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Bushmeat in Europa: Seuchengefahr im Gepäck

Tonnenweise landet das illegale Bushmeat an europäischen Flughäfen. Eine wachsende Nachfrage befeuert den Schmuggel. Die Folgen für Mensch und Tier könnten verheerend sein.
Frisches Bushmeat

Die versteckte Kamera des belgischen Fernsehsenders VRT zeigt das recht typische Inventar eines kleinen Lebensmittelladens im Brüsseler Immigrantenviertel Ixelles: ein gläserner Kühlschrank mit Bierflaschen, Regale mit dem üblichen Sortiment von Kartoffelchips bis Toilettenpapier. Doch nicht darum geht es den verdeckten Rechercheuren der Sendung »Pano«. Sie haben Jean-Pol, einen Belgier afrikanischer Abstammung, angeheuert, um nach so genanntem Bushmeat zu fragen, exotischem Tierfleisch aus Afrika. Die Gegend von Ixelles, in der Jean-Pol recherchiert, wird Matongé genannt. So heißt ein bekannter Großmarkt in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo (DRC) – das Viertel gilt sozusagen als das Klein-Afrika Brüssels.

Jean-Pol muss nicht lange suchen. »Haben Sie Antilope?«, fragt er den Mann hinter der Theke. »Ja, wir haben sogar Affen«, antwortet dieser. »Was kostet das?« »Kleine Affen normalerweise 80 bis 100 Euro.« Der Verkäufer verschwindet im Kühlraum, und kurze Zeit später landet ein gefrorenes Stück Fleisch auf der Waage. »Das wären dann 49,50 Euro, bitte.«

Eine DNA-Analyse bestätigt dem Fernsehteam, dass der Verkäufer dem Lockvogel nicht zu viel versprochen hat: Das Stück Fleisch stammt von einer Brazzameerkatze, einer kleinen Affenart. Darüber hinaus erwerben die »Pano«-Ermittler am selben Tag noch eine Rotschwanzmeerkatze und ein Stück Blaubock, eine kleine Antilopenart. Alle sind im Kongobecken und Zentralafrika beheimatet und im Anhang II des Washingtoner Artenschutzabkommens CITES aufgeführt, was bedeutet, dass ihr Import nur nach einer Unbedenklichkeitsüberprüfung und nur mit Einfuhrgenehmigung erlaubt ist.

Bushmeat gibt es in vielen europäischen Großstädten

So einfach wie in Brüssel kommt man nach Einschätzung von Experten auch in anderen europäischen Großstädten an das Fleisch aus Afrika. »Es ist wahrscheinlich, dass substanzielle Mengen von Bushmeat und anderen Tierprodukten unentdeckt nach Europa gelangen«, sagt Andrew Cunningham. Der stellvertretende Direktor der Zoological Society of London weiß, dass solche Angebote in der britischen Hauptstadt ebenfalls existieren: »Natürlich ist das alles sehr geheim, aber ich weiß, auf welchen Märkten in London Bushmeat unter dem Ladentisch gekauft werden kann. Dort kann man auch Bestellungen zur direkten Lieferung eines spezifischen Tieres aus Afrika aufgeben, und zwar für praktisch jede afrikanische Tierart inklusive jener mit dem höchstmöglichen internationalen Schutz.«

Beschlagnahmtes Bushmeat am Flughafen Zürich | Immer wieder finden Zollbehörden Fleischpakete, die ins Land geschmuggelt werden. Die tatsächlichen Mengen illegal eingeführten Fleisches bleiben aber im Dunkeln – sie könnten in manchen Städten bei hunderten Tonnen pro Jahr liegen.

Der Begriff Bushmeat geht auf das französische »viande de brousse« zurück, eine Formulierung aus dem 20. Jahrhundert, die französische Kolonialherrscher in West- und Zentralafrika prägten. Typische Bushmeat-Arten umfassen kleinere Primaten wie die Meerkatzen aus Matongé bis hin zu großen Menschenaffen wie Gorillas, Schimpansen und Bonobos, außerdem Schuppentiere, Fledertiere – von kleinen Fledermäusen bis hin zu großen Flughunden –, afrikanische Nagetiere wie größere Rattenarten, Schlangen und Reptilien.

