Verkehrsplanung: Superblocks für lebenswertere Städte
Tempolimit und Tankrabatt dominieren die Debatte um die Verkehrswende, dabei verursachen Autos ein weiteres großes Problem, das häufig übersehen wird: Sie nehmen viel Platz weg. Dörfer und Städte in Deutschland sind voller Autos – und jedes Jahr werden es mehr. Mehr als 48 Millionen Personenwagen sind in Deutschland zugelassen, so viele wie noch nie. Damit nehmen auch die Konflikte zu: Wer zu Fuß geht oder Rad fährt, will auch mehr Platz – und wer an einer großen Straße wohnt, ist des Gestanks und Lärms überdrüssig. Und dann wäre da noch die Sommerhitze.
Denn je heißer die Sommer werden, desto schneller sollten sich die deutschen Städte eigentlich anpassen. Grüner, leiser und sauberer stellen sich Stadtplaner die Stadt der Zukunft vor, damit das Leben darin trotz Gluthitze noch erträglich bleibt. Doch sieht man sich im Land um, passiert eher das Gegenteil: Die Städte werden voller, grauer, lauter. Statt neuer Grünflächen entstehen neue Häuser und Straßen. Parkplätze dominieren das Bild. Eine echte Trendwende ist weit und breit nicht in Sicht.
Dabei gibt es eine vergleichsweise einfache Möglichkeit, diesen Trend umzukehren: den Superblock. Dabei werden mehrere Häuserblöcke entmotorisiert und umgestaltet, graue Asphaltwüsten verwandeln sich in grüne Quartiere mit hoher Aufenthaltsqualität, die nicht mehr im Verkehr ersticken. Statt parkender und fahrender Autos dominieren Bäume, Bänke und Beete die Straßenräume, und Menschen erobern ihre Wohnviertel zurück. Lärm und Luftverschmutzung nehmen ab – und urbane Grünflächen machen die Hitze des Sommers erträglicher.
Voller Erfolg der Superblocks
Erfunden wurde der Superblock in Barcelona, das Konzept stammt vom katalanischen Biologen und Umweltingenieur Salvador Rueda. Eigentlich wollte der Pionier in den 1980er Jahren den Lärmpegel in der lauten Metropole auf 65 Dezibel senken, erkannte aber schnell, dass schon der normale Verkehr dieses Ziel unmöglich machte. Also entwickelte er den »superilla«, wie der Superblock auf Katalanisch heißt. Dabei werden neun Wohnblöcke zu einem Superblock zusammengefasst, in dem Fußgänger und Radfahrer Vorfahrt haben und Autos nur geduldet werden, wenn sie nicht schneller als mit zehn Kilometern pro Stunde unterwegs sind. Der Verkehr wird ausschließlich über die Hauptverkehrsstraßen außen herum geführt, im Superblock bleibt der Durchgangsverkehr verboten. Parken ohnehin.
Vor fast fünf Jahren wurde das erste Wohnquartier im Stadtteil Poblenou in einen Superblock umgestaltet, teilweise gegen erbitterten Protest. Doch der Stadtumbau ist ein großer Erfolg, für Geschäfte wie Anwohner gleichermaßen, wie sich mittlerweile zeigt. Sechs »superilles« existieren derzeit, 15 weitere sollen bald folgen, die ganze Stadt soll irgendwann ein einziger Superblock werden, lautet das Ziel der Stadtverantwortlichen. Barcelona hat das Konzept als Teil seiner Klimastrategie ausgerufen, um einerseits Emissionen zu sparen und andererseits dem städtischen Wärmeinseleffekt entgegenzuwirken. Metropolen wie Paris, Brüssel oder Oslo haben das Modell inzwischen kopiert, jetzt wollen auch deutsche Städte nachziehen. Doch da das Konzept auf das schachbrettartige Barcelona zugeschnitten wurde, ist die Übertragung auf andere Städte keine einfache Aufgabe.
Superblocks auch in Deutschland?
