Energiewende: Die geothermische Revolution hat begonnen

Hitze aus dem Untergrund birgt enormes Potenzial für die Energiewende, und es ist längst nicht ausgeschöpft. Vielerorts werden bereits Einfamilienhäuser mit leicht erreichbarer Erdwärme geheizt. Doch treibt man die Bohrungen weiter in den Untergrund – nicht nur wenige Dutzend, sondern 1000 und mehr Meter in die Tiefe –, erreicht man Schichten, die mehr als 100 Grad Celsius warm sind. Das ist genug, um ganze Siedlungen zu beheizen oder um Strom zu erzeugen.
Die Ressource lässt sich aber nur erschließen, wenn das Gestein genug Risse und Poren hat. Dann kann ausreichend Wasser hindurchströmen, sich aufheizen und anschließend an der Oberfläche genutzt werden. Das ist beispielsweise im Münchner Raum der Fall. Dort laufen 18 Anlagen für tiefe hydrothermale Geothermie.
In vielen Regionen ist das Gestein in der Tiefe allerdings zu dicht und zu trocken. Der erwünschte Wasserkreislauf – über eine Injektionsbohrung in die Tiefe und von dort durch eine zweite Bohrung erhitzt wieder nach oben – kommt nicht in Gang. Seit Jahrzehnten versuchen Fachleute, auch unter diesen ungünstigeren geologischen Voraussetzungen die so genannte petrothermale Geothermie nutzbar zu machen, die unabhängig von Wasser führenden Schichten ist. Große Erfolge blieben aus, mitunter kam es sogar zu Erdbeben.
Doch Firmen und Forscher sind optimistisch, das zu ändern. Sie berufen sich auf jüngste Fortschritte. Zugleich investieren Regierungen in Technologieentwicklung, auch Unternehmen wie Meta und Google sind dabei. Sie brauchen massenhaft klimafreundlichen Strom für ihre Rechenzentren. Geothermie in bisher unerschlossenen Regionen könnte dazu beitragen. Diesen »Enhanced Geothermal Systems« (EGS) sollen nicht zuletzt Verfahren aus der fossilen Öl- und Gasindustrie zum Durchbruch verhelfen.
Da ist beispielsweise »Fracking«, von Fachleuten als hydraulische Stimulation bezeichnet: Wasser wird mit hohem Druck ins Gestein gepresst, wodurch vorhandene Risse geöffnet werden und neue entstehen. Beigefügte Körnchen halten die Klüfte offen. So können Öl und Gas zur Bohrung strömen und gewonnen werden.
In der Geothermie macht die hydraulische Stimulation das vormals dichte Gestein durchlässiger. Damit können die Bohrungen genug heißes Wasser an die Oberfläche bringen und Kraftwerke wirtschaftlich arbeiten.
Erdbeben bei Geothermieprojekten
Aber es lauern etliche Herausforderungen. So kann der Wasserdruck Erdbeben auslösen, wie in Basel im Dezember 2006. Seinerzeit waren die Erschütterungen spürbar, größere Sachschäden gab es nicht. Im südkoreanischen Pohang löste ein EGS-Vorhaben 2017 ein ungleich stärkeres Beben mit der Magnitude 5,5 aus. 90 Menschen wurden dadurch verletzt, der Sachschaden wird auf 52 Millionen Dollar beziffert.
Oder aber das eingepresste Wasser öffnet Spalten, die räumlich so ausgerichtet sind, dass kaum Wasser von einer zur nächsten Bohrung fließt. Der erwünschte Kreislauf kommt nicht zu Stande. Um vorab zu wissen, welche Spalten das Fracking entstehen lässt, müssen Fachleute zuerst abklären, welche Gesteine vorhanden sind und wie das lokale Spannungsfeld in der Erdkruste ausgerichtet ist. »Selbst die Deformationsgeschichte in früheren Erdepochen ist relevant, weil vorhandene Brüche reaktiviert werden können«, sagt Geologe Joseph Moore von der University of Utah.
»Kein anderes Geothermievorhaben, nicht mal in der Öl- und Gasindustrie, ist so gut überwacht«Joseph Moore, Geologe
Moore ist wissenschaftlicher Leiter von Utah FORGE, einem Untergrundlabor im gleichnamigen US-Staat, das laut Moore vom Department of Energy bis 2028 mit 300 Millionen Dollar finanziert wird. Das Ziel: Verfahren entwickeln und testen, um EGS sicherer und billiger zu machen. Mehrere Löcher haben die Forscher in die Erde treiben lassen, teils mehr als drei Kilometer lang. Sie installierten an der Oberfläche sowie in den Bohrlöchern zig Sensoren für Erschütterungen, Gesteinsverformung, Temperatur und andere Parameter. »Kein anderes Geothermievorhaben, nicht mal in der Öl- und Gasindustrie, ist so gut überwacht«, bekräftigt Moore. »Alle Daten sind öffentlich zugänglich.«
Harter Granit erfordert andere Bohrverfahren
Die ursprüngliche Intention, vorhandene Bohrtechnologien für EGS zu adaptieren, sei nur bedingt gelungen, resümiert der Forscher. »Öl und Gas werden aus Schiefer und Sandstein gewonnen, wir haben hier Granit, hartes, kristallines Gestein.« Das erfordert andere Bohrverfahren als weichere Sedimentgesteine. Entscheidend ist, dass möglichst viel Strecke in kurzer Zeit geschafft wird, ehe das Werkzeug verschlissen ist und getauscht werden muss. Denn das dauert und treibt die Kosten in die Höhe.
