Energie: Tiefbohrung im Wohngebiet
Schnell regt sich der Widerstand, wenn irgendwo in Deutschland ein geothermales Kraftwerk errichtet werden soll: Zuerst, so die Befürchtung, rückt ein Bohrtrupp an, um über Wochen hinweg unter ohrenbetäubendem Lärm ein mehrere tausend Meter tiefes Loch zu bohren. Anschließend wird das Gestein aufgerissen und mit Wasser befüllt. Und zu guter Letzt fallen diese Risse zusammen, verursachen ein mittleres Erdbeben, und die Besitzer der beschädigten Häuser müssen für den entstandenen Schaden selbst aufkommen. Für einen Großteil der deutschen Bevölkerung ist die Errichtung eines Geothermiekraftwerks in ihrer Nachbarschaft deshalb eher ein Ereignis, dem sie mit gemischten Gefühlen und vielfach auch lautstarkem Protest entgegensehen. Zu oft kam es bei ähnlichen Projekten in der Vergangenheit zu Schwierigkeiten, die auf die Erschließung dieser Energiequelle zurückgingen – etwa Beben in Basel, Potzham bei München oder Landau in der Pfalz, schwere Gebäudeschäden in Staufen im Breisgau oder ein Wasserausbruch in Wiesbaden.
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover sah sich daher Anfang 2009 vor nicht unerhebliche Probleme gestellt, als sie mit ihrem Projekt "GeneSys" an die Öffentlichkeit ging. Es sollte das Gebäude der BGR komplett mit geothermaler Energie heizen und damit diese Technologie einen weiteren Schritt nach vorne bringen. Der Plan jedoch, im Vorgarten des eigenen Gebäudes ein etwa 4000 Meter tiefes Loch zu bohren, stieß in den angrenzenden Wohnhäusern nicht gerade auf große Gegenliebe. Denn die Fälle, in denen es in der Vergangenheit zu Schwierigkeiten gekommen war, wurden in der Presse vielfach rezitiert und hatten auch in Hannover aufmerksame Leser gefunden.
Die Bundesanstalt musste daher völlig neue Wege bei ihrem Projekt einschlagen. So waren nicht nur die eigentlichen Bohrarbeiten besonders leise durchzuführen, es galt vor allem auch, Erdbeben zu vermeiden – eine Aufgabe für Ulrich Wegler, der sich mit der seismischen Überwachung der nötigen Bohrarbeiten befasste. Zusammen mit seinen Kollegen installierte er ein seismisches Frühwarnsystem um das Bohrloch herum, um auf diese Weise schon weit im Vorfeld mögliche geologische Aktivitäten entdecken zu können: In einem Radius von einem Kilometer und in einer Tiefe von 100 Metern wachten die ersten fünf Seismografen, um die sich ein weiterer Ring mit sieben Seismografen in vier Kilometer Entfernung anschloss. Und direkt neben der Bohrung versenkten sie nochmals zwei Messgeräte.
Keine Erdbebengefahr in Hannover
Mit Hilfe dieses Netzwerks wollten sie Mikrobeben aufspüren, um anschließend über statistische Berechnungen Prognosen treffen zu können, wie groß die Gefahr eines bevorstehenden größeren Erdbebens tatsächlich ist. "Je mehr Mikrobeben wir aufzeichnen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine schwerere Erschütterung bevorsteht", sagt Wegler. Insgesamt erfasste sein Team jedoch kaum seismische Aktivität, wobei die Norddeutsche Tiefebene ohnehin nicht besonders anfällig dafür sei. "Um genau zu sein, besteht um Hannover auf Grund der geologischen Gegebenheiten praktisch keine Gefahr von Erdbeben", so der Forscher. Nur in Regionen mit natürlichen Beben bestünde eine realistische Gefahr, dass durch die Bohrung weitere Erschütterungen ausgelöst würden. Der Süden Deutschlands ist daher deutlich anfälliger, wenn geothermische Ressourcen erschlossen werden. Für den Norden hingegen könnten diese Risiken fast überall nahezu ausgeschlossen werden.