In Freiburg steht man genau vor diesem Problem. Eine Stadtinitiative möchte einen Superblock umsetzen, doch die Stadtstruktur lässt keine einfache Übertragung zu. Ähnliche Projekte gibt es auch im Graefe-Kiez in Berlin und im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel (Superbüttel). In Darmstadt plant man schon größer: Dort sollen so genannte Heinerblocks entstehen.
An der Empa, der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in Dübendorf, hat der Geograf Sven Eggimann das Konzept des Superblocks genauer untersucht und eine Methodik entwickelt, wie Städte den Superblock in ihre Stadtstruktur eingliedern können. Dabei berücksichtigte er nicht nur das Straßennetz, sondern auch Topografie oder Bevölkerungsdichte. Er achtete außerdem darauf, dass die Neugestaltung den Verkehrsfluss in der Stadt nicht übermäßig störte, und schloss Hauptverkehrsstraßen aus den Planungen aus.
Zudem prüfte er, ob und wie sich auch Miniblocks, die nur aus vier Wohnblöcken bestehen, in eine Stadt integrieren lassen. Das weltweit höchste Potenzial besteht demnach in Städten, die einen ähnlichen rasterartigen Stadtgrundriss wie Barcelona aufweisen. Dazu gehören Madrid, Tokio, Mexiko-Stadt und Paris. Doch das typische Schachbrettmuster ist für eine Umwandlung keine Grundvoraussetzung, fand Eggimann in seiner Studie heraus, die in »Nature Sustainability« erschien. Grundsätzlich hält er das Umwandlungspotenzial in vielen Städten jedenfalls für ziemlich hoch, gerade auch in Europa. Denn Straßen machen in europäischen Städten einen erheblichen Teil der Gesamtfläche aus: 15 bis 25 Prozent bestehen aus Asphalt.
Für »Spektrum.de« hat Eggimann untersucht, inwiefern fünf große deutsche Städte für eine entsprechende Umstrukturierung geeignet wären. Dabei zeigten sich ebenfalls große Unterschiede. Während sich das Straßennetz von Frankfurt und München für solche Blocks gut eignet, wäre eine Implementierung in Hamburg deutlich schwieriger. Ein Viertel aller Straßen in Frankfurt und München könnten demnach schnell in autofreie Wohnblöcke verwandelt werden. In Berlin sind es immerhin noch 19 Prozent, in Hamburg und Freiburg rund zehn Prozent.
Damit haben einige Großstädte in Deutschland eine Arbeit vorliegen, mit der sie die Planungen eigentlich vorantreiben könnten. Die Studie sei dazu der erste Schritt und eine grobe Richtschnur, sagt Autor Sven Eggimann, jetzt seien die Verantwortlichen am Zug. Doch ist der Superblock überhaupt gewollt? »Das Konzept der Superblocks kann ein Weg aus der autogerechten Stadt sein – das Konzept muss aber auch zur jeweiligen Stadt mit ihrer spezifischen Siedlungsstruktur und ihrem Verkehr passen«, sagt Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags. Er hält den Raum in den Städten für viel zu wertvoll, um einen Großteil davon für Fahrspuren und Parkplätze herzuschenken. Deswegen müsse man die Zahl der Autos in den Städten reduzieren und mehr Flächen für Radwege, Fußwege, neue Tramlinien oder Stadtgrün bereitstellen.
»Viele sind sehr an das Auto gewöhnt«Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags
Auf Widerstände ist nicht nur der Städtetag vorbereitet. »Viele sind sehr an das Auto gewöhnt«, sagt Dedy, und auch daran, dass Parken fast nichts koste. Insofern stehe man vor einer kommunalpolitischen Herausforderung. Allerdings stehe und falle die Verkehrswende nicht mit dem Konzept des Superblocks, sagt Dedy, es gehe vielmehr darum, wie man vor Ort Pendler-, Einkaufs- und Freizeitverkehr auf andere Verkehrsmittel verlagern könne. Und dafür fehlten in vielen Städten feste finanzielle Zusagen und auch rechtliche Spielräume, damit Städte den Verkehr besser steuern könnten.
