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Umweltschutz: Der ökologische Fluch der Drogen

Denkt man an die schlimmen Folgen von Drogen, kommen einem zuallererst tote Junkies, kranke Fixer und benebelte Kiffer in den Sinn, dann Kriminalität und vielleicht auch der Krieg in Kolumbien. Doch die Verheerungen durch Kokain oder Heroin beginnen weit früher: Ihr Anbau und ihre Produktion belasten Mensch und Natur.
Höllisches weißes Pulver
Die Wissenschaftler kamen wahrscheinlich keine Minute zu früh, um noch Notiz nehmen zu können von einer zuvor unbekannten Vogelart: In den verbliebenen Nebelwäldern der kolumbianischen Serrania del Pinche entdeckten sie 2006 einen neuen Kolibri namens Isabella-Schneehöschen (Eriocnemis isabellae), der nur dort lebt und schon existenziell bedroht ist. Denn der Anbau von Coca-Sträuchern – Grundlage für die Droge Kokain – frisst sich in seinen restlichen Lebensraum und vernichtet vor Ort jährlich mindestens 500 Hektar ursprünglicher Natur.

Kahlschlag für den Anbau

Coca-Pflanze | Quell des Übels: die Coca-Pflanze. Die Hochland-Indios von Peru und Bolivien nutzen Coca seit jeher und zu spirituellen Zwecken. Doch ihre Felder machen heute nur noch einen kleinen Teil der Produktionsflächen aus – der Großteil dient dem internationalen Drogenmarkt.
Der kleine Gebirgszug im Süden Kolumbiens zeigt allerdings nur exemplarisch die Dimensionen des Raubbaus an den artenreichen Tropenwäldern Südamerikas, die monotonen Coca-Plantagen geopfert werden. Darunter fällt weniger die Subsistenzwirtschaft der Indios im Anden-Hochland von Peru oder Bolivien, die aus spirituellen Gründen, aber auch um Hunger oder Erschöpfung zu unterdrücken, Coca-Blätter kauen. Sie bauen das Gewächs traditionell in lange genutzten Terrassen an, deren Flächenausdehnung beispielsweise in Bolivien zwischen 1992 und 2000 um mehr als die Hälfte zurückging, weil die Bauern auf andere Erzeugnisse umgestiegen sind oder den Anbau generell aufgegeben hatten.

Ganz anders verhält es sich mit dem illegalen Anbau für den internationalen Rauschgifthandel: Um der staatlichen Verfolgung zu entgehen, weicht die Drogenmafia in Peru, Kolumbien und Bolivien in entlegene und bis dato weit gehend unberührte Regionen aus – etwa in verbliebene Bergnebelwälder oder ins Amazonasbecken. Brandgerodete Areale werden mit Coca, aber auch mit Schlafmohn bepflanzt und nach zwei bis drei Ernten wieder aufgegeben, weil die Böden unfruchtbar geworden sind oder die Behörden darauf aufmerksam wurden. Anschließend wiederholt sich dieses Szenario an anderer Stelle.

Während der letzten zwanzig Jahre sollen dadurch mindestens 2,4 Millionen Hektar Wald in den drei Hauptanbaugebieten Südamerikas verloren gegangen sein: eine Fläche der Größe El Salvadors. Nach einer Studie von Maria Alvarez vom Naturhistorischen Museum New Yorks wuchs etwa in Kolumbien die Anbaufläche für Coca zwischen 1997 und 2002 jährlich um mehr als zwanzig Prozent [1], wovon knapp zwei Drittel frisch gerodetes Waldland betraf – bei Schlafmohn soll dies sogar für 85 Prozent der neuen Flächen gelten. Neuere Zahlen sind wegen der fortgesetzten Bekämpfungsmaßnahmen der kolumbianischen Regierung unter Mithilfe der Vereinigten Staaten nur schwer zu bekommen, doch dürfte sich der Anbau gerade deswegen noch stärker in entlegene waldreiche Regionen verlagert haben. Es wird geschätzt, dass etwa die Hälfte der gesamten Entwaldung in Kolumbiens Bergen auf das Konto der Drogen geht.