Neben dem Ziel, potenzielle seismische Gefahren frühzeitig aufzuklären, hatte das Frühwarnsystem jedoch noch eine weitere Aufgabe: Ein funktionsfähiges geothermales Kraftwerk benötigt nicht nur ein tiefes Bohrloch, in der Erde selbst muss auch ausreichend Platz für das aufzuheizende Wasser geschaffen werden, was in der Regel durch das Aufbrechen des Gesteins geschieht, das so genannte Fracking. Dazu muss der als Wärmetauscher dienende Riss im Untergrund genau lokalisiert und vermessen werden, was ebenfalls über seismische Messungen geschieht. Denn nur über die wenigen Mikrobeben lassen sich genauere Aussagen über seine Form treffen. Während der gesamten Bohr- und Frackingarbeiten von "GeneSys" wollten Wegler und Co deshalb ermitteln, wie und wo sich der Riss im Untergrund ausbreitet. Dabei rächte es sich ein wenig, dass die Norddeutsche Tiefebene eben nicht besonders anfällig für Beben ist. "Während der gesamten Zeit, in der die Arbeiten vonstattengingen, traten kaum Mikrobeben auf, und es fällt uns daher sehr schwer, die genaue Ausformung des Wärmetauschers anzugeben", sagt Wegler.
Neben den potenziellen Gefahren im Untergrund musste die BGR auch oberirdisch ein gewichtiges Problem beachten: die immense Lärmbelästigung. Die Techniker mussten daher auch hier einen neuen Weg beschreiten, wollten sie die Nachbarschaft nicht über Gebühr belasten. Statt die Bohrung in nur zwei Monaten mit einem Dieselaggregat voranzutreiben, setzten sie auf eine elektrische Bohranlage. "Dadurch hat es doppelt so lange gedauert, das Bohrloch bis in 4000 Meter Tiefe voranzutreiben", erklärt Johannes Peter Gerling, Projektleiter von "GeneSys". Die Anlage war immerhin so leise, dass sogar nachts gebohrt werden konnte, ohne die Anwohner aus ihrem Schlaf zu reißen – sonst hätten die Arbeiten noch länger gedauert.
Völlig neue Ein-Loch-Technologie
Und schließlich versuchte die BGR auch in der eigentlichen Kraftwerkstechnologie ein neues Konzept umzusetzen. Bei einem üblichen Geothermiekraftwerk wird nicht nur ein Loch gebohrt, sondern gleich deren zwei: Durch die eine Bohrung pumpt man das Wasser in den Untergrund, und durch die andere kann es nach dem Aufheizen wieder an die Oberfläche steigen und dort seine Wärmeenergie abgeben. Dadurch entsteht ein Kreislauf, der permanent heißes Wasser produziert. In Hannover bohrten die Ingenieure dagegen nur ein Loch. Durch dieses soll im Sommer das Wasser in den Untergrund gepumpt und im Winter darauf wieder erhitzt an die Oberfläche geholt werden. Dadurch kann die BGR auf diese Weise kein Kraftwerk betreiben, das elektrischen Strom produziert – für die Beheizung ihres Gebäudes reicht das Konzept jedoch völlig aus.
Ob diese neue Methode einmal ökonomisch sinnvoll umsetzbar sein wird und wenn ja, in welchem Umfang, zeigt erst die Zukunft. "Das Forschungsprojekt GeneSys wird nicht wirtschaftlich sein", so Gerling. Für die Forscher der BGR handelt es sich eher um eine Machbarkeitsstudie, bei der sie die Möglichkeiten der neuen Technologie austesten. Momentan kämpfen die Wissenschaftler jedenfalls noch mit technischen Schwierigkeiten. So löste das in den Wärmetauscher gepumpte Wasser eine große Menge Salz, das sich nun im Bohrloch abgelagert hat, weshalb der begonnene Rückförderungstest abgebrochen werden musste. Nun prüfen sie, wie sich das innovative Einbohrlochkonzept dennoch weiterführen lässt. Völlig ohne Probleme funktioniert die Geothermie also auch in Norddeutschland nicht.
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