Gefährlich ist der Bushmeat-Handel nicht nur für die Wildbestände. Auch für den Menschen birgt er ein erhebliches Risiko. Die Tiere leben oft in tropischen Regenwäldern und sind dort deutlich mehr Krankheitserregern ausgesetzt. Diese Pathogene können, wenn die Transportbedingungen für sie günstig sind, in afrikanische Metropolen und bis nach Europa gelangen. Drei Viertel aller neu auftretenden Infektionskrankheiten seien Zoonosen, also Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen übersprangen, warnten Experten für den Wildtierhandel im Dezember 2019 auf einer Konferenz in Brüssel.

Die Corona-Pandemie hat der Warnung der Experten Nachdruck verliehen, denn auch Sars-CoV-2 nahm seinen Ursprung bei Menschen, die engen Kontakt mit Wildtieren hatten. Die asiatischen Wildtiermärkte sind seitdem in Verruf geraten, in China wurden sie gar verboten. Doch der Schmuggel des afrikanischen Bushmeat ist derzeit kaum zu kontrollieren. Wie schwer sich die Behörden damit tun, zeigt sich etwa am Brüsseler internationalen Flughafen in Zaventem, der wegen der zahlreichen Verbindungen zu afrikanischen Flughäfen als Drehkreuz für die illegale Einfuhr des Fleisches gilt.

Bis zu den Reisebeschränkungen auf Grund der Corona-Pandemie bot sich dort den Flugreisenden ein recht typisches Bild, früh morgens zwischen fünf und acht, wenn ein Flug aus West- oder Zentralafrika einschwebte. Dann beherrschten statt der üblichen Handgepäcktaschen robuste Kühlboxen die Szenerie an der Gepäckausgabe. Bei der Einreise stapelten sich Plastik- und Alufolien, die die Zollbeamten mit Mundschutz und Handschuhen von sorgfältig eingewickelten Paketen entfernten. Ein Nagetier hier, ein Antilopenbein da – zu dieser Uhrzeit am Flughafen in Zaventem nichts Ungewöhnliches.

Auch Fleisch von Nutztieren wird ins Land geschleust

Nicht alles, was die Beamten dabei aus den Kühlboxen ziehen, ist illegal. Getrockneten Fisch oder Gemüse darf man ins Land bringen. Vieles aber nicht, selbst Fleisch von Rind, Schwein und anderen Nutztieren darf man nicht von Afrika aus in die Europäische Union einführen. Versucht wird es trotzdem: Eine 2019 veröffentlichte Studie (PDF) hat sich mit beschlagnahmten illegalen Fleischimporten beschäftigt, die 2017 und 2018 in Zaventem konfisziert wurden, die von Flügen aus dem Afrika südlich der Sahara kamen. Die Mehrheit stammte von Nutzvieh. Doch immerhin 38 Prozent der Beschlagnahmungen waren Bushmeat. Am häufigsten wurden Schuppentiere, Paviane, andere Primaten, Antilopen und Reptilien in Zaventem entdeckt. Ein Drittel davon waren gefährdete Arten.

Anhand des beschlagnahmten illegalen Bushmeat, der Häufigkeit der Vorfälle pro Flug und deren durchschnittlichen Passagierzahlen kalkulierten die Autoren der Studie, dass jeden Monat mindestens 3,7 Tonnen Bushmeat den Brüsseler Flughafen passieren. Das wären mehr als 44 Tonnen pro Jahr.

Und weil vieles nicht entdeckt werde, sei das »nur die Spitze des Eisbergs«, sagt Wiebke Jansen, Lebensmittelexpertin von der Université de Namur in Belgien. Die Forscherin warnt vor einem weiteren Anstieg: »Die Globalisierung hat zugenommen und damit das Problem der illegalen Einfuhr.«

Die Autoren der Zaventem-Studie hatten auch beobachtet, dass in den Kühlboxen überwiegend legale Lebensmittel transportiert werden, während Bushmeat vorsichtig in den Koffern verpackt ist. Das Fleisch ist hermetisch mit Folie versiegelt, nur selten tritt Flüssigkeit oder Geruch aus. So professionell verpackt – da liegt der Gedanke an einen kommerziellen Zusammenhang nahe. Vermutlich finden sich hier auch die Bestellungen der Brüsseler Restaurants aus Matongé wieder. Hinzu kommen Tricks, von denen zum Beispiel ghanaische Immigranten aus ihrer Heimat berichten: etwa den der Großmutter, die ihren Enkeln in Europa um die gut gemeinten kulinarischen Päckchen im Koffer noch etwas Holzkohlestaub oder Mottenkugeln gibt. Damit die Zollhunde den Geruch nicht aufnehmen.

