Kosmologie: Streit ums Schwarze Loch
Ende Februar 2013 präsentierte die NASA in einer im Internet übertragenen Pressekonferenz eine Studie, deren Autoren "definitiv und zum ersten Mal die Spinrate eines Schwarzen Lochs mit einer Masse von zwei Millionen Sonnenmassen" vermessen hätten. Das Objekt, gelegen im Zentrum der rund 56 Millionen Lichtjahre entfernten Spiralgalaxie NGC 1365, bildet die zentrale Masse eines aktiven Galaxienkerns (active galactic nucleus, AGN). Hier stürzt Materie über eine flache Akkretionsscheibe in das Schwarze Loch. Ein geringer Teil dieser Materie wird in zwei senkrecht zur Scheibe verlaufenden, gegenläufigen Jets auf relativistische Geschwindigkeiten beschleunigt.
Den Forschern um Guido Risaliti vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics und dem Osservatorio Astrofisico di Arcetri in Italien zufolge erreicht die Rotationsrate des Schwarzen Lochs 84 Prozent des maximalen durch die Relativitätstheorie erlaubten Werts, was ungefähr der halben Lichtgeschwindigkeit entspricht. Aber was genau "dreht" sich eigentlich bei einem Schwarzen Loch – einem Gebilde, an dem die Gesetze der Physik und die menschliche Vorstellungskraft gleichermaßen versagen?
Strudelnde Raumzeit
Die Rotation einer Singularität, also einer auf einen einzigen, unendlich kleinen Bereich der Raumzeit komprimierten Masse, kann man sich bildlich nicht vorstellen. Auch der so genannte Ereignishorizont, die Fläche um die Singularität, an dem die Fluchtgeschwindigkeit gerade die Lichtgeschwindigkeit erreicht, dreht sich nicht im Sinne eines starren Körpers. Denn der Ereignishorizont definiert kein physikalisches Objekt, sondern eine rein mathematische Grenze (allerdings eine Grenze mit erheblichen Auswirkungen, denn nichts kann dem Inneren entkommen, sofern es zuvor den Ereignishorizont überschritten hat). Es ist vielmehr die Raumzeit selbst, die durch die Gravitation des Schwarzen Lochs mitbewegt und in Rotation versetzt wird.
Anschaulich vorstellen kann man sich das mit Hilfe eines Wasserstrudels: Die Wasseroberfläche repräsentiert die rotierende Raumzeit, ein auf dem Wasser treibender Gegenstand die Materie, die der Raumzeit folgend durch die Gravitation schließlich in das Loch – beziehungsweise die Strudelmitte – hineinfällt. Versuche, den Spin sowohl stellarer Schwarzer Löcher in der Milchstraße als auch denjenigen extrem massereicher Exemplare in AGN zu messen, gab es schon mehrfach. Risaliti und seine Kollegen verwendeten das ESA-Röntgenteleskop XMM-Newton und den im Jahr 2012 gestarteten NuSTAR der NASA, um mit ihnen Röntgenstrahlung zu untersuchen, die vom aktiven Galaxienkern in NGC 1365 ausgeht. Das Röntgenlicht entsteht im unteren Bereich des relativistischen Jets, wird aber zusätzlich von der Materie in der Akkretionsscheibe in unmittelbarer Umgebung des Schwarzen Lochs reflektiert.
Bei diesem Vorgang prägen sich seinem Spektrum charakteristische Emissionslinien der in der Scheibe vorhandenen Materie auf – insbesondere eine markante Linie des Eisens (Fe) bei einer Energie von fünf bis sieben Kiloelektronvolt. Die Idee der Forscher: Die Raumzeitverzerrungen des rotierenden Schwarzen Lochs verzerren und verbreitern diese Fe-Linie. Die Stärke dieser Verzerrungen wäre somit ein Maß für die Geschwindigkeit der um das Loch wirbelnden Materie und damit für die Rotationsgeschwindigkeit des Lochs.
Doch wie so oft ist die Natur komplizierter als die Theorie. AGN sind umgeben von Röntgenlicht absorbierenden Gas- und Staubwolken, die ebenfalls Verzerrungen der Fe-Linie verursachen. Mit Röntgenmessungen bis etwa zehn Kiloelektronvolt, wie XMM-Newton sie durchführt, ist es nicht möglich, zu unterscheiden, ob diese Verzerrungen von den relativistischen Effekten eines rotierenden Schwarzen Lochs oder von der Absorption der Strahlung in den Gaswolken verursacht werden.
