Direkt zum Inhalt

Spielforschung: Spielen in der Coronakrise

Brettspiele waren in den vergangenen Wochen besonders gefragt. Kein Wunder, verbrachten Eltern und Kinder doch wegen der Coronapandemie viel Zeit zusammen. Es gibt viele Gründe, warum das gemeinsame Spielen eine gute Idee ist.
Familie spielt Brettspiel

Keine Termine, kein Zeitdruck. Für viele Kinder sind die Einschränkungen der Coronapandemie eine Zeit des Aufatmens. »Die sind richtig froh, dass sie sich in Ruhe konzentrieren und ihr Ding machen können und dass sie in ihrem Zimmer mit ihren Spielsachen sitzen und sich selbst die Zeit einteilen können«, sagt Fabienne Becker-Stoll, die in München das Staatsinstitut für Frühpädagogik leitet. Eine Pause im Alltag, der in normalen Zeiten mitunter sogar schon bei Kindergartenkindern durchgetaktet ist. Dabei haben Kinder ein Recht auf Spiel, fordert etwa das Deutsche Kinderhilfswerk und ruft wie jedes Jahr zum Weltspieltag auf. Am Donnerstag ist es wieder so weit. Das diesjährige Motto: »Raus in die Natur!«.

»Zeit in der Natur trägt zur Erholung bei, sie fördert zudem die mentale und soziale Entwicklung von Kindern, ihre Kreativität, ihre Entdeckerfreude sowie ihre Konzentration«, erklärt Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Kinderhilfswerks. Doch das allein reicht nicht. Eltern seien heutzutage oft übervorsichtig. Er rät, wo es möglich ist, die Kinder auch alleine etwas machen zu lassen. »Die allermeisten Kinder haben eine natürliche Neugierde und Begeisterungsfähigkeit, die sie von allein nach draußen ziehen. Das sollten die Erwachsenen unterstützen und hier nicht auf der Bremse stehen.«

»Zeit in der Natur trägt zur Erholung bei, sie fördert zudem die mentale und soziale Entwicklung von Kindern, ihre Kreativität, ihre Entdeckerfreude sowie ihre Konzentration«
Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Kinderhilfswerkes

Ähnlich sieht es Jens Junge vom Berliner Institut für Ludologie, das sich der Spielforschung widmet. Bei der intensiven Mediennutzung heutzutage sei das Spiel im Freien für die Entwicklung und das Körpergefühl von Kindern unverzichtbar, sagt der Spieleexperte der privaten SRH Hochschule für Kommunikation und Design. Auf Bäume klettern, hüpfen, irgendwo herunterspringen oder auf einem Baumstamm balancieren – eine wichtige Art des Spielens, die auch völlig ohne Spielsachen funktioniert. »Kinder sind kreativ genug, da sollte man sich darauf verlassen, dass ihnen nicht langweilig wird; sie greifen nach allem, was sie finden.«

Doch nicht nur Toben im Freien ist wichtig – Spielen an sich ist nach Ansicht von Experten gut, für Kinder und Erwachsene. »Spiele schaffen einen Ausgleich, erzeugen Entspannung, schaffen neue Erfahrungsräume, sie sorgen für Reflexion, damit für Erneuerung«, fasst Junge zusammen. Spiele hätten die Eigenschaft, dass sie Erfolge verschenkten. Becker-Stoll ist daher von der positiven Wirkung überzeugt: »Das schweißt die ganze Familie zusammen, auch die Geschwister.«

Streit gehört dazu

Ein schönes Bild – fröhlich sitzt die Familie um den Tisch und ist begeistert bei der Sache. Doch in der Realität geht es auch anders: Einer macht nervtötende Geräusche, die andere steht mittendrin auf und kommt ewig nicht zurück. Ein Glas Wasser ergießt sich über den Spielplan. Zwei diskutieren erbittert über die Spielregeln, und am Ende fegt jemand wutentbrannt die Spielsteine vom Brett.

Gerade zwischen Geschwistern eskaliert der Streit manchmal schnell. Der Schweizer Psychologe Jürg Frick findet das nicht schlimm: »Wenn die sich messen und miteinander streiten, ist es ein Zeichen, dass sie eine Beziehung zueinander haben. Reibung ist auch ein Ausdruck, dass sie aneinander Interesse haben.«

Außerdem ließen sich beim Spielen Kompetenzen einüben, soziale und emotionale, erläutert Becker-Stoll. »Das setzt voraus, dass Eltern das gemeinsame Spiel feinfühlig und altersangemessen moderieren – damit es allen Beteiligten und insbesondere den Kindern richtig Spaß und Freude macht.« Ihr Tipp für aufbrausende Gemüter: Spiele, die das Miteinander stärken und in denen der Sieg des einen nicht auf Kosten des anderen geht. Zudem sollten alle gleiche Chancen haben. »Und Eltern sollten gute Vorbilder sein, wenn es darum geht, Niederlagen mit Humor einzustecken.«

Und manchmal hilft es auch, einfach nur zusammen zu sein, ganz unspektakulär. »Zeit haben, zuhören, eine Geschichte erzählen, mal den Vater oder die Mutter für sich haben«, erklärt Frick. »Da ist es gut, wenn die Eltern weniger am Handy sind, sondern die Zeit genauso nutzen, mit den Kindern etwas zu machen. Das ist ebenfalls sehr wichtig für die Eltern.« Becker-Stoll hat noch einen Tipp, sollten die Gefühlswogen hochschlagen: »Man kann auch mal richtig miteinander Quatsch machen, sich Beschimpfungen ausdenken, eine Kissenschlacht, irgendetwas, bei dem man diesen aufgestauten Druck spielerisch und mit Humor rauslassen kann.«

(dpa/jde)

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.