DNA-Tests verraten, was geschmuggelt wurde

Andere große europäische Flughäfen haben ähnliche Sorgen wie der in Brüssel. Für Schweizer Flughäfen kamen Tierschützer der Organisation Tengwood in einer Hochrechnung auf eine extrem hohe Dunkelziffer von jährlich 500 bis 1500 Tonnen importiertem Bushmeat. Ob die Größenordnung stimmt, ist wie so oft bei Schwarzmärkten schwer zu ermitteln. »Das zeigt einfach nur, wie wenig wir wirklich über den Import wissen«, sagt Fabian Leendertz, Experte für Zoonosen am Robert Koch-Institut (RKI).

Dass die Menge der tatsächlichen Beschlagnahmungen der Schweizer mit denen ihrer Brüsseler Kollegen vergleichbar ist, bestätigt Mathias Lörtscher, Leiter der CITES-Vollzugsbehörde Schweiz beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV): »Die häufigsten Tierarten in der Schweiz sind Ducker-Antilopen, Schuppentiere, Zuckerrohrratten, Meerkatzen und Schlangen.« In Zusammenarbeit mit Tengwood hat seine Behörde eine Broschüre erstellt, die europäischen Zollbeamten bei der Identifikation des Fleisches hilft.

Markt für Bushmeat in Accra, Ghana | In den Städten ist das Wildfleisch zunehmend zum Luxusgut und Statussymbol geworden. Die wachsende Nachfrage führt unter anderem zur Überjagung.

Denn zu wissen, was da aus Koffer oder Kühlbox zum Vorschein kommt, ist alles andere als einfach. Zum Beispiel »wenn es sich um zerstückelte Tierkörper oder zerkleinertes Fleisch handelt«, heißt es in der Broschüre. Immer häufiger werde Bushmeat in dieser Form geschmuggelt: Es geht leichter und macht es den Behörden schwerer. Darum wünschen sich Forscher mehr DNA-Analysen, die eindeutig verraten, von welchem Tier das Fleisch stammt. Tatsächlich wird konfisziertes Material jedoch oft einfach gemeinsam mit dem beschlagnahmten Nutzviehfleisch verbrannt.

Dabei ist die genaue Artbestimmung mitunter strafrechtlich relevant. Am 24. April 2019 wurde laut Lörtscher zum bislang letzten Mal ein DNA-Test in der Schweiz an Bushmeat durchgeführt. An jenem Tag beobachten die Zollbeamten des Flughafens Zürich-Kloten eine 26-jährige Frau aus Kamerun. In ihrem Gepäck hat sie ein über drei Kilo schweres Bündel mit Tierfleisch. Bald kommt der Verdacht auf, dass es sich um Schlange und Schuppentier handelt. Die in Afrika und Asien heimischen Schuppentiere gelten als die am meisten gewilderten Tiere der Welt. Tierschützer kalkulieren, dass seit dem Jahr 2000 mindestens eine Million Exemplare von Wilderern getötet wurden. Alle acht Arten des Schuppentiers stehen auf der Roten Liste und werden von CITES im Anhang I aufgeführt. Darum wird ihr Schmuggel strenger bestraft.

Genetische Tests seien deshalb so relevant für die Strafverfolgung, weil sich nah verwandte Arten oft zum Verwechseln ähnlich sähen, sagt Nadja Morf vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich, die die Schweizer DNA-Tests für Bushmeat mit entwickelt hat. So wird auch der tote Vierbeiner aus dem Gepäck der Frau einem Gentest unterzogen. Der bestätigt, dass es sich um ein Weißbauchschuppentier handelt. Die Frau aus Kamerun muss nun mit einer höheren Strafe rechnen.

Weder Brüssel noch Zürich sind Einzelfälle in Europa. Schon bei der allerersten systematischen Untersuchung des illegalen Bushmeat-Imports 2010 stießen Forscher auf Mengen, mit denen kaum ein Experte zuvor gerechnet hätte. »Wir wussten, dass Schmuggel stattfindet, aber nicht in einem solchen Maß«, sagt Andrew Cunningham, der damals mit seinen Kollegen der versteckten Wildfleischeinfuhr am Pariser Flughafen Charles de Gaulle in Roissy nachging. Sie schätzten auf Basis der tatsächlichen Funde ab, dass jede Woche rund fünf Tonnen Bushmeat den Flughafen passierten. Das sind 260 Tonnen pro Jahr.

