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Künstliche Intelligenz: Schneller gedacht und alles gewusst

Ein Supercomputer tritt live im Wissensquiz gegen menschliche Experten an: Noch will "Watson" nur spielen, aber schon bald könnte er die Suchmaschinentechnologie revolutionieren.
IBMs Superrechner Watson
"Für meine Begriffe ist das ein historischer Moment", sagt Oren Etzioni, der Direktor des Turing Centers an der University of Washington in Seattle. "Ich habe damals Garri Kasparow gegen Deep Blue antreten sehen. Das ist absolut die gleiche Liga."

Update vom 17.02.: Das Endergebnis ist mittlerweile bekannt: Watson hat erwartungsgemäß seine Gegener in der letzten Runde deklassiert. Bis zum Ende von Runde 3 erspielte sich der Rechner die Gewinnsumme von einer Million Dollar. Jennings landete bei 300 000 Dollar, Rutter bei 200 000.
Wie Etzioni geht es derzeit vielen Künstliche-Intelligenz-Forschern. An den Instituten herrscht eine Stimmung wie sonst nur zur Fußball-WM: Man trifft sich, um gemeinsam die Fernsehübertragung des Duells zwischen Mensch und Maschine anzuschauen. "Watson", der Supercomputer aus dem Hause IBM, tritt gegen zwei menschliche Kontrahenten an. Zwei Runden sind bereits über den Sender gegangen, das Finale findet am Mittwochabend US-amerikanischer Zeit statt.

Gespielt wird "Jeopardy!". Die Quizshow war vor einigen Jahren auch im deutschen Fernsehen zu sehen: Die Teilnehmer bekommen dabei die Fragen in Antwortform gestellt ("Dieser Fluss fließt durch München.") und müssen die passende Frage finden ("Was ist die Isar?"). Für Watson heißt das nicht nur die relevanten Fakten zu ermitteln, sondern auch die Wortspiele, Raffinessen und Doppeldeutigkeiten zu verstehen, die das Quiz erst interessant machen.

Quizkönig im Untergeschoss | Eine eigene Etage nimmt der Parallelrechner mit vollständigem Namen "BlueGene Watson" ein – seine Hardware ist auf 20 Schränke verteilt.
Und das in Echtzeit: In der Zeit, die Showmaster Alex Trebek benötigt, um den Hinweis laut vorzulesen, analysiert ihn Watson bereits mit Hilfe seiner über 2800 Prozessoren und gleicht das Resultat mit einem riesigen Inventar aus Fakten und Regeln ab. Die hat er sich durch Bücherstudium beigebracht. Nicht nur Enzyklopädien, sondern beispielsweise auch eine gesamte Shakespeare-Komplettausgabe hat er zur Vorbereitung gewälzt.

Fast uneinholbar vorn

Dabei schätzt er für verschiedene Antwortmöglichkeiten, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie zutreffen, und entscheidet schließlich, ob er sich sicher genug ist, um den Buzzerknopf zu drücken. Denn um gewinnen zu können, muss Watson entweder schneller sein als seine Kontrahenten Brad Rutter und Ken Jennings, oder ihnen den Vortritt lassen und darauf hoffen, dass die beiden, die als Jeopardy-Teilnehmer bereits Millionen Dollar gewonnen haben, einmal daneben liegen.

Nach derzeitigem Stand deutet alles darauf hin, dass IBM wie schon 1997 gegen Schachgroßmeister Kasparow einen legendären Sieg verbuchen können wird: Rutter und Jennings bleibt nur noch eine einzige Chance, ihren mittlerweile beträchtlichen Rückstand aufzuholen. Während Watson in der ersten Runde noch mit Rutter gleichauf lag (beide 5000 Dollar Gewinnsumme), zog er in der Dienstag ausgestrahlten Runde Zwei des schon im Januar aufgezeichneten Matchs davon: Er erspielte sich über 35 000 Dollar; Rutter dagegen nur 10 000. Jennings liegt mit 5000 Dollar abgeschlagen auf Platz drei.

Auf den ersten Blick mag der Wettkampf wie Spielerei aussehen, doch viele Informatiker halten Watson für einen bedeutenden Fortschritt der Künstlichen Intelligenz. Die ihm zu Grunde liegende Technologie könnte, so die Hoffnung, demnächst Suchmaschinen auf ein neues Level hieven und damit beispielsweise Wissenschaftlern ermöglichen, in ihrem Forschungsfeld immer auf dem neuesten Stand zu bleiben.

Den Enthusiasmus teilen allerdings nicht alle: Watson versuche erst gar nicht, den "gesunden Menschenverstand" nachzubilden, logisch zu schlussfolgern oder sich die Zukunft vorzustellen, meint Patrick Winston vom Massachusetts Institute of Technology. Infolgedessen lässt ihn das Abschneiden des Computers kalt: "Ich gehe heute früh ins Bett und schaue mir dann die Wiederholung an."

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil

Der Superrechner ist ein Ergebnis des DeepQA-Projekts, bei dem IBM erforscht, wie ein Computer dazu gebracht werden kann, auf Fragen in natürlicher Sprache mit vollständigen, englischen Sätzen zu antworten. Dazu muss die Maschine sowohl Art und Inhalt der Frage verstehen, als auch seinerseits die Antwort in eine verständliche Formulierung kleiden können.

