Immunologie: Selbstmord fürs Gemeinwohl
Manche weißen Blutkörperchen lauern eingedrungenen Bakterien mit einem besonderen Trick auf: Bemerken sie den Invasoren, fischen sie nach ihm mit einem Netz aus aggressiven Chemikalien. Das bleibt nicht ohne Folgen für den Krankheitserreger - allerdings auch für den Fallensteller.
In jeder Minute verlassen mehrere Millionen weißer Blutkörperchen das Knochenmark und patrouillieren durch die Blutgefäße auf der Suche nach eingedrungenen Krankheitskeimen. Als erste Eingreiftruppe des Immunsystems wandern sie in das infizierte Gewebe und bekämpfen dort die Keime. Schon langem ist bekannt, dass diese Leukozyten Bakterien abtöten können, indem sie sie "auffressen", also in die Zelle aufnehmen und mithilfe von antimikrobiellen Enzymen zersetzen.
Vor einiger Zeit hatten Wissenschaftler um Arturo Zychlinsky vom Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie auch bereits entdeckt, dass manche dieser Immunzellen – so genannte neutrophile Granulozyten – noch einen weiteren Trick auf Lager haben: Sie fangen Bakterien in netzartigen Strukturen ab, die sie aus eigenen Nukleinsäuren und Enzymen bilden, und töten sie damit ab. Völlig unklar war jedoch, auf welche Weise die Zellen diese doch eigentlich lebenswichtigen Inhaltsstoffe mobilisieren und herausschleudern können.
Den genauen Ablauf klärten die Forscher jetzt anhand mikroskopischer Untersuchungen an lebenden Granulozyten: Kommen die Neutrophilen mit bestimmten Merkmalen eingedrungener Bakterien in Kontakt, verändern sie zunächst die Struktur ihres Zellkerns und kleiner Enzymspeicher im Zytoplasma der Zellen, den Granula. "Die Hülle um den Kern zerfällt, die Granula lösen sich auf, und so können sich die Bestandteile im Innern mischen", erklärt Mitautor Volker Brinkmann.
Am Ende zieht sich die Zelle noch einmal zusammen, bis ihre Membran an einer Stelle aufreißt. Die tödliche Mischung wird herauskatapultiert und entfaltet sich dort zu einem NET (Neutrophil Extracellular Trap) – jenem Netz, in dem sich das Bakterium oder der Pilz verfangen soll. Leider funktioniert diese Strategie nur ein einziges Mal: Hat der Granulozyt sein Innerstes nach Außen gekehrt, ist sein Schicksal besiegelt.
Interessanterweise ist dieser Prozess gleichermaßen effizient wie das "Auffressen": "In den NETs der toten Granulozyten werden ähnlich viele Bakterien abgetötet wie von lebenden Blutzellen verdaut werden", sagt Arturo Zychlinsky. Ihre lebenswichtige Aufgabe erfüllen die Zellen also noch über den Tod hinaus.
© Max-Planck-Gesellschaft
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist eine vorwiegend von Bund und Ländern finanzierte Einrichtung der Grundlagenforschung. Sie betreibt rund achtzig Max-Planck-Institute.
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