Exoplaneten: Spuren des Lebens
Eine kleine orangefarbene Kugel zieht ihre Bahnen um einen blassen Stern. Es ist ein Planet, vergleichsweise klein und mit fester Oberfläche, umgeben von einer sauerstofflosen Dunstwolke aus Methan, Wasserdampf, Stickstoff und Kohlendioxid. Darunter verborgen: Ozeane, Kontinente und Einzeller, die sich eines Tages zu Säugetieren entwickeln werden. Und irgendwann auch zu Menschen.
So oder so ähnlich stellen sich manche Geologen unsere Erde vor mehreren Milliarden Jahren vor. Es ist eine Vergangenheit, die zunehmend auch Astronomen interessiert. Sie fragen sich: Was würde passieren, wenn man eine Welt wie die junge Erde in vielen Lichtjahren Entfernung entdecken würde und das von ihr reflektierte Licht nach Farben sortiert? Würde man die Erde dann als das erkennen, was sie ist? Oder wegen des fehlenden Sauerstoffs in der Atmosphäre schnell das Interesse an ihr verlieren?
Das nächste große Thema für Exoplanetenjäger
Fest steht: Die Atmosphären ferner Planeten sind das nächste große Thema der Exoplaneten-Forschung. Mittlerweile haben Astronomen mehr als 4000 Planeten in anderen Sternsystemen aufgespürt. Bei den allermeisten sind jedoch nur Masse, Durchmesser und Abstand zu ihrem jeweiligen Stern bekannt. Das reicht für einen umfassenden Planetenzensus – aber nicht für eine Antwort auf die Frage, ob es außerirdisches Leben gibt.
Die Lufthülle eines Exoplaneten ist hier aus Sicht von Experten der Schlüssel: Gelingt es, ihre chemische Zusammensetzung zu entschlüsseln, könnte das Rückschlüsse auf die Prozesse auf der Oberfläche des Planeten ermöglichen. Doch im Detail wirft die noch junge Wissenschaft der Atmosphärenastronomie viele Fragen auf – und könnte für lange Zeit deutlich weniger aussagekräftige Antworten liefern, als sich mancher Alienjäger erhofft.
Das zeigt nicht zuletzt das Beispiel der jungen Erde, die umgeben von ihrem orangefarbenen Dunstschleier so gar nichts mit unserer heutigen Heimat zu tun zu haben scheint. »Die Erde war damals ein völlig anderer Planet«, sagt Frances Westall, Geologin am französischen Forschungsinstitut CNRS in Orléans. Die Einzeller, die damals unseren Planeten bewohnten, hätten womöglich keinerlei »Biosignaturen« in der Atmosphäre hinterlassen: »Die Hälfte der Zeit, in der es Leben auf der Erde gab, würde die Atmosphäre nichts darüber verraten haben«, sagt Westall.
Hinzu kommt ein generelles Problem: »Gewiss kennen wir auf der Erde Moleküle, die nur vom Leben produziert werden«, sagt Westall. »Es gibt bestimmte Lipide, Proteine und natürlich das Molekül unseres Erbguts, die DNA. Aber diese Moleküle befinden sich nicht in der Atmosphäre.« Und derzeit weiß niemand so recht, welche sonstigen Spuren in einer Exoatmosphäre sicher auf biologische Prozesse hindeuten.
Spektren von 50 Welten
Der Astrophysiker Kevin Heng von der Universität Bern sieht das ähnlich: »Wir haben keine Ahnung von allem, was nicht die Erde ist«, sagt er. Doch mit der Zeit könnte sich das ändern. Die Wissenschaft sammelt jedenfalls immer mehr Anschauungsmaterial: Derzeit sind bei rund 50 Exoplaneten Atmosphären bekannt, Tendenz steigend.
Den Anfang machte dabei der Planet HD 209458b im Sternbild Pegasus, rund 159 Lichtjahre von der Erde entfernt. Bereits 2002 verkündete ein Forscherteam, mit Hilfe des Hubble-Weltraumteleskops Natrium in der Atmosphäre der fernen Welt nachgewiesen zu haben. Natrium ist zwar keine Biosignatur, aber in dieser Hinsicht stand HD 209458 auch nie unter Verdacht. Der Planet ist nicht nur größer als Jupiter. Er hat wegen seiner großen Nähe zu seinem Stern auch eine Oberflächentemperatur von rund 1000 Grad Celsius.
Im Lauf der Jahre haben Forscher immer wieder Strahlung aus den Atmosphären ausgewählter Exoplaneten aufgefangen, analysiert und dabei weitere Elemente entdeckt, Kalium zum Beispiel. Auch Wasserdampf war wiederholt dabei, der jedoch für sich genommen ebenfalls keine Biosignatur ist und daher keine sonderlich große Aufregung rechtfertigt.
