Zukunft der Landwirtschaft: Sind Roboter die besseren Bauern?
Traktoren ernten automatisch, Futterzeiten und -mengen von Kühen werden vom Computer berechnet, auf dem Acker »krabbeln« kleine Roboter und säen aus, im Boden stecken Sensoren und melden Wasser- oder Nährstoffknappheit – und über allem schweben Drohnen, die kontrollieren, ob alles richtig abläuft, und an manchen Stellen die nötigen Pestizide verteilen: So sieht Landwirtschaft teilweise bereits heute aus. Viele Bauern sind offen für moderne Technologie, wie eine Befragung des Digitalverbands Bitkom 2018 ergab: Insgesamt sehen zwei Drittel der Landwirte digitale Technologien als Chance, und mehr als die Hälfte wenden sie auch schon an. Landmaschinen, mit denen die Bodenbearbeitung, Aussaat, Pflanzenpflege und Ernte digital erfolgen, hätten bereits 39 Prozent der Landwirte beziehungsweise Lohnunternehmer genutzt, heißt es.
Das hat auch Markus Vogt überrascht: »Wir waren selbst erstaunt, wie weit Bauern Digitalisierung schon einsetzen.« Der Professor für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München hat sich für die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften acatech mit dem Stand der Digitalisierung in der Landwirtschaft und möglichen ethischen Fragestellungen beschäftigt. »Das gängige Bild, dass Landwirte eher konservativ sind, trifft offenbar nicht zu«, sagt er. Die Landwirtschaft sei in der Digitalisierung weiter vorangeschritten als die Autoindustrie. So machen Sensorik und Software bei Landmaschinen bereits 30 Prozent der Wertschöpfung aus, während sie in der Autoindustrie nur zehn Prozent betragen. Nach Angaben der International Federation of Robotics ordern Landwirte ein Viertel aller Serviceroboter weltweit – mit militärischen und logistischen Anwendungen der größte Markt.
Mit der Digitalisierung verbindet sich in der Landwirtschaft eine große Hoffnung: So genanntes Precision Farming, Präzisionslandwirtschaft, verspricht unter anderem, dass in Echtzeit mittels Sensoren gemessen wird, was die Pflanzen brauchen, und entsprechende Mittel gezielter und damit ressourcenschonender eingesetzt werden können – vom Wasser bis zum Dünger. Dank maschinellen Lernens kann zudem immer besser berechnet werden, welche Strategien und welche Behandlung die Ernte steigern oder gegen Pflanzenkrankheiten helfen. »Man kann optimieren, was die Pflanzen brauchen, und erheblich Spritzmittel und Wasser sparen«, sagt Vogt.
Mittel gegen die Krise
Schließlich stecke die Landwirtschaft in einer tiefen Krise – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung –, etwa wegen des Insektensterbens, das unter anderem auf den Pestizideinsatz zurückzuführen sei. Andererseits sei die Landwirtschaft schon derart optimiert, dass Pestizide nicht einfach ohne alternative Strategie weggelassen werden könnten. »Das Potenzial der Effizienzsteigerung durch Präzisionslandwirtschaft ist enorm«, sagt Vogt überzeugt. Gleichzeitig könnten die Auswirkungen auf die Umwelt gesenkt werden.
Wichtig sei allerdings, eines im Blick zu haben: »Das Leitbild der Optimierung steht manchen Mechanismen der Natur entgegen.« Immer wieder würden komplexe Prozesse der Natur nicht richtig verstanden, was zu Problemen führe. Beispielsweise widerspricht die Fruchtwechselfolge, mittels der die Bodenfruchtbarkeit erhalten bleibe, auf den ersten Blick dem Effizienzdenken. Schließlich ist sie deutlich aufwändiger als Monokulturen. Doch langfristig lohnt sie sich, da der Boden länger fruchtbar bleibt. »Man muss sehr vorsichtig sein: Kleinbäuerliche traditionelle Landwirtschaft hat aus Erfahrungswissen Zusammenhänge berücksichtigt, die man bei der Optimierung nicht immer ganz im Blick hat.«
Andererseits ist genau dieses Wissen und die Erfahrung der Bauern teilweise auch begrenzt oder ungenau, wie Joachim Hertzberg, Professor für Informatik an der Uni Osnabrück, immer wieder auffällt. Beispielsweise wenn es um das Thema Boden geht: »Der Boden leidet nicht nur unter Dünger, sondern auch unter der Verdichtung durch riesige Maschinen. Aber keiner weiß, wie genau.« Alternativen kann man beim internationalen »Field Robot Event« beobachten, einem weltweiten Hochschulwettbewerb, bei dem regelmäßig Studierende der TU Braunschweig mit ihren selbst entwickelten autonomen Feldrobotern relativ erfolgreich sind.