Auch Spanien Etappe einer Schmuggelroute?

Andernorts bleibt das Ausmaß des Problems im Dunkeln. Seit April 2020 können Interessierte die Datenbank für illegalen Wildtierhandel der Organisation Traffic, das Wildlife Trade Portal, einsehen. Für Spaniens Hauptstadt Madrid findet man dort zum Beispiel nur drei Einträge, was auf ein eher überschaubares Schmuggelaufkommen hindeutet. Doch alle drei Vorkommnisse folgen einem verblüffend konstanten Muster und decken sich mit lokalen Pressemeldungen von 2017, 2019 und 2020. Jedes Mal versuchten Frauen aus Malabo, der Hauptstadt des westafrikanischen Äquatorialguinea, über Casablanca in Marokko nach Madrid zu gelangen. Und in allen drei Fällen wurden tote Exemplare von Schuppentieren im Gepäck der Frauen entdeckt. Ein Hinweis auf eine noch unbekannte Route für den Schuppentierschmuggel von Westafrika nach Europa? Traffic hat die von »Spektrum der Wissenschaft« gemachte Entdeckung inzwischen an die zuständigen Behörden weitergeben. Bis dato galt Spanien eigentlich nicht als ein Transitland im internationalen Schuppentierschmuggel.

Solche Schmuggelrouten und das Volumen von Bushmeat an europäischen Flughäfen werden »mit Sicherheit nicht genügend erforscht«, sagt auch Cunningham. Oft erhielten er und seine Kollegen nicht die nötigen Genehmigungen von den Behörden. Auch bereits existierende Daten würden nicht an Wissenschaftler weitergegeben. So war es den Forschern bislang unmöglich, ihre Paris-Studie von 2010 zu aktualisieren und dadurch neue Trends festzustellen.

In ländlichen Gegenden dient Buschfleisch der Nahrungssicherung | Gerade in den Tropen ist Viehzucht nicht immer möglich. Das Fleisch aus der Umgebung ist dann oft die einzige Quelle für tierische Proteine.

Dabei wäre es im ureigensten Interesse der europäischen Länder, den Bushmeat-Handel zu unterbinden. »Neben der Gesundheit der Menschen und dem Artenschutz sollten solche Studien auch für die Länder auf Grund von Tierkrankheiten unter ihrem Nutzvieh von gewaltigem Interesse sein«, sagt Cunningham. Viele Pathogene können lange nach dem Tod ihres Wirts infektiös bleiben. »Besonders besorgniserregend ist dabei die Möglichkeit, dass die Erreger von Brucellose, verschiedenen Tiertuberkulosen, Maul- und Klauenseuche und auch der Afrikanischen Schweinepest den Transport des Fleisches von Afrika nach Europa überleben könnten«, sagt Delia Grace-Randolph vom International Livestock Research Institute im kenianischen Nairobi. Europäische Staaten sind bereits seit einigen Jahren mit einem schweren Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest beschäftigt.

Räuchern tötet Erreger ab – zumindest meistens

Aber wie wahrscheinlich ist es wirklich, dass ein Erreger aus verseuchtem Bushmeat in Europa Mensch und Tier infiziert? Viele Fachleute antworten zurückhaltend auf diese Frage, auch weil sie sich nicht Panikmache vorwerfen lassen wollen. »Je mehr ›Haltbarkeitsmethodenhürden‹ die Pathogene überwinden müssen, desto schwieriger wird ihre erfolgreiche Vermehrung. Zu diesen Hürden zählen zum Beispiel Salzen, Pökeln, Trocknen, Erhitzen, Fermentieren und auch Räuchern – vor allem Heißräuchern hat da einen beträchtlichen Einfluss«, sagt Wiebke Jansen. Aber selbst in geräuchertem Fleisch überlebt der Erreger der Afrikanischen Schweinepest beispielsweise bis zu 80 Tage.