Das Vorhaben ist nicht ganz neu: Zahlreiche andere Projekte verfolgen ähnliche Ziele, wie zum Beispiel das 1984 gestartete Cyc, das mittlerweile von der Firma Cycorp im texanischen Austin betrieben wird. Es leidet allerdings darunter, dass alle Daten und Fakten, die der Computer wissen soll, von Menschen einzeln und per Hand einprogrammiert werden müssen.

Andere Projekte, etwa das "Never-Ending Language Learning-System" (NELL) der Carnegie-Mellon University in Pittsburgh und Etzionis eigenes KnowItAll, versuchen wie DeepQA dem Computer das Bücherlesen beizubringen. Interesse daran haben nicht nur Suchmaschinenbetreiber: Einen Großteil der Forschungskosten steuert die DARPA, die Förderungsstelle des US-Militärs, bei.

Anders als die meisten anderen, sagt Etzioni, habe sich IBM nur auf eine ganz spezifische Situation – das Gewinnen bei Jeopardy! – konzentriert und dann viel Zeit und Energie darauf verwendet, die oft raffiniert formulierten Hinweise des Showmasters zu interpretieren, eine Datenbank im Umfang von rund einer Million Büchern aufbauen und schließlich die Leistung des Systems soweit hochzufahren, dass es die Antworten nun innerhalb weniger Sekunden liefert. Neben den auf 90 Server verteilten Prozessorkernen macht ein satte 16 Terabyte großer Hauptspeicher dem Rechner Beine.

Wissenschaftlern unter die Arme greifen

Detaillierte Informationen darüber, wie Watson genau funktioniert, hält IBM noch unter Verschluss. Aber Etzioni schätzt, dass die Software auf ähnliche Art und Weise Daten aus Büchern sammelt wie sein eigenes KnowItAll-System. Dass DeepQA in nur wenigen Jahren das erreicht habe, was Cyc seit den 1980ern probiere, sei eine eindrucksvolle Leistung.

"Wie damals bei Deep Blue geht es auch bei Watson darum, den letzten Schrei in der Hardwaretechnik mit dem letzten Schrei in der Softwareentwicklung zusammenzubringen", erläutert Henry Kautz, Informatiker von der University of Rochester und Präsident der Association for the Advancement of Artificial Intelligence im kalifornischen Menlo Park. Auch er zeigt sich von Watson beeindruckt.

Etzioni geht davon aus, dass Computerprogramme, die natürliche Spracheingaben verarbeiten können, innerhalb der nächsten fünf Jahre der Suchmaschinentechnologie ihren Stempel aufdrücken werden – ungeachtet der Tatsache, dass Systeme wie Watson derzeit noch nicht auf den Kunden losgelassen werden könnten. Microsoft habe beispielsweise im Jahr 2008 für 100 Mio. US-Dollar die Sprachverarbeitungsfirma Powerset übernommen, erklärt der Forscher, "aber noch hört und sieht man nichts davon."

Auch Kautz hält es für wahrscheinlich, dass Systeme mit dem Funktionsumfang und der Leistung von Watson für die Öffentlichkeit zugänglich sein werden – und zwar "überraschend bald. Sagen wir mal in drei bis vier Jahren."

Danke, kein Bedarf?

Etzioni forscht an Suchmaschinen, die speziell auf die Bedürfnisse von Wissenschaftlern zugeschnitten sind, die die Masse an Daten und Erkenntnissen, die tagtäglich in ihrem Fach produziert werden, nicht mehr überblicken können. Geht es nach dem Informatiker sollen sie eines Tages einfach fragen können: "Welche zehn Gene werden momentan am stärksten in der Krebsforschung untersucht?" und bekämen eine Antwort, ohne erst die gesamte Literatur sichten zu müssen.

Aber es gibt auch kritische Stimmen. So bemängelte kürzlich der kanadische Schriftsteller Malcolm Gladwell in einer Diskussion über die Zukunft der Suchmaschinentechnologie, viele aktuelle Projekte würden Probleme lösen, "die gar keine Probleme sind. Sie können mir nicht ein einziges intellektuelles Unterfangen, eine Innovationsbranche oder was auch immer zeigen, das auf Grund unzureichender Suchtechnologie nicht vorankommt. Können wir wirklich und ernsthaft zu einem Wissenschaftler gehen und ihm sagen, wir können Krebs nicht heilen, weil du keinen Zugang zu Information über Krebsforschung hast? Nein!"

Bei Etzioni sorgen solche Aussagen für Heiterkeit: "In meinen Augen ist das genauso kurzsichtig wie damals die Bemerkung, es gäbe auf der Welt lediglich Bedarf für fünf Computer." Die Aussage stammt von IBM-Gründer Thomas Watson – just nach ihm ist jetzt der Computer benannt, der die phänomenalen Fähigkeiten von Suchmaschinen unter Beweis stellen soll.

"Es werden zurzeit Detailerkenntnisse in immensem Ausmaß produziert, insbesondere in den Lebenswissenschaften, und schnell wird man als Forscher einfach abgehängt", sagt Etzioni. Die "Killer-App", das Programm, das der Technologie zum endgültigen Durchbruch verhilft, habe man zwar noch nicht, gibt er zu. "Aber ich kann reden, mit wem ich will – ich werde um Hilfe regelrecht angefleht."

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