Roboter lösen nicht alle Probleme
Doch nicht jedes Problem lässt sich mit diesen winzigen Robotern lösen – für manches braucht es weiterhin schwere Maschinen. Hier hilft eine optimierte Route. Doch die Vermutungen darüber, welcher Boden wie unter den tonnenschweren Traktoren leidet, gehen unter Landwirten weit auseinander, erklärt Hertzberg. Kein Wunder, es ist von außen kaum zu durchschauen, wie genau es den Boden schädigt und vor allem, an welchen Stellen weniger Schäden auftreten. »Boden ist ein furchtbar schwieriges Substrat«, so der Informatiker.
Wie stark der Boden unter schweren Maschinen leide, liege unter anderem an der Art und der Feuchtigkeit des Bodens sowie an der Fahrtrichtung des Traktors und unbekannten möglichen weiteren Faktoren. »Wovon das genau abhängt, weiß keiner«, sagt Hertzberg: Es gäbe bis jetzt keine exakten Bodenmodelle. Die sollen nun in Zusammenarbeit mit dem Johann Heinrich von Thünen-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, erstellt werden. Auf dieser Grundlage kann dann ein Assistenzsystem für landwirtschaftliche Fahrzeuge in Echtzeit den Menschen auf der besten Route über den Acker navigieren – und so möglichst wenig Schaden anrichten.
Die Ernte im Blick
Optimierungspotenzial besteht aus Hertzbergs Sicht auch bei der Ernte. Am Beispiel der Maishäcksel-Erntekette untersucht er das gerade in einem Projekt. Bei der Maishäcksel-Ernte fährt neben dem Häcksler selbst stets ein Traktor mit Anhänger, auf dem das Produkt abtransportiert wird. Im Schnitt alle drei Minuten ist ein Anhänger voll und muss ausgetauscht werden. Wenn das dauert, steht die teure Häckselmaschine erst mal still. »Man braucht etwa ein halbes Dutzend solcher Anhänger im Einsatz, das ist ein klassisches Optimierungsproblem.« In Zukunft wird via GPS-Tracking und diversen Sensoren in Echtzeit koordiniert, so dass alles möglichst effizient abläuft. »Wir schauen sogar, dass es nicht immer über die gleiche Straße geht, denn das ärgert die Nachbarn«, erzählt Hertzberg.
Und auch beim Erntevorgang an sich lässt sich vieles verbessern, was Maschinen in Verbindung mit Sensoren und Datenauswertung gut können: Beim Ausdreschen von Korn sei es beispielsweise wichtig, die Stärke des Dreschens an den Zustand des Getreides anzupassen. »Wenn man zu stark drischt, hat man am Ende Mehl.« Doch das sei ein »ganz frickeliger Prozess«: Er hänge davon ab, wie feucht das Korn ist, was wiederum unter anderem vom Wetter ebenso wie vom Standort auf dem Acker abhängt. »Man muss theoretisch die Parameter permanent ändern.« Das ist natürlich beim klassischen, händischen Regeln kaum möglich. Ein moderner Mähdrescher mit entsprechender Automatisierung hingegen ermittelt die Feuchtigkeit mittels optischer Sensoren und passt sich in Echtzeit an.
