halbleiters. Es besteht dabei aus mehreren hauchdünnen Lagen eines organischen Materials, das bei angelegter Spannung Licht emittiert.

  • Unterdessen stellte eine Gruppe an den Bell Laboratories einen Laser auf Basis von Tetracen vor, einem organischen Material, das aus vier verbundenen Benzolringen aufgebaut ist. Zum ersten Mal ist es so gelungen, einen organischen Laser herzustellen, der mit Strom betrieben wird und den nicht ein weiterer Laser zur Lichtemission anregt. Dies ist ein Durchbruch, da damit die Voraussetzung für praktische Anwendungen geschaffen wurde. Nur einen Monat später gelang es der gleicher Gruppe, bei Tetracen und anderen Acenen auch Supraleitung nachzuweisen.

  • Neues aus der Astrophysik

    Auch für die Astrophysik und Kosmologie stellte 2000 ein ereignisreiches Jahr dar. Schon im Februar meinten Physiker am Gran Sasso Laboratory, die Teilchen der legendären Dunklen Materie gefunden zu haben. Diese schwach wechselwirkenden Teilchen – kurz WIMPs genannt – sorgten für allerlei Diskussionsstoff, schließlich lieferten amerikanische Experimente ganz andere Ergebnisse.

    Später im Jahr fanden Wissenschaftler heraus, dass unser Universum flach ist und sich auf ewig ausdehnen wird. Zumindest zeigten die Experimente Boomerang und Maxima bei der Vermessung der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung unabhängig voneinander das gleiche Resultat.

  • Schließlich identifizierten Astonomen der University of California in Los Angeles die wohlbekannte Radioquelle Sagittarius A* als Schwarzes Loch inmitten unserer Galaxie. Kurz danach entdeckte ein internationales Team von Astrophysikern das fehlende Glied zwischen den supermassiven und den kleinen Schwarzen Löchern, die gerade mal ein paar Sonnenmassen auf die Waage bringen.

  • Wasser allenthalben

    Auch in der Nähe unseres Heimatplaneten innerhalb unseres Sonnensystems konnten die Astonomen dieses Jahr so manches entdecken. Die Raumsonde Galileo fand auf dem Jupitermond Europa und jüngst auch auf Ganymed einen deutlichen Hinweis auf ein verborgenes Salzmeer unter der Eiskruste. Auch der Mars, unser Nachbarplanet, offenbart uns immer wieder Zeichen seiner nassen Vergangenheit. Erst im Dezember entdeckten Wissenschaftler Sedimentschichten, die eventuell auf Ablagerungen von Seen und Wasserströmen zurückzuführen sind.

  • Wasserstoff superfluid
  • Während viele Materialien ihren elektrischen Widerstand unterhalb einer bestimmten Temperatur verlieren und supraleitend werden, kannte man bislang nur zwei Materialien, die ihre Viskosität, also ihre Reibung, bei tiefen Temperaturen verlieren und superfluid werden. Die beiden Substanzen Helium-3 und Helium-4 haben Gesellschaft bekommen. Auch Wasserstoff wird unter bestimmten Bedingungen superfluid. Physiker des Max-Planck-Instituts für Strömungsforschung in Göttingen und der Russian Academy of Science haben in diesem Jahr gezeigt, dass Cluster bestehend aus etwa 15 Molekülen aus Parawasserstoff bei Temperaturen zwischen 0,38 und 0,15 Kelvin superfluid werden.

  • Vibrationen im Großen und Kleinen

    Erschütterungen und Vibrationen verschiedener Natur haben drei physikalische Entdeckungen dieses Jahres miteinander gemeinsam. Im ersten Beispiel handelt es sich um ausgewachsene Beben: Forscher der University of California in Los Angeles entdeckten, dass bestimmte geologische Strukturen als akustische Linse wirken können. Sie berichteten im September, dass eine solche Linse die Erschütterungen eines Erdbebens an einen 21 Kilometer vom Epizentrum entfernten Ort fokussieren können und dort ein weitaus stärkeres Beben der Erde bewirken, als man unter normalen Umständen erwartet.

    Ebenfalls im September stellten Physiker der Hong Kong University of Science and Technology mit einer Art "Schallkristall" eine nahezu perfekte akustische Isolation mit nur wenigen Zentimetern Dicke her. Schallwellen konnten das Material kaum durchdringen, sie wurden fast vollständig absorbiert. Normalerweise sind dazu ungleich dickere Materialschichten nötig.

    Zu guter Letzt fanden Physiker der University of Twente heraus, dass der so genannte Pistolenkrebs seine Beute mit einer Schockwelle betäubt, die er durch kollabierende Luftblasen erzeugt. Dieses Prinzip der Kavitation hat der kleine Meeresbewohner zum Beutefang perfektioniert. An anderer Stelle tritt ein ähnliches Phänomen auf, allerdings nicht gewünscht: Schiffsschrauben und Turbinenschaufeln bekommen die ständigen Explosionen, hervorgerufen durch die hohe Drehzahl, nämlich überhaupt nicht.

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