Für Heng hingegen sind ganz andere Elemente interessant: zu Tröpfchen geschmolzenes Eisen und Titan zum Beispiel, die der Astrophysiker 2018 gemeinsam mit Kollegen in der Atmosphäre eines Exoplaneten namens KELT 9-b nachweisen konnte. »Der Planet hat eine größere Oberflächentemperatur als so mancher Stern«, sagt Heng.
Damit gehört er zur Klasse der »heißen Jupiter«, wie viele der Exoplaneten, deren Atmosphärenzusammensetzung bisher bekannt ist. Es sind also Gasriesen, die sich nahe bei ihrem Stern befinden, wie beispielsweise der Exoplanet Wasp-121b, dessen Atmosphäre 2017 untersucht wurde. »Wir können mit unseren derzeitigen technischen Möglichkeiten diese Atmosphären viel besser untersuchen als bei kleineren Planeten, weil sie im Vergleich größer und ausgedehnter sind«, sagt Laura Kreidberg, Direktorin am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg.
Nicht immer haben Exoplaneten eine Atmosphäre
Kreidberg interessiert sich derzeit am meisten für einen Exoplaneten namens LHS 3844b beziehungsweise für dessen Atmosphäre. Das Spannende an ihm: Er scheint keine zu haben, wie die US-Amerikanerin kürzlich gemeinsam mit Kollegen nachweisen konnte. Ein mahnendes Beispiel, findet Kreidberg: »Wenn alle anderen immer von Biosignaturen begeistert sind, ist für mich der erste Schritt: Atmosphäre, ja oder nein?«
Viele der bereits entdeckten Gesteinsplaneten umkreisen nämlich nicht sonnenähnliche Sterne, sondern kleinere, rötliche Sonnen, und das sogar auf engen Bahnen. Auch hier lautet der Grund, dass diese Art Planet derzeit gut beobachtet werden kann und entsprechende Welten daher besonders häufig in den Datensätzen der Astronomen auftauchen. Rote Zwergsterne neigen allerdings zu energiereichen Strahlungsausbrüchen und können Planetenatmosphären in ihrem Umfeld davonblasen oder verdampfen lassen – bevor Leben überhaupt eine Chance hatte.
Langfristig würden Astrobiologen gerne einen Blick auf eher kleine Gesteinsplaneten werfen, die einen Stern wie die Sonne in sicherem Abstand umkreisen. Hierzu brauchen sie jedoch bessere Instrumente: Das Hubble-Weltraumteleskop ist in den meisten Fällen nicht gut genug, um einen Blick in die Atmosphäre der fernen Welten zu werfen. Gelingen kann ihm das außerdem nur, wenn ein Exoplanet von uns aus gesehen direkt vor seinem Stern vorüberzieht. Denn dann filtert die Lufthülle des Planeten einen Teil des Sternenlichts – was nachweisbare Spuren im Strahlungsspektrum des Sterns hinterlässt.
Diese Einschränkung wird in den allermeisten Fällen auch für das James Webb Space Telescope (JWST) gelten. Der designierte Hubble-Nachfolger ist nach vielen Verschiebungen am 25. Dezember 2021 erfolgreich gestartet. Mit ihm soll vieles besser werden: Das Teleskop wird deutlich mehr Strahlung auffangen, eine höhere Auflösung erreichen und dabei auch einen größeren Wellenlängenbereich abdecken. »Wo uns Hubble bislang vielleicht zwölf Datenpunkte geliefert hat, aus denen wir die Zusammensetzung von Atmosphären rekonstruieren müssen, wird uns das JWST hunderte Datenpunkte liefern«, sagt Kevin Heng.
Astronomen freuen sich bereits darauf, die Highlights der bisherigen Exoplaneten-Auslese mit James Webb beobachten zu können, etwa das Trappist-1-System. Dort ziehen vermutlich stolze sieben Planeten ihre Bahnen, 40 Lichtjahre von uns entfernt. Zwar haben Wissenschaftler bereits das Hubble-Weltraumteleskop auf das System losgelassen. Sie haben dabei aber keine Atmosphären gefunden, zumindest unter der Annahme, dass diese weit ausgedehnt sind und Wasserstoff oder Wasserdampf enthalten.
Hoffen auf Trappist-1
Trotzdem bestehe nach wie vor ein riesiges Interesse daran, die Trappist-1-Planeten mit dem JWST zu untersuchen, erzählt Kevin Heng. Denn wer weiß: Vielleicht weisen einige der Welten, die zum Teil in der habitablen Zone durchs All treiben, schmale Atmosphären auf, die Kohlenstoffdioxid oder Methan enthalten – oder sogar Sauerstoff. »Hubble könnte diese Moleküle wahrscheinlich überhaupt nicht entdecken«, sagt Heng. Das JWST müsste dazu hingegen in der Lage sein, zumindest bei größeren Gesteinsplaneten.