Auch eine Generationenfrage
Laut Hertzberg sind jüngere Landwirte offener für solche Innovationen. »Sie ersetzen Erfahrungswissen.« Älteren Landwirten sei das hingegen eher fremd, mahnt Ethiker Vogt, und das dürfe man bei aller Euphorie nicht vergessen: »Landwirtschaft 4.0 ist in gewisser Weise eine Entfremdung gegenüber dem Leitbild des Landwirts. Seine Verbindung zur Natur wird ersetzt durch Maschinen.« Der aktuelle Strukturwandel nehme dem bäuerlichen Beruf etwas von seiner Ursprünglichkeit.
»Auch Nebenerwerbslandwirte sind häufig nicht bereit, sich auf die Digitalisierung einzulassen«, weiß Vogt. Sein Fazit: Wenn gewisse ethische Fragen bedacht werden, unter anderem jene, dass die Ernährung von Menschen stets Vorrang haben sollte vor neuen Ackerflächen für Bioenergie, habe Precision Farming großes Potenzial. »Ich glaube auch, dass wir es brauchen, wenn wir zehn Milliarden Menschen ernähren wollen.« So viele Menschen werden nach Prognosen der Vereinten Nationen 2050 auf der Erde leben.
Deutlich kritischer sieht Jan Urhahn die Digitalisierung der Landwirtschaft: »Es gibt bestimmte Heilsversprechen, zum Beispiel das des Ressourcenschutzes und der Effizienz, die wir seit zehn Jahren hören«, sagt der Referent für Landwirtschaft und Welternährung bei der globalisierungskritischen NGO Inkota. Nur: »Der Pestizidverbrauch steigt trotzdem weiter an.« Was funktioniert nicht? Aus seiner Sicht ist genau das Effizienzdenken im Hintergrund die Ursache vieler Probleme: »Die industrielle Landwirtschaft produziert eher Monokulturen. Sie trägt und regeneriert sich nicht selbst.« Die Folge: Es braucht Input von außen, bis heute meist in Form von Pestiziden.
Nur ein Verteilungsproblem?
Das Versprechen der Digitalisierung, »die großen Krisen der Zeit zu lösen, die wir selbst verursacht haben«, sieht Urhahn als nicht realistisch an: »Das industrielle Agrarsystem trägt eine große Verantwortung für das Hungerproblem.« Schließlich treibe es nicht nur den Klimawandel voran, sondern auch die Bodendegeneration. Aus seiner Sicht gibt es mehr ein Verteilungs- denn ein Nahrungsproblem. »Die sozioökonomischen Herausforderungen kann man nicht technisch lösen.«
Im Gegenteil, Urhahn befürchtet, dass Digitalisierung und insbesondere der Einsatz künstlicher Intelligenz in der Landwirtschaft soziale Ungleichheiten noch verschärfen. Denn in einem der wichtigsten Punkte – bei den Daten – gibt es schon jetzt eine starke Zentralisierung. »Es gibt wenige Akteure bei den digitalen Plattformen, beispielsweise Bayer-Monsanto, die großen Landmaschinenhersteller und Google, Facebook und Amazon.« Was haben die sozialen Netzwerke mit Landwirtschaft zu tun? Google und Facebook haben bereits heute das größte Wissen über die Präferenzen und Bedürfnisse der Verbraucher – und die stehen am einen Ende der Verwertungskette. Sie entscheiden schließlich, welche Produkte erfolgreich sind und welche nicht. Wohin die Reise geht, zeigt ein aktuelles Ereignis: Amazon hat kürzlich Whole Foods Market gekauft, eine der größten Biohandelsketten in den USA.
Und Facebook hat nach Urhahns Informationen gerade ein Kooperationsabkommen mit dem großen US-Landmaschinenhersteller John Deere abgeschlossen, in dem unter anderem Facebooks Wissen in der Bilderkennung dafür genutzt werden soll, Pflanzenkrankheiten anhand von Fotos zu erkennen.