Auch ist die Temperatur mit bis zu 235 Grad Celsius höher als in Gaslagerstätten. Viele der etablierten Bohrer, Messgeräte und Apparate, die wie große Stopfen benachbarte Abschnitte innerhalb des Bohrlochs voneinander isolieren, kamen mit der Hitze nicht zurecht und gingen kaputt. Laut Moore gebe es Fortschritte, doch die Entwickler hätten noch einiges zu tun.
Dennoch ließen sich dank der neuen Technologien die Bohrkosten bereits jetzt um 30 bis 40 Prozent reduzieren. »Wenn man bedenkt, dass bei der Geothermie die Kosten etwa halbe-halbe durch die Bohrung und das Kraftwerk bestimmt werden, spart das einiges.«
Risiko für Erdbeben minimieren
Die Erdbebengefahr, fachsprachlich als induzierte Seismizität bezeichnet, hat das Team ebenso im Blick. Es habe vor dem Bohren untersucht, ob vorhandene geologische Störungen durch die EGS-Aktivitäten hätten aktiviert werden können. Zudem würden die Seismometer ringsum genau erfassen, wie stark die Erde zittert. Das tut sie ohnehin, nur meist unter der Wahrnehmungsschwelle. Wenn die Stöße stärker und häufiger werden, mahnt ein Ampelsystem zur Vorsicht bei der Stimulation oder fordert zum Stopp auf. Ob sich das Risiko völlig umgehen lasse? »Nein«, sagt Moore. »Aber wir können es minimieren.«
Erdwärme an weitaus mehr Orten zu gewinnen, als es bislang möglich erschien, könnte die Energiewende beschleunigen. Von einer geothermischen Revolution ist manchmal die Rede. Zu Recht, meint der Forscher. »Sie hat schon begonnen.« Etliche Bohrfirmen denken mittlerweile über Öl und Gas hinaus. Tiefe Geothermie gilt als Geschäftsfeld der Zukunft. »Selbst Risikokapitalgeber, die normalerweise auf schnelle Gewinne schauen, sind jetzt da.« Er sieht einen Enthusiasmus, wie er ihn zuletzt in den 1970er Jahren in der Ölbranche erlebt habe.
Neben EGS würden weitere Ideen verfolgt: »Manche wollen alte Bohrlöcher erneut öffnen, um sie für Geothermie zu nutzen.« Andere sähen in der Energiequelle zugleich einen Speicherort. Denn fällt viel billiger Solar- und Windstrom an, lassen sich damit Pumpen betreiben, die Wasser in die Tiefe pressen. Es erwärmt sich über Stunden oder Tage und kann in stromknappen Zeiten zur Energieerzeugung verwendet werden.
Riesiger Wärmetauscher im Untergrund
Dieses Konzept nutzt die US-Firma Sage Geosystems. Sie nennt es Geopressured Geothermal Systems (GGS). Im Jahr 2025 will sie in Texas eine Demonstrationsanlage für die U.S. Air Force errichten. Im Jahr 2027 soll östlich der Rocky Mountains eine Anlage für Meta errichtet werden, die zunächst acht Megawatt liefern wird. Der genaue Standort werde noch ermittelt, teilt ein Sprecher von Sage auf Anfrage mit.
Einen anderen Ansatz hat Eavor Technologies aus dem kanadischen Calgary gewählt. Anstatt den Untergrund mittels Fracking durchlässiger zu machen, belässt das Unternehmen die Schichten so, wie sie sind. Stattdessen errichtet es in der Tiefe einen Wärmetauscher, der aus mehreren horizontalen Bohrlöchern besteht. So entsteht viel Kontaktfläche zum heißen Gestein, woran sich Wasser erwärmt, bevor es wieder nach oben gelangt.

Eine Anlage läuft bereits in Kanada, derzeit entsteht eine weitere im bayerischen Geretsried. Dort ging es zunächst 4,5 Kilometer senkrecht nach unten, ehe die Bohrung zur Seite gelenkt wurde. Von dort fächert sie auf in mehrere horizontale Bohrungen, die sich jeweils über 3,5 Kilometer durch eine Kalksteinschicht erstrecken. Um den Kreislauf schließen zu können, entsteht ein weiterer Fächer in einigen Metern Abstand. Ganz am Ende, acht Kilometer vom Bohrturm entfernt, werden die Röhren verbunden.
