Evolution des Lebens: Trickser-Bakterien schütteln den Stammbaum des Lebens
In jeder guten Mythologie spielt einer die Rolle des Tricksers und Täuschers – und keiner geht besser darin auf als Loki, die Sagengestalt des alten nordischen Götterhimmels. Loki sorgt ständig für Ärger und beleidigte Mitgötter. Er lässt sich kaum stellen, ist anarchisch und ehrgeizig. Er ist, und damit kommen wir zum Thema, der perfekte Namenspate für die Bakteriengruppe der »Lokiarchaeota«, die sich gerade anschickt, die Entwicklungsgeschichte des frühen Lebens auf unserer Erde fundamental umzuschreiben.
Die schwer fassbaren Lokiarchaeota gehören zu einer Unterkategorie einzelliger Lebewesen namens Archaea. Unter dem Mikroskop mögen diese wie Bakterien aussehen, sie unterscheiden sich von ihnen aber in manchen Punkten genauso deutlich wie wir Menschen. Die Lokis, so der Spitzname, sind erstmals anhand von DNA-Sequenzen beschrieben worden, die man aus Proben des schlammigen Meeresbodens bei Grönland isoliert hat. Heute zwingen sie – zusammen mit ein paar verwandten Mikroben – Biologen dazu, eine ganz grundlegende Frage der frühen Entwicklung des Lebens neu zu beantworten: das Aufkommen der Eukaryonten, also jener Organismen, zu denen sämtliche Pflanzen, Tiere und Pilze zählen.
Die Entdeckung der Archaea in den späten 1970er Jahren hatte in der Forschungswelt die Vorstellung reifen lassen, dass das Leben auf der Erde sich in drei Zweige oder »Domänen« aufteilt. Ein Zweig führte zu den heute lebenden Bakterien, ein zweiter zu den Archaea, der dritte zu allen Eukaryonten. Allerdings entbrannten sich schon bald hitzige Diskussionen über die exakte Zuteilung zu diesen Seitenästen des Lebens. Ein weithin geteiltes Modell des Lebens ging davon aus, dass Eukaryonten und Archaeen von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Dagegen postulierte die konkurrierende Schule eines »Zwei-Domänen«-Ansatzes, die Linie der Eukaryonten habe sich von einem bloßen Seitenzweig der Archaea abgespaltet.
Der Streit darüber war streckenweise heftig, schlief mit der Zeit aber ein, erinnert sich Phil Hugenholtz von der University of Queensland im australischen Brisbane. Dann fachten die Lokis ihn »als frischer Windstoß« wieder an, meint Hugenholtz – und sorgten für ein Comeback der Zwei-Domänen-These. Denn: Die neu entdeckten Archaeen zeigten Gensequenzen, die man bis dahin für ein typisches Merkmal der Eukaryonten gehalten hatte. Zudem ergab eine gründliche Analyse ihres Erbguts, dass Eukaryonten mit ihnen in eine Gruppe gehören sollten. Wenn das zutrifft, dann würde jede Form von komplexem Leben – von der Grünalge bis zum Blauwal – im Grundsatz eigentlich in die Gruppe der Archaeen gehören.
Viele Forscher sind davon noch längst nicht überzeugt. Das Aufstellen von Stammbäumen ist ohnehin ein notorisch komplexes und heiß umstrittenes Forschungsfeld. Hinzu kommt hier aber, dass bisher noch niemand jemals Loki-Stämme im Labor halten konnte, was die Untersuchungsmöglichkeiten drastisch einschränkt. Und so wird weiter erbittert gestritten, wobei die Opponenten sich »ungemein feindselig« geben, fasst Hugenholtz zusammen: »Jeder ist sich hundertprozentig sicher, dass die Gegenpartei in wirklich keinem einzigen Punkt Recht hat.« Einige äußern sich vorsichtshalber schon gar nicht mehr zum Thema, um ja nicht Gefahr zu laufen, einem der Doyens der Szene auf den Schlips zu treten.
Etwas Grundlegendes steht hier auf dem Spiel: ein weitergehendes Verständnis jenes Evolutionssprungs, der am Ende zu den Eukaryonten geführt hat. Also immerhin »das Allergrößte, was seit dem Beginn des Lebens geschehen ist«, meint der Evolutionsbiologe Patrick Keeling von der University of British Columbia in Vancouver. Die Herkunft der Eukaryonten zu enträtseln, hält er für »eine der fundamentalsten Fragen zum Verständnis der biologischen Vielfalt in der Natur«. Um sie zu beantworten, so Keeling, müsse eindeutig geklärt sein, wer mit wem verwandt ist.