Wer am meisten Daten hat, macht auch hier am Ende das meiste Geld: »Die Idee hinter der Plattformökonomie ist es, so viele Daten wie möglich zu sammeln – angefangen von den Präferenzen der Verbraucher über das Wetter, Saatgutinfos bis zur Bodenqualität –, sie zusammenzuführen, algorithmisch auszuwerten und dies als Produkt zu verkaufen.« Oder den Informationsvorsprung zu nutzen. Und das wiederum diene derzeit nur den Großen: »Digitalisierung wird einen Strukturwandel in der Landwirtschaft forcieren zu Gunsten der großen Konzerne und zu Lasten der bäuerlichen Erzeuger.«
Ein neuer Verdrängungswettbewerb
Auch neue Technologien wie Drohnen, die häufig dafür gepriesen werden, die Bearbeitung und Überwachung von Feldern zu verbessern, haben aus Urhahns Sicht das Potenzial, diesen Wandel ins Negative zu wenden: »Drohnen machen Landwirtschaft für Fremdkapital noch attraktiver.« Schließlich ist es so einfacher, ein Feld zu überwachen, ohne selbst vor Ort zu sein. Die Folge: Kleinbauern würden verdrängt, die sich diese Technologien nicht leisten können.
Sind Digitalisierung und die Nutzung künstlicher Intelligenz in der Landwirtschaft aus seiner Sicht also per se eher ein Problem als eine Lösung? »Es kommt auf die Grautöne an«, sagt Urhahn. Zentral ist aus seiner Sicht die Frage: Verbessert eine Technologie die Lebensbedingungen von Kleinbauern? So gebe es eine Menge Beispiele, wo neue Technologien sinnvoll und zum Nutzen lokaler Gemeinschaften genutzt würden, etwa in Lateinamerika, wo sich Bauern zusammenschließen und gemeinsam per Drohnen ihr Territorium vor Landgrabbing schützen. Andere Organisationen beobachten mit Hilfe von Satellitenfotos, ob und wo der Regenwald abgeholzt wird. Zudem gibt es zahlreiche Apps, mittels derer sich Bauern in Entwicklungsländern über das Wetter, Pflanzenkrankheiten und vieles mehr austauschen.
Die zweite wichtige Frage in diesem Zusammenhang sei die nach den Daten. »Wir brauchen eine demokratische Kontrolle«, fordert Urhahn: Ob die Daten den Landmaschinenherstellern oder den Bauern gehören, sei schließlich ein entscheidender Unterschied. »Es ist naiv, darauf zu vertrauen, dass die großen Unternehmen einfach nett sind.« Das zeige nicht zuletzt der Cambridge-Analytica-Skandal bei Facebook. »Wir brauchen unabhängige Datenplattformen, denn wenn Märkte extrem verdichtet sind, gibt es keine freie Entscheidung in der Datenschutzerklärung.« So wie Facebook-Nutzer stehen auch viele Bauern vor dem Dilemma: Entweder ich unterschreibe, dass meine Daten den großen Konzernen zur Verfügung stehen, oder ich kann den Dienst (in diesem Fall die Landmaschine) nicht nutzen. Dabei ist es keine Frage: Wenn Daten für alle offen sind, kann die Gesellschaft vom daraus entstehenden Wissen profitieren.
Zumindest darin sind sich der Globalisierungskritiker Urhahn und der Informatiker Jochen Hertzberg einig: »Landmaschinenhersteller sagen: Kaufen Sie unsere Maschinen, aber die Daten bleiben unsere«, erklärt Hertzberg. In einem Projekt untersucht er gerade mit Kollegen, inwiefern eine selektive, selbstbestimmte Datenweitergabe für die Bauern technisch möglich ist. »Wir wollen Mechanismen entwickeln, um die Datenhoheit durchzusetzen, ohne den Landwirt zu überfordern.« Schließlich entstehe mit den Daten ein zusätzlicher Wert, von dem auch etwas bei den Bauern ankommen müsse, die sie erzeugen. So weit die Landwirtschaft in der Digitalisierung auch sein mag – sie ist beim entscheidenden Problem gelandet: der Frage, ob die Daten für das Gemeinwohl genutzt werden können oder nicht.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.