Geschmackssinn: Schmeckt uns Fett?
Wohl jeder hat ein Lieblingsessen. Doch nur wenige Menschen vermögen zu erklären, warum ihnen gerade der Apfelstrudel von Oma oder die Currywurst vom Imbiss um die Ecke so gut munden. Und auch die Erforschung des Geschmacks ist eine erstaunlich junge Disziplin. Erst seit rund 15 Jahren interessieren sich Wissenschaftler überhaupt dafür. Seither wurden nach und nach die fünf Geschmacksrichtungen süß, salzig, sauer, bitter und umami (fleischartig) entschlüsselt, welche Antennenmoleküle auf den Tausenden von Geschmacksrezeptorzellen der Zunge das Signal aufnehmen, wie diese Information dann in der Zelle weiterverarbeitet und ans Gehirn gesendet wird.
Wenig verstanden allerdings ist, wie Geschmacksqualitäten und -intensitäten verschlüsselt sind, wie das Gehirn also etwa das Signal "süße Flüssigkeit" beim Genuss von Limonade vermittelt. Klar ist hingegen, dass der Geschmackssinn vor allem giftig und wenig nahrhaft (bitter, sauer) von ungiftig und kalorienhaltig (süß, salzig, umami) unterscheiden soll. Das hedonistische Vergnügen ist sozusagen eine Beigabe der Natur, damit wir gerne essen und nicht verhungern.
Immer deutlicher wird auch, dass wir nicht nur auf der Zunge schmecken, sondern dass auch der Geruchssinn eine entscheidende Rolle spielt, mit dem diverse Aromen aus den Speisen identifiziert werden. Und auch der Trigeminus, ein Nerv, der den Mund- und Nasenraum durchzieht, vermittelt bestimmte Geschmacksnoten, etwa ein pelziges, zusammenziehendes Gefühl, ausgelöst durch bestimmte Gerbsäuren beispielsweise aus Rhabarber oder Tee oder durch den Geschmack von Alkohol. Zudem spielen das Mundgefühl, also der Tastsinn, und auch die Farbe des Essens eine wichtige Rolle, damit von Köstlichkeiten die Rede ist. Vor allem wenn wir fette Speisen wie Schokolade konsumieren, ist wohl das cremige, weiche Mundgefühl hauptverantwortlich für das Geschmackserlebnis.
Fette sind Geschmacksträger
Auch hier ist der Geruchssinn wichtig, da flüchtige Aromastoffe aus Lebensmitteln oft fettlöslich sind: Fette sind Geschmacksträger. Bislang gilt "fett" nicht als eigenständiger Geschmackssinn. Doch nun behaupteten kürzlich US-Forscher um Richard Mattes von der Purdue University, in einer Studie nachgewiesen zu haben, dass "fettig" eine eigene Geschmacksrichtung sei, und sie haben dem Kind auch gleich einen Namen gegeben: Oleogustus. Was steckt dahinter? Bereits 2011 hatte Wolfgang Meyerhof vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (Dife) Rezeptoren (GPR40 und GPR120) auf der menschlichen Zunge gefunden, an denen ganz spezifisch nur Fettsäuren in freier Form andocken können. Fettsäuren sind neben Glyzerinen die Bausteine von Triglyzeriden, wie sie sich in Öl, Butter und Schmalz tummeln. Dass es entsprechende Sinneszellen für diese Fettbausteine auf der Zunge gibt, die zudem nur ein bestimmtes Geschmackssignal erkennen, ist sozusagen die Mindestvoraussetzung, um überhaupt von einer eigenständigen Grundgeschmacksart sprechen zu können. Süßgeschmack wird etwa von Zuckermolekülen ausgelöst, umami von zwei bestimmten Aminosäuren, wie sie vor allem in tierischen Lebensmitteln stecken. Die Meyerhof-Studie bildete den Grundstein, um in dieser Richtung weiterzuforschen.
Nun hat der US-Wissenschaftler Mattes Tests mit 28 Feinschmeckern durchgeführt, wobei alle Geschmacksrichtungen verkostet wurden, und zwar gleichermaßen aufbereitet, so dass sich die 15 Proben weder in Farbe, Geruch oder Mundgefühl unterschieden. So fand sich etwa Ölsäure, Zitronensäure, Glutamat, Koffein oder auch Glukose in den Testgläsern, und zwar in Mengen, wie sie in Lebensmitteln vorkommen. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Testesser konnte fett als eigenständige Geschmacksrichtung erkennen, die definitiv anders als die fünf bereits bekannten Geschmäcker waren. In einem zweiten Test mit mehr als 100 Probanden wurde fett hingegen nur herausgeschmeckt, wenn die Vergleichsproben bitter, sauer oder umami waren. "Bislang wurde reiner Fettgeschmack in solchen Tests oft als bitter oder sauer beschrieben – einfach weil dieser als unangenehm empfunden wird", berichtet Mattes. "Vor allem kurzkettige Fettsäuren schmecken sauer, während langkettige eine andere Sensation hervorrufen." Damit ist ein weiteres Kriterium auf dem Weg zur Eigenständigkeit des Fettgeschmacks erfüllt. "Fett müsste als sechster Geschmackssinn berücksichtigt werden", fordert Mattes. Zahlreiche Medien titelten angesichts der Studie sogar, dass Fett nun "offiziell" als sechster Geschmackssinn anerkannt sei.
