Mathematik: Mehr als 12 000 neue Lösungen des Dreikörperproblems entdeckt
Im Universum trifft man häufiger drei Sterne an, die sich gegenseitig umkreisen. Möchte man die genauen Bahnkurven der einzelnen Himmelskörper berechnen, stößt man allerdings schnell auf Probleme. Denn die Gleichungen, die die Umlaufbahnen der Sterne liefern sollen, lassen sich in der Regel nicht exakt lösen. Damit kann man das künftige Verhalten von Drei-Sonnen-Systemen nur schwer vorhersagen: Haben sie stabile Bahnen oder wird sich ein Stern irgendwann von den anderen beiden losreißen und in den Tiefen des Weltraums verschwinden? Wiederholt sich die Bewegung der Körper regelmäßig oder folgt sie einem unvorhersehbaren Muster? Am 30. August 2023 hat ein Team um den Mathematiker Ivan Hristov von der Universität Sofia in Bulgarien 12 409 neue periodische Bahnkurven des Dreikörperproblems in einer noch nicht begutachteten Arbeit vorgestellt.
Die Berechnung von Umlaufbahnen geht auf den Physiker Isaac Newton zurück, der sich bereits 1687 in seiner »Principia« damit auseinandersetzte. Damals untersuchte er, wie sich Massen im luftleeren Raum bewegen, wenn sie sich allein durch die Gravitationskraft gegenseitig anziehen. Das Ergebnis sind mehrere Differenzialgleichungen, also Gleichungen, die neben Variablen auch deren Ableitungen enthalten. Betrachtet man nur zwei sich anziehende Objekte, lassen sich die Gleichungen schnell lösen, die dazugehörigen Bahnkurven entsprechen stets Kegelschnitten: Entweder die beiden Körper umrunden sich auf einer kreis- oder ellipsenförmigen Bahn oder sie fliegen entlang einer Hyperbel oder Parabel aneinander vorbei.
Sobald aber ein dritter Körper beteiligt ist, wird es chaotisch – und zwar auch aus mathematischer Sicht. In den allermeisten Fällen lassen sich die Differenzialgleichungen nicht mehr exakt lösen, das heißt, man ist auf Näherungsverfahren angewiesen, um die Bahnkurven der Körper vorherzusagen. Und auch die Näherungsverfahren funktionieren nur mäßig, denn kleinste Schwankungen der Parameter (etwa Anfangsgeschwindigkeiten oder Positionen) führen zu völlig anderen Ergebnissen. »Kennt man die Bahnkurven eines Systems aus drei Sternen und verändert die Position des einen um nur wenige Millimeter, können die Flugbahnen plötzlich völlig verschieden verlaufen«, so der Mathematiker Richard Montgomery in einem Artikel für »Spektrum der Wissenschaft«, der an der University of California in Santa Cruz an diesem Thema forscht.
Das Thema hat es sogar in die Bestsellerliste geschafft: In »Die drei Sonnen« beschreibt der chinesische Sciencefiction-Autor Liu Cixin eine außerirdische Zivilisation, die auf einem Planeten lebt, der drei Sonnen umkreist. Deren Bahnverlauf lässt sich nicht präzise vorhersagen, wodurch die außerirdischen Gesellschaften immer wieder vernichtet werden, wenn eine der Sonnen zu nah an ihren Planeten heranreicht.
Durch Spezialfälle an Lösungen herantasten
Da es keine allgemeine Lösung des Dreikörperproblems gibt, haben Forscherinnen und Forscher schon früh begonnen, Spezialfälle zu untersuchen. Zum Beispiel, wenn eines der drei Objekte deutlich schwerer ist als die anderen beiden – wie es beim System Erde-Mond-Sonne der Fall ist. Die Fachleute um Hristov haben hingegen drei Sterne untersucht, die alle die gleiche Masse haben und sich anfangs in Ruhe befinden, also keine Startgeschwindigkeit haben. Ziel ist es, geeignete Standorte zu bestimmen, damit die entstehenden Bahnkurven periodisch sind und die drei Objekte niemals kollidieren. Das Problem kann man sich folgendermaßen vorstellen: Man platziert drei gleich schwere Objekte irgendwo im luftleeren Raum, dann beginnen sie sich unter dem Einfluss der Schwerkraft zu nähern, rasen aneinander vorbei, entfernen sich und ziehen sich dann wieder an.
Es wurden schon einige periodische Umlaufbahnen für Dreikörpersysteme gefunden. Doch unter den speziellen Bedingungen (gleiche Masse, keine Anfangsgeschwindigkeit), die Hristov und sein Team betrachtet haben, waren bisher nur 313 Anfangsbedingungen bekannt, die zu periodischen Bahnen führen. »Diese Zahl ist nicht vergleichbar mit Tausenden anderer Arten von periodischen Dreikörperbahnen, die in den letzten zehn Jahren entdeckt wurden«, schreiben Hristov und seine Kolleginnen und Kollegen in ihrer Arbeit. Daher haben sie die komplexen Modelle überarbeitet und einen Supercomputer die Gleichungen auswerten lassen.
Auf diese Weise fanden sie 24 582 Konfigurationen von drei gleich schweren, anfangs ruhenden Objekten, die periodische Bahnen erzeugen. Einige der so entstehenden Umlaufbahnen sind jedoch identisch, so dass sie am Ende 12 409 unterschiedliche Bahnkurven erhielten. Mit noch leistungsfähigeren Rechnern ließen sich bis zu fünfmal mehr Bahnkurven finden, sagte Hristov zu »New Scientist«.
Auch wenn das Ergebnis spannend ist, wird sich die Relevanz für die Astronomie noch zeigen. »Die Stabilität der Bahnkurven ist besonders interessant« und muss in Folgearbeiten noch untersucht werden, wie die Fachleute um Hristov betonen. Denn ob eine der berechneten Bahnkurven im Universum anzutreffen ist, hängt davon ab, wie empfindlich sie ist. Falls kleinste Schwankungen ihren Verlauf völlig verändern, ist es unwahrscheinlich, sie jemals zu beobachten.
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