Wie Alvarez bei ihren Untersuchungen in Kolumbien feststellen musste, dringen die Drogenproduzenten zudem vermehrt in Nationalparks und andere Schutzgebiete vor. Dort liegen die Hürden für den Einsatz staatlicher Bekämpfungsmaßnahmen höher, sodass entlaubende Herbizide weniger leicht eingesetzt werden können. Die Biologin entdeckte beispielsweise 3000 Hektar illegale Anbauflächen in drei Schutzgebieten der südwestlichen Anden, die 115 bedrohte Vogelarten beheimaten, 2200 Hektar in zwei weiteren Reservaten im Nordwesten des Gebirgszugs mit sechzig gefährdeten Spezies und sogar mehr als 9000 Hektar in fünf Parks der Sierra Nevada de Santa Maria und Serrania del Perija. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Tiere wie das Isabella-Schneehöschen, sein Verwandter, der Blaubauch-Höschenkolibri (Eriocnemis mirabilis), oder das Magdalena-Tinamu (Crypturellus saltuarius) aus diesem Grund vor dem Aussterben stehen.

Im benachbarten Peru ließ sich die Spur der Zerstörung sogar leicht im Satellitenbild nachweisen, als im oberen Huallaga-Tal der Wald großflächig dem Kokain weichen musste und innerhalb weniger Jahre 200 000 Hektar entsprechend umgewandelt wurden. Was nicht ohne gravierende Folgen für die Umwelt der Region blieb: Da kein Wald mehr die tropischen Regenfluten aufnehmen konnte, nahmen die Abflussspitzen des Huallaga deutlich zu und Landrutsche häuften sich. 1987 kam es in der Region zu den bis dahin schlimmsten bekannten Überschwemmungen und Schlammlawinen Perus, die nach Angaben der Drogenbehörde der Vereinten Nationen (UNODC) zahlreiche Menschen töteten.

Isabella-Schneehöschen | Erst vor vier Jahren entdeckt und schon vom Aussterben bedroht: das Isabella-Schneehöschen Eriocnemis isabellae aus Kolumbien. Der kleine Kolibri verfügt nur noch über knapp 1200 Hektar an geeignetem Lebensraum in den Bergwäldern der Region – der Rest fiel dem Coca-Anbau und der Viehwirtschaft zum Opfer, und jedes Jahr gehen etwa weitere acht Prozent dadurch verloren.

Mittlerweile laufen erste Gespräche mit den Menschen vor Ort, die den Stolz auf den einzigartigen Vogel wecken sollen. Geplant ist zudem, geeignete Gebiete zu kaufen und ein privates Schutzgebiet einzurichten. Der Weltbestand des Kolibris könnte allerdings bereits weniger als 50 Tiere betragen.
Waldrodung für den Suchtmittelmarkt ist jedoch kein alleiniges Phänomen der Andenländer: Ein ähnliches Muster konnte man im Goldenen Dreieck Südostasiens beobachten, bevor diese Opium-Kapitale im Grenzbereich von Thailand, Laos und Myanmar durch das aufstrebende Produktionszentrum Afghanistan abgelöst wurde. Kettensägen begleiten auch den Marihuana-Anbau in Mexiko, wo in der Sierra Madre Occidental alte Kiefernwälder dem Hanf weichen müssen. Und selbst US-amerikanische Nationalparks bieten keine endgültige Gewähr, dass Natur nicht den Drogen weichen muss, wie aufgestöberte Marihuana-Plantagen im kalifornsichen Sequoia-Nationalpark belegen.

Giftige Bekämpfung

Ein Grund, warum die Drogenanbauer in abgelegene Regionen fliehen, ist die rigide staatliche Bekämpfungspolitik, die insbesondere in Kolumbien, aber auch in Peru praktiziert wird – unter Einsatz von Pflanzengiften und Feuer. Finanziert durch die USA besprühten Flugzeuge im Rahmen des "Plans Kolumbien" im Jahr 2006 mehr als 170 000 Hektar Mohn- und Coca-Felder: eine Steigerung um ein Viertel verglichen mit dem Vorjahr. Vornehmlich werden dabei Herbizide auf Glyphosat-Basis eingesetzt – bekannt vom Unkrauttotalvernichtungsmittel Roundup, jedoch noch stärker konzentriert und damit wirksam. Innerhalb weniger Tage sterben alle besprühten Pflanzen ab.