Aus zwei mach drei
Vor einem halben Jahrhundert hatte die Wissenschaft das Leben auf der Erde für sich noch säuberlich in zwei Kategorien aufgeteilt: Es gab eben zum einen Eukaryonten – zelluläre Lebewesen, die aber auch membranöse innere Strukturen wie beispielsweise den Zellkern enthalten; und zum anderen Prokaryonten, denen als rein einzellige Organismen Membranen im Inneren im Allgemeinen fehlen. Damals kannte die Biologie zudem nur Bakterien als Prokaryonten.
Im Jahr 1977 beschrieb der Evolutionsbiologe Carl Woese mit seinen Kollegen dann die Archaeen als dritte Form des Lebens, die offenbar vor Milliarden Jahren entstanden war. Alle Organismen der Erde sollten laut Woese also in drei und nicht in zwei Unterkategorien gefasst werden.
Das blieb nicht unwidersprochen. So propagierte etwa der Evolutionsbiologe James Lake an der University of California in Los Angeles in den 1980er Jahren, Eukaryonten würden mit Archaea eine Schwestergruppe namens »Eozyten« bilden, wörtlich die »Zellen vom Sonnenaufgang (der Zeit)«. Aus dieser Idee heraus entwickelte sich schließlich das Zwei-Domänen-Szenario. Lake und Woese stritten nun heftig um ihre Konkurrenzmodelle, was schließlich in einem längst legendären Schrei-Duell Mitte der 80er Jahre kulminierte. Danach wollte sich Woese »gar nicht mehr mit Jim Lake treffen«, erinnert sich der Mikrobiologe Patrick Forterre vom Institut Pasteur in Paris. Lake bestätigt die Schärfe der Auseinandersetzung: »Das war wirklich eine ziemliche Debatte, begleitet von enorm viel Politik.«
Carl Woese starb 2012. Heute führt man den Streit über die Herkunft der Eukaryonten etwas zivilisierter. Auf beiden Seiten denken viele, dass Eukaryonten wohl irgendwie im Zuge der so genannten Endosymbiose entstanden sind. Diese Theorie hatte die bereits verstorbene Biologin Lynn Margulis bekannt gemacht: Ihr zufolge habe vor Äonen eine simple Zelle ein Bakterium verschluckt und sei daraufhin zu dessen Wirt geworden. Daraus hätte sich eine für beide vorteilhafte Beziehung entwickelt. Das eingefangene Bakterium wurde schließlich zum Mitochondrion – jener zellulären Substruktur, die Energie produziert. Am Ende wurden die Hybridzellen zu den heutigen Eukaryonten.
Ein Knackpunkt trennt die beiden Lager allerdings bis heute: Sie streiten über die exakte Natur der Ursprungszelle. Laut den Anhängern der Drei-Domänen-Theorie war sie eine (inzwischen ausgestorbene) Mikrobe. Forterre etwa sieht sie als »Proto-Eukaryont«, also als Gemisch, das weder ganz moderner Eukaryont noch ganz moderne Archaee war. Nach diesem Ansatz ereigneten sich in der frühen Evolutionsgeschichte mehrere größere Aufspaltungen: zunächst eine vor Milliarden Jahren, als Vorläuferorganismen sowohl die Bakterien als auch eine heute ausgestorbene Gruppe von Mikroben hervorbrachten. Diese Gruppe spaltete sich dann in Archaea und die späteren Eukaryonten.
Laut der Zwei-Domänen-Welt jedoch haben sich Bakterien und Archaeen aus einem urzeitlichen Vorläufer entwickelt, und es war eine Archaee, die das Bakterium schluckte und beheimatete. Das würde alle Eukaryonten zu einer Art übersprießendem Ableger der Archaea machen – oder, wie einige Wissenschaftler es nennen, zu einer »sekundären Domäne«.
Verschlüsselte Nachrichten
Ohne die Chance auf eine Zeitreise zum Ursprung der Mikroben wird es schwer, diese Hypothesen zu bewerten. Wir kennen nur sehr wenige fossile Spuren der ersten Eukaryonten, und diese sind zudem nur schwer zu lesen. Also müssen sich die Wissenschaftler auf das Genom moderner Organismen als Archiv der Evolution verlassen – ein Archiv allerdings, das im Lauf der Zeit ziemlich durcheinandergewirbelt wurde. »Wir versuchen ein wahrscheinlich ein paar Milliarden Jahre altes Rätsel mit modernen Sequenzdaten zu lösen«, sagt der Bioinformatiker Tom Williams an der University of Bristol. Keine leichte Aufgabe.