Anfang 2019 berichtete Jansen, welche Erreger sie in Bushmeat-Importen in die EU nachgewiesen hatte: Listeriose-Bakterien, antibiotikaresistentes E. coli und Staphylococcus aureus, ein Bakterium, das unter anderem Lungen- und Hirnhautentzündungen verursachen kann. »Und ein Sporenbildner wie Milzbrand kann den Flug auch überleben«, sagt Seuchenexperte Leendertz. Er warnt besonders vor in Westafrika neu entdeckten Formen dieser Zoonose, die noch wenig erforscht sind. »Außerdem gehen Jäger in den Wald, finden ein an Milzbrand verendetes Tier und bringen es wegen des Fleisches nach Hause. Das ist höchst problematisch.«

»Bushmeat wird in Europa oft auf Bestellung verkauft. Wenn also das so bestellte Tier mit einem Virus erlegt und dann sofort nach Europa verschickt wird, könnte es dort schon ein oder zwei Tage, nachdem es getötet wurde, ankommen«, erklärt Cunningham. Der Epidemiologe, Leendertz und viele ihrer Kollegen verweisen jedoch auch darauf, dass es zu einer Verkettung ungünstiger Umstände kommen müsste, ehe dies zu einer Infektion in Europa führen könnte. Leendertz betont, dass ein Transport nach Europa in ein bis zwei Tagen eher unrealistisch sei. Es dauere oft eher mehrere Tage, um das tote Tier vom Wald zum Flughafen zu bringen, und das Fleisch werde meistens geräuchert – all dies verringert die Wahrscheinlichkeit. »Dennoch soll niemand denken, dass Räuchern Ebola sicher abtötet oder dass man nur ein paar Tage mit dem Verzehr warten muss, um ein Risiko auszuschließen«, sagt Leendertz.

So besteht eine reelle, wenn auch geringe Gefahr, dass Erreger, die in Bushmeat nach Europa transportiert werden, eine Infektionswelle auslösen. Das deutlich größere Risiko aber tragen die Menschen in den afrikanischen Ursprungsländern selbst, sagt Fabian Leendertz.

Die größte Krankheitsgefahr besteht vor Ort

Die Märkte in den großen Metropolen kennt der Forscher aus eigener Anschauung. »Dort kann etliches passieren.« Es gibt frisches Fleisch und Organe – viele Tiere sind schon getötet, manche noch lebendig. Besonders die Jäger, die die Tiere zu den Märkten bringen, stehen unter permanenter Infektionsgefahr, genau wie die, die das Wild schlachten und zerlegen. Eine offene Wunde an der Hand, ein Kratzer im Gesicht, der Biss eines verängstigten Tiers – all das kann reichen, um das Pathogen auf seine Reise zu schicken. »Je kürzer das Tier tot ist, desto höher die Gefahr«, sagt Leendertz, der mit seinen Kollegen und Studenten bei Bluttests unter Bushmeat-Jägern in der DRC oder der Elfenbeinküste eine ganze Reihe von Erregern nachgewiesen hat, die sowohl bei toten Affen vorkamen als auch bei ihren Jägern – »zum Beispiel Retroviren, die Leukämie verursachen«.

Zoonosen aus Bushmeat betreffen darum mit viel höherer Wahrscheinlichkeit die Menschen in den afrikanischen Ländern. Erst als indirekte Folge eines solchen lokalen Ausbruchs könnten es die Krankheiten dann auch nach Europa schaffen – sie würden jedoch bei infizierten Menschen mitreisen und nicht im geschmuggelten Wildfleisch.

Trotz alledem ist Bushmeat aus Afrika nicht wegzudenken. Für viele Menschen des Kontinents ist der Verzehr dieser Tiere ein Teil ihrer Kultur und wird weder als unmoralisch noch als unappetitlich verstanden. Weltweit ist über eine Milliarde Menschen für ihre Ernährung auf das Fleisch von wilden Tieren aus ihrer Umgebung angewiesen. Gerade in ländlichen Gegenden Afrikas stellt die Jagd auf Affen oder Antilopen oft die einzige Möglichkeit dar, die Familie mit etwas Protein oder B-Vitaminen zu versorgen. Auch die althergebrachte Selbstversorgung mit Wildfleisch, die die Landbevölkerung früher zumeist nachhaltig betrieb, wird nun nach Einschätzung mancher Experten zum Problem, wegen der wachsenden Bevölkerungszahlen. Allein aus den Regenwäldern Afrikas südlich der Sahara werden laut einer Schätzung jährlich bis zu fünf Millionen Tonnen Bushmeat entnommen. Märkte mit Bushmeat abzuschaffen »wäre unmöglich«, sagt die Epidemiologin Grace-Randolph. Dieses Dilemma wird verschärft durch den Umstand, dass Nutzviehzucht gerade in den Tropen schwierig oder unmöglich ist, weil Rinder oder Schweine Krankheiten ausgesetzt sind, wie zum Beispiel der Nagana-Seuche, die von der Tsetsefliege übertragen wird.