Wird uns das James Webb Space Telescope also ein Atmosphärenspektrum bescheren, das einen Rückschluss auf außerirdisches Leben zulässt? Experten sind hier eher skeptisch. Denn vermutlich kann man das, was man in der Gashülle von erdähnlichen Exoplaneten finden wird, nicht eindeutig interpretieren. Sauerstoff allein ist beispielsweise noch keine Biosignatur, genauso wenig wie Kohlenstoffdioxid. Methan taugt ebenso wenig als Nachweis von Leben, wie Marsforscher berichten können. Denn obwohl es auf der Erde mit biologischer Aktivität zusammenhängt, ist es auf dem Mars wahrscheinlich geologischen beziehungsweise »abiotischen« Ursprungs. Gleiches könnte auf Exoplaneten für alle der genannten Gase gelten.
Schlechte Nachrichten also? Nicht unbedingt. Denn es könnte durchaus Moleküle geben, die fast ausschließlich von Organismen hergestellt werden. Dimethylsulfid zum Beispiel stammt von Phytoplankton im Meer. Es riecht wie gekochter Rosenkohl. Oder doch Chlormethan? Es wird ebenfalls von pflanzlichem Plankton hergestellt. »Aber ihre Anteile in unserer eigenen Atmosphäre sind winzig«, sagt Kevin Heng. Erst mit Großteleskopen wie dem European Extremely Large Telescope hätten Forscher – vielleicht – die Möglichkeit, solch feine Spuren bei anderen Welten nachzuweisen.
Für Frances Westall hingegen ist klar: Die Mischung macht's. »Wasser, Sauerstoff, Ozon und Methan findet man nur dann gleichzeitig, wenn es oxygene Fotosynthese gibt.« Gemeint ist die Produktion von Sauerstoff durch Zyanobakterien. Sie hat auf der Erde vor rund 2,4 Milliarden Jahren dazu geführt, dass sich das Atemgas in der Atmosphäre anreichern konnte. Erst ab diesem Zeitpunkt hat sich das Leben auch in unserer Atmosphäre bemerkbar gemacht. Aber gilt das ebenso für andere Planeten, die eine andere Masse und Zusammensetzung haben und deren Stern vielleicht einen ganz anderen Strahlungsmix aussendet? Bisher können Astrobiologen hier schlicht nur raten.
Eine lange Liste abiotischer Erklärungen
Auch Laura Kreidberg möchte sich nicht auf bestimmte molekulare Kandidaten festlegen. Sie sieht das Ganze sehr pragmatisch: Wenn man eine Atmosphärenzusammensetzung entdecke und ein bestimmtes Molekül nicht mit der bekannten Physik und Chemie erklären könne, wäre das natürlich interessant. Aber selbst dann gelte es noch, die ganze Liste mit abiotischen Erklärungen abzuarbeiten. »Wenn das nichts ergibt, ist es vielleicht eine Biosignatur.«
Allerdings ist die Liste mit den abiotischen Erklärungen lang. Sogar für unsere eigene Atmosphäre. Binnen drei Milliarden Jahren hat sie sich von einem diffusen, möglicherweise orangefarbenen Dunst zu einer fragilen Lufthülle entwickelt, die unzähligen Arten Platz bietet. Und dennoch wäre die Erde aus großer Entfernung wohl nur mit viel Geschick als Heimat der Menschheit zu erkennen.
»Wenn man wirklich gute Daten hätte, könnte man vielleicht entdecken, dass es in unserer Atmosphäre Kohlenstoffdioxid, Methan und Wasser gibt«, sagt Kevin Heng. »Und eine genaue Analyse würde zeigen, dass diese Elemente nicht im chemischen Gleichgewicht sind.« Leben ist gleich chemisches Ungleichgewicht. Ist ein entsprechender Hinweis also mit Leben gleichzusetzen? Leider nein, sagt Heng: »Man kann diese Art chemisches Ungleichgewicht auch ohne Leben hinbekommen.«
Der Berner Astrophysiker vermutet daher, dass wohl erst ein Nachfolgeprojekt des James Webb Space Telescope die Frage nach dem außerirdischen Leben zufrieden stellend beantworten kann. Bis dahin könnte es noch das eine oder andere Jahrzehnt dauern. Das mag sich lange anhören. Im Vergleich zu dem Weg von einer orangefarbenen, dunstverhangenen Kugel zu einer blauen Oase ist es aber wirklich kaum der Rede wert.
(Anm. der Red.: Der Artikel wurde am 9.2.2022 bezüglich des Starts des JWST aktualisiert.)
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