Dabei halten sich die Kosten in Grenzen. »Superblocks sind relativ kostengünstig umsetzbar«, sagt Rita Cyganski vom Berliner Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Für Poller und die Einführung von Einbahnstraßen sei zunächst kein großer Umbau nötig, die erfolgreich erprobte Umgestaltung könne später mit baulichen Maßnahmen dauerhaft umgesetzt werden. Die frei werdenden Straßen sollten möglichst für viel Grün und soziales Leben verfügbar gemacht werden. Vor allem Kinder sollen wieder frei spielen können.
Die Verkehrsforscherin hält es allerdings für extrem wichtig, nicht nur den einzelnen Superblock vor Augen zu haben, sondern ein Gesamtkonzept. »Nur so kann man negativen Effekten wie der oft befürchteten Verlagerung des Verkehrs in die angrenzenden Gebiete entgegenwirken«, sagt sie. Um dies zu verhindern, müsse eine Stadt daher attraktive Alternativen zum Autoverkehr anbieten. Dazu gehören ein gut ausgebauter und dicht getakteter öffentlicher Verkehr, bessere und breitere Wege für Fuß- und Radverkehr und die Berücksichtigung des Umlands.
»Es gibt vielfältige Möglichkeiten zur Förderung der Aufenthaltsqualität«Rita Cyganski, Berliner Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt
»Insgesamt zeigten Eggimanns Fallbeispiele eindrucksvoll, dass ein ziemlich großes Potenzial existiert«, sagt Rita Cyganski. In den von ihm identifizierten Stadtvierteln lohne es sich, die Umgestaltung zu prüfen. Doch nicht nur dort: Nach Einschätzung der Verkehrsforscherin sei das Potenzial größer als angenommen. Außerdem hält sie eine Umgestaltung in den von Eggimann als nicht geeigneten Vierteln dennoch für machbar. »Es gibt vielfältige Möglichkeiten zur Förderung der Aufenthaltsqualität«, sagt sie. Worauf also noch warten? Interesse gebe es bei vielen Städten und Kommunen, sagt Cyganski, aber noch herrschten viele Vorbehalte, sei es in der Bevölkerung oder in der Planung. Insofern brauche es Ausdauer und Mut, auch um sich gegen anfänglichen Widerstand durchzusetzen.
Umdenken in der Verkehrsplanung nötig
70 Jahre hat sich in der Verkehrsplanung alles ums Auto gedreht, und so haben sich Gewohnheiten etabliert, die passionierte Autofahrer als Gewohnheitsrecht auffassen. Das sei am Ende immer die größte Hürde, sagen Verkehrspsychologen. Nimmt man Autofahrern nur eine Spur oder wenige Parkplätze weg, droht Widerstand. So war es vor Jahren auch in Barcelona: Die Kritik war laut und vehement. Doch heute möchte niemand mehr in dieser Stadt leben, wie sie früher einmal war.
Wie verkehrspsychologische Studien zeigen, ist der Widerstand immer kurz vor der Änderung am größten; danach steigt die Akzeptanz, und zwar gewaltig. Daher empfehlen Verkehrspsychologen einen langen Atem, wenn ein größerer Umbau geplant wird, der mit den Gewohnheiten der Menschen fundamental bricht. Denn am Ende gewinnt eine Stadt mehr, als Autofahrer zu verlieren meinen. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: Viele Umgestaltungen, die heute als gelungen gelten, wurden am Anfang vehement kritisiert. Dazu zählen Fußgängerzonen, Fahrradstraßen und andere verkehrsfreie Konzepte sowie eben die Superblocks nach dem Vorbild Barcelonas.
Ob auch in Deutschland grüne Blöcke ohne Blech entstehen, hängt am Ende weniger von wissenschaftlichen Erkenntnissen ab als vielmehr vom politischen Willen. Denn trotz aller Bemühungen, den Verkehrsfluss aufrechtzuerhalten, wird der Superblock das Auto weiter zurückdrängen. Was man dadurch gewinnt, sieht man erst hinterher: mehr Ruhe, mehr Grün, mehr Miteinander und Lebensfreude.
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