Die größte Gefahr geht von einem regelgerechten Bushmeat-Boom in den Städten aus. »Es hat in den letzten Jahren eine riesige Renaissance durchgemacht«, beobachtet Fabian Leendertz. »In Abidjan oder Kinshasa ist ein Stück Bushmeat teurer als ein Filetsteak«, sagt Leendertz.

Hauptgründe für den Trend sind »eine kulturelle Verbundenheit mit der alten Heimat, mit traditionellen Werten und Glaube an den Nährwert«, sagt Marcus Rowcliffe von der Zoological Society of London, der mit Kollegen die Bushmeat-Konsumenten zu ihren Motiven befragte. So entstanden zwei Welten des Konsums: die des armen Mannes auf dem Land und die der Luxusverbaucher in den Städten Afrikas und in der europäischen Diaspora, denen das Bushmeat als Statussymbol gilt.

Zwei Seiten einer Medaille

So unterschiedlich diese Welten sind, sie haben die gleichen Auswirkungen: Beide führen sie zu mehr Jagd und Handel. Und mehr Jagd und Handel wiederum führt zu mehr Seuchengefahr und einer direkten Bedrohung für die Artenvielfalt.

Für die Jäger ist es laut Rowcliffes Studie inzwischen finanziell attraktiver, die erlegten Tiere in die Städte zu verkaufen, als diese in ihren jeweiligen Dörfern anzubieten. Das treibt den Preis in die Höhe, verwehrt den Menschen auf dem Land Zugang zu Fleisch und führt zu einer Überjagung der Wälder. Ein Jäger in Kisangani erhält für kleinere Affenarten, die pro Tier in Brüssel um 100 Euro erzielen, umgerechnet etwa drei Euro. In der kongolesischen Stadt, die direkt an den tropischen Regenwald grenzt, konnten solche Affen früher in den Straßen gesehen werden. Inzwischen müssen die Jäger wegen der geringeren Bestände bis zu 100 Kilometer in den Wald vordringen, ehe sie Beute finden.

Wissenschaftler haben berechnet, dass es in fünf bis zehn Jahren überhaupt keine Affen mehr in der Demokratischen Republik Kongo geben könnte, wenn die Bushmeat-Jagd unvermindert weitergeht. Das gilt auch für ihre größten Vertreter – Menschenaffen wie Schimpansen, Gorillas oder Bonobos. Forscher gehen davon aus, dass rund 8000 von ihnen jährlich als Bushmeat enden. Allein auf den Bushmeat-Märkten in Nigeria und Kamerun werden jedes Jahr rund 150 000 Primaten von 16 verschiedenen Arten gehandelt. »Besonders der Westliche Gorilla ist in einer prekären Situation. Die Nachfrage nach seinem Fleisch ist der Hauptgrund seines Niedergangs«, sagt Richard Thomas von Traffic.

Die zwei folgenschwersten Auswirkungen des Bushmeat-Handels – die Seuchengefahr und die Bedrohung für die Artenvielfalt – sind in Wahrheit keinen getrennten Phänomene. Warum, zeigte eine Studie vom April 2020. Wissenschaftler untersuchten 142 Viren, die vom Tier auf Menschen übergesprungen waren. Der Abgleich mit der Roten Liste der am stärksten gefährdeten Tierarten der Weltnaturschutzunion IUCN belegte, dass die Gefahr eines Überspringens dort am größten war, wo der Mensch in das Leben der gefährdeten Arten massiv eindrang – sei es durch die Zerstörung des Habitats, etwa durch Straßenbau, oder eben durch Jagd und Tierhandel.

Nur wenn die zwei Welten des Bushmeat getrennt werden können – wenn Nahrungssicherheit auf dem Land erreicht wird und das Bushmeat sein Luxusimage in der Stadt verliert –, haben die gefährdeten Arten eine gewisse Überlebenschance. »Doch solch eine Trennung wäre nicht einfach, denn die Menschen in den Dörfern sind an den Lieferketten in die Städte beteiligt«, sagt Delia Grace-Randolph. »Mit einem gewaltigen Bevölkerungswachstum und auch weil es immer mehr Straßen, bessere Waffen und Fallen gibt, wird sich die Überjagung der Wälder fortsetzen.«

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