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News: Tarnung ist das ganze Leben

Ein wandelnder Ast, ein springendes Moospolster, ein fliegendes Blatt - die Ähnlichkeit mit typischen Strukturen ihres Lebensraumes rettet Frösche, Falter und viele andere vor den aufmerksamen Augen ihrer Feinde. Die ständige Gefahr, gefressen zu werden, treibt die Beute dazu, sich immer besser anzupassen - und dabei gleichzeitig den Artgenossen möglichst unähnlich zu werden.
Gut getarnt durch das Muster ihrer Flügel verbringen viele nachtaktiven Falter den Tag an Baumstämmen. Je ähnlicher ihre Zeichnung dem Untergrund ist, desto schlechter kann ein Jäger wie der Blauhäher (Cyanocitta cristata) sie erspähen. Außerdem, so vermutete schon der Insektenforscher Edward Poulton 1890, sollte ein möglichst selten auftretendes Aussehen zusätzlich schützen – zumindest unter der Annahme, dass ein Räuber sich an ihm bekannten schmackhaften Vorlagen orientiert.

Soweit die Theorie. Doch was sagt die Praxis? Entsprechende Untersuchungen sind im Freiland kaum durchzuführen, da viel zu viele andere Faktoren zusätzlich auf das Räuber-Beute-System einwirken. Also setzten Alan Bond und Alan Kamil von der University of Nebraska ihre Blauhäher vor Computerbildschirme, auf denen sie ihnen maßgeschneiderte Nachtfalter vorführten – 200 Exemplare, einen nach dem anderen. Pickten die hungrigen Vögel nach einer vermeintlichen Beute, wurden sie mit einem Leckerbissen belohnt.

Die verschiedenen Zeichnungen erstellten die Forscher mit einem Programm, das die genetischen Grundlagen der Mustervererbung bei den Faltern nachahmt. Nach jedem "Jagdausflug" der Häher konnten sich die virtuellen Beutetiere fortpflanzen. Ganz wie im natürlichen Leben waren dabei diejenigen am erfolgreichsten, welche sich am besten vor den Räubern verbergen konnten. Ihre durchmischten Gene, gespickt mit einzelnen Mutationen, erzeugten eine neue Auswahl von Flügelmustern, die sich nun den wachsamen Augen der Häher stellen mussten.

Nach hundert Generationen analysierten die Wissenschaftler den inzwischen herausgebildeten Formenschatz. Wie erwartet, förderte der Räuberdruck besonders kryptische Muster: Ihr Anteil nahm um 29 Prozent zu – wer gut versteckt ist, endet eben nicht als Zwischenmahlzeit. Viel deutlicher jedoch zeigte sich der Einfluss auf die Vielfalt der äußeren Erscheinung. Denn am Ende der Versuchsreihen lag die Diversität der Flügelzeichnungen um 95 Prozent höher als in den Elternpopulationen.

In den nächsten Versuchsreihen wollen sich Bond und Kamil nun dem Problem des Hintergrundes widmen. In den bisher durchgeführten Experimenten hatten sie ausschließlich mit einem recht einheitlichen, fein gekörnten Muster gearbeitet, während in der freien Natur die Auswahl an Sitzplätzen auf jeden Fall vielfältiger ist. Indem die Wissenschaftler nun mit verschiedenartigen Vorlagen arbeiten, wollen sie die Frage angehen, ob solche Unterschiede das Auftreten von stark variierenden Flügelzeichnungen erklären, wie sie in einigen Arten zu beobachten sind.

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