Welche Eigenschaften muss ein Geschmackssinn erfüllen?
Das ist jedoch nicht der Fall. Wolfgang Meyerhof sagt etwa, dass es noch zu früh sei, dem Fettgeschmack den Rang einer eigenen Qualität einzuräumen. Dazu fehlten noch andere Faktoren. Wenn es etwa neben der über die Geschmackszellen vermittelten Reize auch ein über den Trigeminus übertragenes Signal gebe, wäre dies ein Ausschlusskriterium. Studien in der Vergangenheit haben bereits gezeigt, dass Fettsäuren den Trigeminus stimulieren. Zudem müsse man noch nachweisen, dass das durch den Fettrezeptor ausgelöste Signal über spezialisierte Geschmackszellen und nachfolgende Nervenbahnen ans Gehirn weitergeleitet wird. Auch Hubert Preißl, Mediziner an der Universität Tübingen, der kürzlich einen Übersichtsartikel zum Stand der Forschung zum Thema "Fettwahrnehmung" verfasst hat, meint: "Ich denke, die Frage nach dem Fettgeschmack ist sicher noch nicht abschließend geklärt."
Allerdings gibt es keine einhellige Meinung in der Wissenschaftsgemeinde, welche Eigenschaften ein Geschmackssinn genau erfüllen muss, um als solcher benannt zu werden. Darauf weist Mattes bei Kritik an seinen Schlussfolgerungen hin. Er gibt jedoch zu, dass es noch mehr Studien mit mehr Testpersonen geben müsse, um seine Ergebnisse zu untermauern und die Frage endgültig zu klären. Derzeit werden von seiner Arbeitsgruppe Daten von Tausenden von Probanden ausgewertet. Ein wichtiger Hinweis, dass Fett eigene Geschmacksnoten aufweist, lieferte eine Studie aus dem vergangenen Jahr, die Meyerhof selbst gemeinsam mit Forschern der TU München durchgeführt hatte. Sie wiesen darin nach, dass es Fett spaltende Enzyme in Speicheldrüsen der menschlichen Zunge gibt. Diese Lipasen arbeiten vermutlich so schnell, dass der Triglyzeridverbund vor Ort aufgelöst wird und die Fettsäuren als freie Moleküle von den Rezeptoren erkannt werden könnten. "Die Studie weist das Vorkommen dieser Enzyme in direkter Nähe zu den Geschmacksknospen nach und liefert damit weitere Indizien, dass Menschen Fette geschmacklich wahrnehmen können", schrieben die Studienautoren damals.
Menschen könnten trainiert werden, Fett besser zu schmecken
Doch warum ist es überhaupt wichtig, im Detail zu verstehen, wie wir Fett schmecken? Fetthaltige Lebensmittel stehen im Ruf, dick zu machen. "Schließlich weisen sie mit neun Kalorien pro Gramm Fett die höchste Kalorienzahl auf", sagt Preißl. Kohlenhydrate und Eiweiße liefern nur vier Kilokalorien pro Gramm Nährstoff. Zudem kommt Fett in vielen Lebensmitteln vor. Die Forscher hoffen daher mit dem Verständnis, warum genau Pommes und Co so gut ankommen, den steigenden Übergewichtsraten Paroli zu bieten. So zeigten Experimente, dass die Geschmacksrezeptoren eines Menschen abhängig von dessen genetischer Ausstattung sehr unterschiedlich auf Reize reagieren. Menschen, die Fett im Essen kaum bemerken, konsumieren größere Kalorienmengen als Fettsensibelchen, die in Schmalzbrot, Bratenkruste und Pommes auch schnell die ranzigen, unangenehmen Töne wahrnehmen. Letztere sind auch tatsächlich schlanker. "Zwar gibt es keinen Beweis, dass hier eine Kausalkette besteht, aber trotzdem sind dies Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen genetischer Variabilität der Rezeptoren und verschiedenen Krankheiten", schreibt Mattes. Erste Experimente zeigten, dass wenig sensible Probanden trainiert werden können, Fette stärker zu schmecken.
Wäre Fett als sechster Geschmackssinn anerkannt, könnte man Lebensmittel entwickeln, die auch mit weniger Fett gut munden. Denn bislang werden fettreduzierte Lebensmittel vor allem so designt, dass sie ein cremiges Mundgefühl imitieren. Aber wenn auch Fett selbst nach etwas schmeckt, dann könnte das erklären, warum Lightprodukte oft bei den Verbrauchern wenig Anklang finden.
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