Immerhin haben die Debatten aktuelle Gensequenzierungstechnologien vorangetrieben. Bis vor Kurzem mussten Wissenschaftler Stämme von Bakterien oder Archaeen eines bestimmten Lebensraums im Labor halten, um sie identifizieren zu können. Jetzt können Forscher die mikrobielle Vielfalt in Wasser- oder Bodenproben anhand von daraus abgefischten, mit mathematischen Methoden analysierten DNA-Spuren beurteilen – per »Metagenomik«. Und so kommt es, dass die Wissenschaft, die im Jahr 2002 gerade einmal zwei Stämme (oder Phyla) von Archaeen kannte, heute dank Metagenomik dramatisch besser informiert ist.
Auch Evolutionsforscher profitierten rasch von der steigenden Ausbeute: Die neuen leistungsstarken Modellierungstechniken ließen einen ganzen Wald evolutionärer Seitenäste sprießen, der detaillierte Beziehungen innerhalb der Archaeen umreißt. Und: In vielen Fällen platzieren sich die Eukaryonten dabei innerhalb der Archaeen-Großfamilie. Das Gewicht der Beweise, meint Williams, »neigte die Waage aus unserer Sicht wirklich in Richtung des Zwei-Domänen-Eozytenbaums«.
Andere fanden die Datenlage weiterhin zu dünn, um die Debatte ad acta zu legen. Im Jahr 2015 veröffentlichte eine Gruppe unter der Leitung von Thijs Ettema, damals Evolutionsmikrobiologe an der Universität Uppsala in Schweden, DNA-Sequenzen der Lokiarchaeota, die sie fünf Jahre vorher in Sedimentproben sichergestellt hatte. In nur zwei weiteren Jahren konnten Ettemas Team und andere Forscher schließlich gleich drei neue mit den Lokis verwandte Phyla der Archaeen präsentieren. Die Übergruppierung dieser Funde tauften die Forscher »Asgard«, nach dem mythischen Reich der nordischen Götter.
Asgard-Archaea sind winzig klein, doch sie entpuppten sich als wirkmächtig beim Beleben der alten Debatte über die wahre Zahl der Domänen des Lebens. Vor allem lieferten sie gerade den Befürwortern der Zwei-Domänen-Hypothese verlockende Spuren zu dem Zelltyp, aus dem die ersten Eukaryonten entstanden waren. Wie Loki, ihr Namenspate, entziehen sich jedoch auch die Lokiarchaeota und ihre Verwandten einer allzu geradlinigen Interpretation: Zweifellos handelt es sich um Archaeen, ihr Genom aber ist ein Mischmasch von Genen, die ebenso in Eukaryonten vorkommen. Loki-DNA enthält zum Beispiel die genetische Bauanleitung für Aktine, die typischen Gerüstproteine eukaryontischer Zellen. Diese Gene schienen so fehl am Platz, dass die Forscherin, die sie entdeckte, zunächst schlicht auf Kontamination als Ursache tippte: »Ich sagte: Hmm, wie ist das möglich? Kann das hier wirklich ein Archaeen-Genom sein?«, erinnert sich Mikrobiologin Anja Spang vom Royal Netherlands Institute for Sea Research in Texel. Evolutionsmodelle bestätigen allerdings eine enge Verbindung von Asgard-Archaeen und Eukaryonten: Zum Beispiel platzieren sämtliche von Ettemas Team errechneten Stammbäume alle Eukaryonten in die Asgard-Gruppe.
Mittlerweile nutzen viele Forscher solche Archaeen-Datensätze, um sich ein besseres Bild vom eukaryontischen Vorläufer zu machen. Womöglich hatte der schon einige für Eukaryonten typische Merkmale, bevor er den mitochondrialen Vorläufer aufnahm: Es gab, erklärt Ettema, »wahrscheinlich bereits einige sehr primitive membranbiologische Prozesse«. Laut einer 2018 veröffentlichten Analyse ernährte sich der Vorfahre der Asgard-Archaeen vermutlich von organischen Molekülen wie Fettsäuren und Butan. Diese Diät hätte Endprodukte erzeugt, von denen sich dann assoziierte Partnerbakterien hätten ernähren können. Derartige im Reich der Mikroben gängige Nährstofftauschbörsen haben sich vielleicht allmählich zu immer engeren Beziehungen entwickelt. Könnte nicht eine für den leichteren Nährstoffaustausch sinnvolle Annäherung von Archaee und Bakterium auf Kuscheldistanz schließlich und endlich die Vereinnahmung des einen durch den anderen befördert haben?