Unter Hinzunahme der NuSTAR-Daten stand den Forschern aber erstmals ein Röntgenspektrum bis 80 Kiloelektronvolt zur Verfügung. Um dem Spin des Schwarzen Lochs auf die Spur zu kommen, verglichen sie dieses gemessene Spektrum mit zwei konkurrierenden theoretischen Modellspektren. Das erste Modell berücksichtigte ausschließlich die Absorption in den Gaswolken. Das zweite beinhaltete zusätzlich die relativistischen Effekte eines rotierenden Schwarzen Lochs. Wie erwartet, gaben beide Modelle im Bereich kleiner Energien bis zehn Kiloelektronvolt die Daten gleich gut wieder. Bei hohen Energien jedoch versagte das Absorptionsmodell – das die Rotationseffekte des Lochs berücksichtigende Modell passte hingegen zu den Daten. Für Risaliti und sein Team ist damit klar: Das Schwarze Loch rotiert.
Ungewöhnlich heftige Kritik
Das aber sehen nicht alle Experten so. Lance Miller von der University of Oxford und Tracey Jane Turner, University of Maryland, werfen ihren Kollegen methodische Fehler bei der Modellierung des Röntgenspektrums vor, und das in einer ungewöhnlichen Deutlichkeit: "Risaliti et al. behaupten, man könne alle Absorptionsmodelle auf Grund der Messdaten ausschließen – das ist nachweislich falsch", meint Turner, die sich ebenfalls intensiv mit AGN und der von ihnen produzierten Röntgenstrahlung beschäftigt. Ihr Hauptkritikpunkt: "Sie vergleichen ihre Daten mit einem Absorptionsmodell, das aus einer einfachen Scheibe aus Gas besteht. Dieses Modell ist unrealistisch." Die Gasverteilung in der Umgebung eines aktiven Galaxienkerns ähnele keiner Scheibe – eine realistischere Geometrie der Gaswolken liefere ein signifikant anders geformtes Röntgenspektrum.
Zudem berücksichtige das von Risaliti und seinen Kollegen verwendete Modell die Comptonstreuung der Röntgenstrahlung an den Gasmolekülen nicht. Diese aber sei essenziell für die korrekte Modellierung des Spektrums. Das verwendete Modell tauge somit nicht, Absorption als Ursache der Verzerrungen zu Gunsten relativistischer Effekte auszuschließen, so Turner. Die Meinung unter den Experten sei gespalten, gerade deshalb sei ihre Replik wichtig: "Einige aus der Community folgen blind und ohne nachzufragen dem, was veröffentlicht wird. Ich glaube nicht, dass das gut ist für die Wissenschaft."
Guido Risaliti gibt sich angesichts dieser Kritik gelassen. Der Forscherstreit sei nur eine weitere Episode einer langen Kontroverse zwischen den beiden Gruppen, so der Astrophysiker. Er jedenfalls bleibt bei seiner Position: "Turner und Miller haben zwar Recht, wenn sie sagen, dass ihr Absorptionsmodell besser ist als unseres." Doch die Absicht seiner Gruppe sei es gar nicht gewesen, ein möglichst realistisches Modell zu entwickeln. Stattdessen habe er die Auswirkungen von zwei Extremfällen untersuchen wollen, zwischen denen die Realität enthalten ist. Dies sei gelungen: "Die physikalische Motivation, das reine Absorptionsmodell auszuschließen, gilt weiterhin."
Zudem bestätigten andere Beobachtungen sein Szenario vom rotierenden Loch: "Wir entdeckten Zeitverzögerungen von wenigen zehn Sekunden zwischen der direkten und der reflektierten Röntgenemission, was darauf hindeutet, dass die Reflexion in unmittelbarer Umgebung des Schwarzen Lochs geschieht." Diese und weitere Beobachtungen würden derzeit genau untersucht und in den kommenden Monaten veröffentlicht. Der Streit ums Schwarze Loch – er geht vorerst weiter.
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