Die Giftwolken rieseln allerdings nicht nur auf die Felder herab, sondern treffen auch die lokale Bevölkerung – und das selbst im Nachbarland Ecuador, obwohl kolumbianische Regierungsbehörden darauf verweisen, dass die Sprüheinsätze strikt Umweltrichtlinien folgen und regelmäßig überwacht werden. Eine Studie von César Paz y Miño von der Katholischen Universität von Ecuador in Quito widerspricht dem jedoch [2]: Die Mediziner analysierten das Blut von 24 Dorfbewohnern in Grenznähe zu Kolumbien, die im Jahr 2000 versehentlich während der Giftausbringung besprüht worden waren. Verglichen mit den Werten von Landsleuten, die achtzig Kilometer entfernt davon wohnen und keinen Kontakt mit den Glyphosaten hatten, wiesen sie 600 bis 800 Prozent mehr DNA-Schäden auf, die später zu Krebs oder Fehlgeburten führen könnten.

Gefräßiger Coca-Anbau | Kaum entdeckt, ist das Isabella-Schneehöschen auch schon gefährdet: Der Anbau von Coca-Sträuchern frisst seine Bergwald-Heimat in der Serrania del Pinche im Südwesten Kolumbiens.
Bereits unmittelbar nach ihrer Kontamination litten sie unter Übelkeit, Durchfall, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Atembeschwerden und anderen gesundheitlichen Problemen, die die Forscher direkt auf das Herbizid zurückführen. Immerhin lagen die damals im Blut gemessenen Glyphosat-Konzentrationen zwanzig Mal so hoch wie vom Hersteller als tolerierbar gekennzeichnet. Weiterhin listet ein Report von Jim Oldham und Rachel Massey vom Institute for Science and Interdisciplinary Studies in Amherst eine Reihe von Studien und Zeugenberichten auf [3], die einen engen Zusammenhang zwischen den Gifteinsätzen und Krankheitsfällen nahelegen – etwa aus der kolumbianischen Provinz Putumayo, in der nach Sprühaktionen 2000 und 2001 viele Menschen mit typischen Krankheitssymptomen in Krankenhäuser eingeliefert wurden.

Beobachtungen, die laut der US-Umweltbehörde (EPA) eigentlich nicht vorkommen dürften: "Glyphosate werden im Verdauungstrakt nur geringfügig aufgenommen und von Säugetieren weitest gehend unverändert wieder ausgeschieden(...). Orale oder Hautkontakte haben nur eine sehr geringfügige Toxizität(...). Toxikologische Studien haben gezeigt, dass Glyphosate weniger giftig sind als Kochsalz, Aspirin, Koffein, Nikotin oder sogar Vitamin A(...). Eine geprüfte Fachveröffentlichung kommt zu dem Schluss, dass unter den gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden Nutzungsbedingungen Roundup kein Gesundheitsrisiko für Menschen darstellt."

Zwischen der US-amerikanischen und der kolumbianischen Nutzungswirklichkeit liegen aber offensichtlich Welten, denn in dem südamerikanischen Land wird das Herbizid ausgebracht, ohne zuvor die Landbevölkerung zu warnen. Zudem treffen die Giftwolken auch unbeabsichtigt Felder mit legalen Nutzpflanzen, Vieh oder Regenwald – sogar innerhalb von Schutzgebieten –, die dadurch ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden und sterben. Gelangt das Glyphosat in Gewässer, beeinträchtigt es die Trinkwasserqualität und wirkt für viele der darin lebenden Organismen inklusive Fische und Amphibien tödlich.

Ätzende Produktion

In vielen Fällen lassen sich jedoch gesundheitliche und ökologische Folgen nicht auf das Pflanzengift zurückführen, sondern nehmen ihren Ausgang im Anbau der Drogen selbst. Denn die Coca- oder Mohn-Produzenten geizen ebenfalls nicht mit der Verwendung von Pestiziden, um ihre Pflanzen vor Insekten oder pflanzlicher Konkurrenz zu schützen. Darunter befinden sich Mittel, die 2,4-D (2,4-Dichlorphenoxyessigsäure) enthalten, das während des Vietnam-Kriegs die Basis der Entlaubungsmittel Agent Purple und Agent White bildete. Bisweilen sind sie sogar dazu übergangen, ihre Felder mit Erdöl zu besprühen, um sie so vor Satelliten- oder Luftbildaufklärung zu tarnen.

