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News: Scharfe Augen

Verlässt eine Winkerkrabbe zum Fressen ihre Behausung, wacht sie mit scharfen Augen darüber, dass sich zwischenzeitlich kein ungebetener Gast dort einnistet. Um rechtzeitig vor einem Eindringling an Ort und Stelle zu sein, muss sie dessen Entfernung einschätzen können - eine schwierige Aufgabe für ein Tier, das kaum räumlich sehen kann.
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Die Wohnungsnot scheint groß unter Winkerkrabben – oder der Neid auf gemütlichere Behausungen: Jedenfalls kann ein Tier kaum seinen Unterschlupf verlassen, ohne dass nicht ein Rivale versucht, sich schnellstens dort einzunisten. Treibt ein knurrender Magen die Bewohner aus ihrem Haus, müssen sie daher ständig darüber wachen, ob sich ein unerwünschter Besucher ihrem Heim nähert und im Falle eines Falles schleunigst und vor allem rechtzeitig zurückkehren.

Allerdings ist der richtige Moment gar nicht so einfach abzupassen, schließlich gilt es, die eigene Entfernung zur Behausung gegenüber der Distanz des konkurrierenden Artgenossen einzuschätzen. Räumliches Sehen erleichtert die Aufgabe, doch damit sind Winkerkrabben weniger gesegnet: Ihre nahe beieinander liegenden, gestielten Komplexaugen liefern ihnen nur einen niedrig aufgelösten Eindruck der Umgebung mit geringer Tiefenwirkung.

Und doch können sie einen ungewollten Umzug meist verhindern, wie Versuche von Jan Hemmi und Jochen Zeil zeigen. Die beiden Forscher der Australian National University narrten die Tiere mit Attrappen, die sie an einem Faden auf den Bau der Winkerkrabben zu oder davon weg bewegten. Mithilfe von Videoaufnahmen analysierten sie, bei welcher Distanz die Tiere reagierten und zu ihrer Behausung zurückkehrten.

Verblüffenderweise schien es eine Art allgemeine Entfernungsgrenze bei knapp 24 Zentimeter zu geben, an der sich die Winkerkrabben schließlich in Bewegung setzten – und zwar je nach Annäherungsrichtung des potenziellen Störenfriedes und eigener Entfernung von der Behausung entweder gemächlich oder im Laufschritt. Befand sich das gefährdete Heim zwischen den Tieren und den Attrappen, spurteten sie meist ein wenig früher los, doch der Unterschied lag bei nur fünf Zentimetern. Entfernte sich die Attrappe von den Bauten, blieb die Winkerkrabbe beruhigt, wo sie war.

Die statistische Auswertung der Daten zeigte, dass tatsächlich die Distanz zwischen sich näherndem vermeintlichen Artgenossen und Behausung der ausschlaggebende Faktor für eine Reaktion ist und nicht etwa die Entfernung zwischen dem Eindringling und der Krabbe selbst. Dies bedeutet, dass die Tiere für ihre Distanzschätzung nicht sich selbst als Bezugspunkt nehmen, sondern einen unabhängigen Punkt im Raum – ihren Unterschlupf. Das ist beeindruckend für ein Lebewesen, das sich in einer für sich selbst vorwiegend zweidimensional erscheinenden Welt bewegt.

Wie vollbringen sie diese unerwartete Leistung? Die Wissenschaftler vermuten, dass die Tiere auf zwei Faktoren achten: die Distanz zwischen Krabbenzuhause und Eindringling sowie dessen Bewegungsrichtung relativ zur Wohnhöhle. Entfernen sich die Tiere von ihrem Heim, bleibt ihre Körperlängsachse stets parallel zur Fortbewegungsrichtung. So können sie ihr Schlupfloch immer mit dem lateralen Teil der Retina im Auge behalten.

Hemmi und Zeil schlagen vor, dass hier einzelne Neuronen sitzen, die für einen relativ weiten Blickwinkel empfindlich sind und auf Bewegungen reagieren. Gleichzeitig werden diese Nervenzellen zunehmend empfindlicher, je näher sie am Abbild der Wohnhöhle liegen, das sich ja durch das Beibehalten der Körperachse nicht ändert. Entfernen sich die Tiere nun von ihrer Behausung, verzerrt sich das Abbild und das Verhältnis von Objekten zueinander auf der Retina, da sich der Winkel verkleinert. Besitzen die Tiere also verschiedene Nervenzellen, die jeweils für einen bestimmten Abstand geeicht sind, können sie aus dem entsprechend reagierenden Neuron sowohl die eigene Entfernung zu ihrer Behausung als auch die Entfernung eines potenziellen Eindringlings ableiten.

Um zu entscheiden, ob sich ein vermeintlicher Rivale nähert oder entfernt, bieten sich den Tieren dann zwei Möglichkeiten. Entweder werten sie einfach eine Signalserie aus: Nähert sich ein Artgenosse dem Unterschlupf, dann werden die Signale der Neuronen immer stärker, da zunehmend empfindlichere Nervenzellen feuern. Andererseits könnten sich die Tiere auf nebeneinander angeordnete Bewegungsdetektoren verlassen, die ihre Information an die Neuronen weitergeben. Ganz ähnlich geschieht dies bei Tieren, die mittels optischem Fluss – also der Veränderung des wahrgenommenen Untergrundes auf ihrem Weg – Entfernungen und absolute Positionen erfassen.

So verhelfen den Winkerkrabben zwei einfache Verfahren, sich in der komplizierten dreidimensionalen Welt zurechtzufinden – und ihr geliebtes Zuhause gegen unliebsame Konkurrenten rechtzeitig zu verteidigen.

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