Ein Pflaster für Risse im Gestein
Fachleute waren skeptisch, ob das gelingt. Schließlich haben die Bohrungen lediglich 20 Zentimeter Durchmesser, und GPS funktioniert in der Tiefe nicht. Die Ingenieure verwendeten eine Technologie namens Active Magnetic Ranging, bei der das Werkzeug in der einen Bohrung ein Magnetfeld aussendet. Dessen Stärke misst die zweite Bohrgarnitur, die so die Distanz auf rund zehn Zentimeter genau ermittelt, wie Daniel Mölk erklärt, Geschäftsführer von Eavor in Deutschland. »Wir haben bereits mehrere Schleifen verbunden und haben es immer beim ersten Versuch geschafft.«
Als Arbeitsmedium für die riesige Wärmepumpe dient Trinkwasser. Nach Bedarf werden Substanzen beigefügt, die unter anderem das Wachstum von Bakterien verhindern. Zu Beginn setzt Eavor zudem das Dichtmittel Rock-Pipe ein. Es dringt in vorhandene Spalten ein und verschließt sie wie ein Flüssigpflaster, erläutert Mölk. So bilden die Bohrungen ein abgeschlossenes System, das sich gut modellieren lässt.
In Geretsried herrschen im Untergrund 160 Grad Celsius. An der Oberfläche wird zu Beginn Wasser mit rund 128 Grad erwartet, später sollte sich der Wert um 120 Grad einpendeln. Denn die nähere Umgebung kühlt aus. Über die Wärmeleitung im Gestein kommt aber Nachschub. Ist die Leistung des Kraftwerks darauf angepasst, kann das System mehr als 100 Jahre lang laufen, sagt Mölk.
Die Bohrarbeiten sollen bis 2027 andauern. Die schon vorhandenen »Loops« im Kalkgestein werden bereits mit einem Kraftwerk verbunden, das im zweiten Halbjahr 2025 Strom liefern soll. Später wird noch Fernwärme folgen, doch der Netzanschluss wird erst gebaut.
Die Gesamtkosten schätzt Mölk auf mehr als 300 Millionen Euro, finanziert mit erheblichen Fördermitteln, aber auch privatem Kapital, unter anderem von Microsoft. Folgeprojekte dürften billiger werden. Aktuell gehen Vorhaben in Hannover und Ulm voran.
Drei Ausschlag gebende Standortfaktoren
Entscheidend sind laut Mölk drei Dinge. Erstens muss der Untergrund standfest sein. »Horizontale Bohrungen im Tongestein würden wieder zusammengedrückt.« Zweitens muss die Wärmeleitfähigkeit hoch und drittens die angesteuerte Schicht ausreichend mächtig sein, damit der Wärmetauscher hineinpasst. Konkurrenz zu hydrothermalen Geothermieanlagen sieht Mölk nicht: »Ist der Untergrund durchlässig, sind diese die bessere Wahl.« Das Eavor-Prinzip sei eine Ergänzung für dichte Gesteine.
Ob man mit vielen Bohrmetern ein verzweigtes System in der Tiefe schafft oder das Gestein selbst künstlich durchlässiger macht – jede Aktion treibt die Kosten in die Höhe. Am Ende muss die Geothermie konkurrenzfähig sein. Verglichen mit billigem Erdgas sei das früher kaum möglich gewesen, sagt Ingo Sass vom Helmholtz-Zentrum für Geoforschung (GFZ) in Potsdam. Doch es habe sich einiges geändert. »Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, die Technologien werden besser und zuverlässiger.« Und die Stimmung in der Bevölkerung wandle sich. »Mit Beginn des Ukrainekriegs wurde klar, wie abhängig wir von Energieimporten sind.« Geothermie als klimafreundliche, heimische Ressource werde selbst in urbanen Räumen, wo sie zuvor kritisiert und bekämpft wurde, verstärkt »toleriert oder zumindest distanziert beobachtet«.
Geothermie für ein Viertel des Wärmebedarfs
Bereits 2022 haben Fachleute der Fraunhofer-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft eine »Roadmap tiefe Geothermie für Deutschland« vorgelegt. Allein für die hydrothermale Erzeugung sehen sie ein Marktpotenzial von 25 Prozent des Gesamtwärmebedarfs, der Heizung sowie Industrieprozesse umfasst. Fortschritte bei der petrothermalen Erzeugung würden weitere Potenziale erschließen. Das Ziel der Autoren, zu denen auch Sass gehört: 72 Gigawatt installierte Leistung bis 2040. Das bedeutet rund eine Million Meter Tiefbohrungen im Jahr, rechnet der Geologe vor. »Das hatten wir in den 1960er und 1970er Jahren schon einmal erreicht, das ist machbar.« Aber nicht unter den gegenwärtigen Voraussetzungen. »Es fehlt an allem, an Bohrgerät, Fachleuten, der zugehörigen Industrie.«
»Es fehlt an allem, an Bohrgerät, Fachleuten, der zugehörigen Industrie«Ingo Sass, Geologe
Nicht anders sieht es bei den Genehmigungsbehörden aus. Auch dort fehlt Personal, und die Vorschriften sind komplex. Die Politik hat das erkannt und 2024 ein »Geothermiebeschleunigungsgesetz« auf den Weg gebracht, das die Genehmigung vereinfachen soll. Mit dem Koalitionsbruch stoppte das Verfahren. Auch vor solchen Hürden steht die geothermische Revolution.
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