Kahlschlag für die Sucht | Kokain ruiniert nicht nur die Menschen, sondern auch die Umwelt: In Südamerika fallen dafür die Wälder und werden Flüsse mit Chemikalien vergiftet.
Richtig massiv werden Chemikalien dann in der Umwandlung des Rohstoffs in die Droge eingesetzt, die bei Kokain in drei Produktionsschritten abläuft. Um aus den Coca-Blättern die Coca-Paste zu extrahieren, werden sie in den Dschungellabors der Kokainmafia – ihre Zahl geht allein in Kolumbien in die Tausende – mit Wasser, großen Mengen Schwefelsäure und Kerosin versetzt: Letzteres dient dazu, die Kokain-Alkaloide abzutrennen, die wiederum mit Soda aus der Lösung abgeschieden werden. Kerosin und Säure landen anschließend meist in Fließgewässern oder im Erdreich.

Die Coca-Paste wiederum wird neuerlich in Schwefel- oder Salzsäure gelöst, mit Kaliumpermanganat und Wasser vermengt und anschließend gefiltert, wobei der Filterrückstand in der Regel in der Umwelt entsorgt wird. Zum Filtrat hingegen geben die Narkotika-Laboranten Salmiakgeist, der das Rohkokain ausfällt, das abschließend mit Chlorhydrat, Azeton oder Ether behandelt wird, um das begehrte weiße Pulver zu erhalten. Produktionsreste werden wie üblich in Flüsse oder in die Umgebung geleitet. Eine Studie der US-Drogenbehörde DEA kommt zu dem Schluss, dass pro Kilogramm Kokain mindestens drei Liter konzentrierte Schwefelsäure, zehn Kilogramm Kalk, 60 bis 80 Liter Kerosin, ein Liter Ammoniak und 200 Gramm Kaliumpermanganat aufgewendet werden. Und eine Untersuchung der Nationalen Landwirtschaftlichen Universität Perus in Lima rechnete hoch, dass in Südamerika Mitte der 1990er Jahre jährlich 600 Millionen Liter verschiedenster Chemikalien für die Kokain-Herstellung eingesetzt werden: Das bedeutete schon damals im Endeffekt zwei Tonnen giftigen Abfall pro Hektar Coca – seitdem nahm die Produktion noch weiter zu.

Was dies für die Umwelt bedeutet, illustriert neuerlich das Huallaga-Tal, das diesbezüglich am besten untersucht ist: 1986 – auf dem Höhepunkt des lokalen Coca-Anbaus – kippte die Narco-Mafia 100 Millionen Liter giftiger Produktionsrückstände ins Wassersystem, sodass der Huallaga und viele seiner Zuflüsse biologisch praktisch tot waren. Überlebende Fische litten unter genetischen Defekten und bekamen verkrüppelten Nachwuchs, Gifte und ihre Abbauprodukte reicherten sich in der Nahrungskette an. Insgesamt übertrafen sie die von der Weltgesundheitsorganisation festgelegten, Menschen zumutbaren Höchstwerte für bestimmte Chemikalien um ein Vielfaches.

Trampelpfade des Schmuggels

Selbst auf ihrem Weg zu den wichtigsten Absatzmärkten richten die Drogen noch Schäden an Natur und Umwelt an, wie das Beispiel des Organ Pipe Cactus National Monuments in Arizona zeigt. Der Park liegt direkt an der Grenze zu Mexiko und ist bekannt für seine eindrucksvollen Säulenkakteen. Wegen seines unübersichtlichen Terrains ist er gleichermaßen ein beliebtes Einfallstor für Drogenschmuggler die Marihuana oder Kokain in die Vereinigten Staaten einschleusen möchten. Mittlerweile durchziehen endlose Meilen wilder Straßen und Wege die vormals unberührte Wüstenlandschaft und türmen sich an manchen Stellen die Müllhalden rastender Drogenhändler – und illegaler Einwanderer – zwischen den Felsen und Kakteen.

Ähnliche Probleme melden zudem die Nationalparks Big Bend und Padre Island Seashore in Texas sowie viele weitere kleinere Schutzgebiete, die mangels ausreichender Überwachung für kriminelle Geschäfte genutzt werden. Im Jahr 2002 erschossen Dealer im Organ Pipe Cactus National Monument sogar den Parkranger Kris Eggle, der hier allein patrouillerte – ein wie die Umwelt fast vergessenes Opfer der Drogensucht.

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