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Militärgeschichte: Sonnensturm löste Minenexplosionen aus

Während des Vietnamkriegs explodierten innerhalb kürzester Zeit Dutzende Seeminen - ohne ersichtlichen Grund. Nun gerät ein heftiger Ausbruch der Sonne in Verdacht.
Sonneneruption

Am 4. August 1972 überquerte ein Flugzeug der US Task Force 77 ein Seeminenfeld vor der nordvietnamesischen Küste von Hon La – und die Besatzung bemerkte ungewöhnliche Aktivität im Meer: Innerhalb von weniger als einer halben Minute explodierten bis zu 25 Sprengladungen, 25 bis 30 trübe Punkte im Wasser deuteten darauf hin, dass weitere Minen hochgegangen sein könnten. Im Umkreis des Minenfelds deutete aber nichts auf eine naheliegende Ursache hin: Kein Schiff sank, keine Überreste von Tauchern oder Tieren waren zu sehen, welche die Detonationen ausgelöst haben könnten. Die US Navy nahm daher schon kurz nach dem Ereignis an, dass extreme Sonnenaktivität die Minen hochgejagt haben könnte. Das berichten nun Delores Knipp von der University of Colorado in Boulder und ihr Team in »Space Weather«, nachdem sie bislang unter Verschluss gehaltene Militärakten einsehen konnten.

Die eingesetzten Minen verfügten demnach über einen Selbstzerstörungsmechanismus, doch dieser hätte erst 30 Tage später ausgelöst werden sollen – eine andere Ursache musste also gefunden werden. Rasch richtete sich die Aufmerksamkeit der Militärs auf den besonderen Minentyp, der zünden sollte, wenn sich das Magnetfeld in seinem Umfeld ändert, etwa wenn ein stählernes Schiff nur passiert, ohne die Mine direkt zu berühren. Es war damals bekannt, dass Sonnenstürme das Magnetfeld der Erde ändern können, doch war man davon ausgegangen, dass die Stärke dieses Einflusses nicht ausreiche, um die Explosion herbeizuführen. Anfang August 1972 war die Sonne jedoch so aktiv wie nur selten, seit dies mit modernen Geräten aufgezeichnet wird. Ein Sonnenfleck mit der Bezeichnung MR 11976 jagte dabei einige besonders intensive Strahlungsausbrüche (»Flares«) ins All, deren Teilchenschauer relativ kurze Zeit später auf die Erde prasselten.

Solche Flares lösen starke Schwankungen im Erdmagnetfeld aus, die wiederum die Telekommunikation stören oder durch induzierte elektrische Feldstärken die Stromversorgung lahmlegen können. Die hohe Sonnenaktivität sorgte damals beispielsweise für Strom- und Telegrafenausfälle in Nordamerika. Einer der Flares war so heftig, dass er die Erde in Rekordzeit von weniger als 15 Stunden erreichte statt in zwei bis drei Tagen – wahrscheinlich weil vorherige Ausbrüche quasi den Weg »frei geräumt« hatten. Er traf schließlich auch die Region rund um Hon La und führte über das veränderte Magnetfeld zur Explosion der Seeminen. In Anlehnung an einen ähnlich heftigen Ausbruch 1859 bezeichnen Knipp und Co den Sonnensturm von 1972 als Carrington-Ereignis, also einen besonders heftigen Sonnensturm. Der Astronomen Richard Christopher Carrington hatte ihn beobachtet; selbst in Rom und Havanna sowie auf Hawaii waren damals Polarlichter zu sehen. Sie liegen normalerweise zu weit im Süden, so dass diese Phänomene dort normalerweise nicht auftreten.

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