Szenarien wie diese werden allerdings weiter bezweifelt. Der größte Skeptiker ist dabei Patrick Forterre: Er veröffentlichte, nachdem er die Asgard-Studie durchgegangen war, mit seinen Kollegen erst einmal eine grundsätzliche Kontraposition.
Irreführende Marker?
Ihr Vorstoß erzürnte Ettema: Forterre und seine Gruppe legten nahe, dass einige der in den Lokis aufgespürten eukaryontischen Sequenzen womöglich auf eine Kontamination zurückzuführen seien. Ein Loki-Protein, der »Elongationsfaktor 2« zum Beispiel, sei »wahrscheinlich durch eukaryontische Sequenzen verunreinigt«, schrieb das Team von Forterre in seinem Beitrag. Heute sagt Forterre, dass er sich in diesem Punkt nicht ganz sicher ist – er und seine Kollegen stehen jedoch weiter zu ihrer Kritik an den Asgard-Evolutionsstammbäumen. Auch die Schöpfer der kritisierten Stammbäume geben zu, dass es schwierig ist, die Beziehung von Organismen aufzudröseln, die vor zwei Milliarden Jahren gelebt haben.
Biologen rekonstruieren solche Zusammenhänge üblicherweise durch die Modellierung der Veränderung bestimmter »Marker« – meist eines Proteins oder eines Gens – im Lauf der Zeit. Forterres Gruppe meint, dass Ettemas Team dabei versehentlich irreführende Marker in die Stammbaumberechnung einbezogen hat. Ihre eigene, konkurrierende Analyse des Stammbaums führte Forterres Gruppe mit zwei besonders großen Marker-Proteinen durch, weil größere Eiweißstrukturen im Allgemeinen auch mehr Informationen über ihre Entwicklungsgeschichte transportieren. So kommen sie selbst auf einen Stammbaum mit drei Domänen.
Ettema kontert, auf Grund der beiden von Forterre verwendeten Marker ließe sich nicht hinreichend auf lange vergangene Ereignisse schlussfolgern – eine Kritik, die andere Wissenschaftlern durchaus teilen. Zudem versuchte er, Forterres Fund selbst mit den beiden fraglichen Markern zu reproduzieren, und kam dabei zu einem anderen, allerdings nicht veröffentlichten Ergebnis, nämlich wieder einem Zwei-Domänen-Stammbaum.
Sind solche Abweichungen auf Unterschiede im akademischen Hintergrund der Beteiligten zurückzuführen? Ettema vermutet das: Patrick Forterre sei »ein brillanter Wissenschaftler – auf seinem Gebiet«. Mit den Lokis habe er aber »die Grenzen seiner fachlichen Expertise ein klein wenig überschritten«. Forterre meint dazu, dass er schon einige Ahnung von Phylogenetik habe – und seine Koautoren noch mehr.
Im Übrigen weisen nicht alle Anhänger der Zwei-Domänen-Stammbäume das Konkurrenzmodell von Forterre einfach brüsk zurück: Tom Williams zum Beispiel bastelt mit modernsten Analysewerkzeugen gerade einen eigenen Stammbaum und flicht hier neue Archaeenarten ein. Damit hofft er, einige von Forterres Ergebnissen nachvollziehen zu können.
Der Drei-Domänen-Stammbaum hat auch im Mikrobiologen Norm Pace von der University of Colorado einen hochkarätigen Verfechter. Pace hat einige der Methoden entwickelt, die heute für die Platzierung von Mikroben in Stammbäumen unerlässlich sind. Über sehr lange Zeiträume, so Pace, erfahren Marker nur schwer nachverfolgbare Veränderungen. Zwar haben Ettema und andere versucht, solche unter dem Radar laufenden Veränderungen mit statistischen Methoden deutlich zu machen. Doch das überzeugt Pace nicht. »Ettema und Kollegen behaupten, sie könnten unsichtbare Veränderungen berechnen. Und ich behaupte, das ist eine blödsinnige Annahme«, so Pace. Doch solche Methoden sind weit verbreitet. Ettema kontert, Wissenschaftler könnten mit unterschiedlichen Tests überprüfen, ob ihre Daten von den fraglichen Langzeiteffekten betroffen sind.
Andere Wissenschaftler möchten sich derweil noch nicht auf eine Seite schlagen. Ein üblicher Kommentar ist: »Stammbäume ändern sich.« Patrick Keeling beschreibt sich als »hin- und hergerissen«, und Phil Hugenholtz meint, die Jury sei sich noch nicht einig. Beide Wissenschaftler finden allerdings, dass die Belege für die Zwei-Domänen-Meinung allmählich immer mehr werden.
Während die Stammbaumschlacht noch tobt, suchen einige Forscher jenseits von Gensequenzanalysen nach Indizien für die Zwei-Domänen-Hypothese: in den Zellmembranen. Bakterien und Eukaryonten haben hier einen anderen Satz typischer Lipide als die Archaeen, und eine Mischung galt als instabil. Dieser »Lipid-Graben« war für die Zwei-Domänen-Befürworter schwer zu akzeptieren: Er impliziert ja, dass die von Archaeen abstammenden Eukaryonten irgendwann vom Einsatz der althergebrachten Archaeen-Lipide auf die Produktion und Verwendung der bakteriellen Versionen umgestellt haben.
Allerdings ist der »Lipid-Graben« womöglich doch nicht so schwer zu überspringen wie früher gedacht. Im Jahr 2018 gelang es niederländischen Forschern zum Beispiel, Bakterien mit Zellmembranen zu konstruieren, die sowohl Archaeen- als auch bakterielle Lipide enthalten. Außerdem haben Wissenschaftler im Schwarzen Meer Bakterien gefunden, die Gene für die Herstellung beider Lipidsorten haben. Ebensolche Mischmembranen könnten auch Übergangsmikroben zwischen Archaeen und Eukaryonten gehabt haben, spekuliert die Mikrobiologin Laura Villanueva vom Royal Netherlands Institute for Sea Research, die Mitglied des Teams ist, das die Schwarzmeerbakterien untersucht hat.
Noch gibt es bloß eine begrenzte Zahl von Analysen der Asgard-Archaeen – inklusive Lokis. »Worauf alle wirklich warten, ist die Isolierung eines Vertreters dieser Linien«, sagt die evolutionäre Mikrobiologin Simonetta Gribaldo vom Institut Pasteur. »Wir müssen die zu fassen kriegen und in Kultur bekommen.« Der Stoffwechsel von einigen ist allerdings sehr träge, und sie vermehren sich nur langsam. »Genau das, was man nicht will, wenn man einen Organismus zu kultivieren versucht«, so Ettema. Tatsächlich geben nur wenige andere Wissenschaftler zu Protokoll, dass sie überhaupt einen solchen Versuch unternehmen – etwa die Mikrobiologin Christa Schleper von der Universität Wien. Sie nennt ihren Versuch, eine Asgard-Kultur hochzuziehen, »das verrückteste Projekt, für das ich je Geld beantragt habe«.
Die Asgard-Mikroben mögen notorisch schwer festzunageln sein – doch immerhin hat ein Team nun die ersten Bilder von ihnen aufgenommen. Zu sehen sind darauf abgerundete Zellen mit Bündeln verdichteter DNA, die dem definierenden Merkmal aller Eukaryonten ähneln: dem Zellkern. Die Bilder seien »faszinierend«, würden aber leider noch keine eindeutigen Schlussfolgerungen zulassen, meint der Mikrobiologe Rohit Ghai vom Institut für Hydrobiologie in České Budějovice, ein Mitautor des Fotostrecken-Preprints.
Somit bleibt das Gesamtbild unklar. In der nordischen Mythologie sät Loki oft Chaos – und bringt dann alles wieder in Ordnung. Verfechter der Zwei-Domänen-Hypothese hoffen, dass die nebulösen, allmählich aber immer besser ausgeleuchteten Lokiarchaeota die langwierige Debatte über den Ursprung des komplexen Lebens beilegen können. Das dürfte allerdings noch ein Weilchen dauern: »Als wir die Asgard-Archaeen entdeckten, dachten wir, das würde alle überzeugen.« Das, lacht Anja Spang, »war nicht der Fall«.
Der Beitrag ist im englischen Original »The trickster microbes that are shaking up the tree of life« in »Nature« erschienen.
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