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Kohlendioxid: Vom Klimagas zum chemischen Rohstoff

Kohlenmonoxid ist allgegenwärtig in der chemischen Industrie. Wenn man es durch Kohlendioxid ersetzen könnte, schlügen Chemiker zwei Fliegen mit einer Klappe. Jetzt gibt es erste Erfolge.
Chemische Industrie

Um besonders reine chemische Grundstoffe herzustellen, nutzen Chemiker heutzutage oft Kohlenmonoxid. Die Verbindung aus einem Kohlenstoff- und einem Sauerstoffatom ist gewissermaßen der "kleine Bruder" des berüchtigten Treibhausgases Kohlendioxid. Das hat sich noch ein weiteres Sauerstoffatom geschnappt und hört alsdann auf die bekannte Summenformel CO2.

Für die chemische Industrie ist das Kohlenmonoxid ein verdientes Werkzeug: Ausgehend von besonderen Kohlenwasserstoffen, den so genannten Olefinen, die mindestens eine Doppelbindungen zwischen ihren Kohlenstoffatomen besitzen, lassen sich unter Zuhilfenahme des kleinen Moleküls wichtige Feinchemikalien erzeugen, Weichmacher beispielsweise oder Tenside für Wasch- oder Reinigungsmittel sowie Lösungsmittel oder Grundbausteine für die Kunststoffindustrie. Das Gas erlaubt den Chemikern, gezielt Doppelbindungen zwischen Kohlenstoffatomen aufzubrechen oder neu entstehen zu lassen. Ferner können sie an verschiedenen Stellen Sauerstoffatome an die Kohlenwasserstoffe binden und so die Eigenschaften des herzustellenden Materials beeinflussen.

Der Haken am Kohlenmonoxid

Der kleine Bruder des in Verruf geratenen Treibhausgases Kohlendioxid ist in der chemischen Industrie daher nicht mehr wegzudenken. Es gibt nur einen Haken: Kohlenmonoxid ist leicht entzündlich und hochgradig giftig. Deswegen lässt es sich beispielsweise nur mit größter Vorsicht in Mengen über weite Entfernungen transportieren. Immer wieder kommt es zu Protesten gegen solche Pipelines. Anwohner fürchten, Leckagen in der Rohrleitung könnten sie vergiften.

Rohstoff für die chemische Industrie | Könnte man das heikle Kohlenmonoxid in der Industrie durch Kohlendioxid ersetzen, hätte man gleich doppelt gewonnen: Zum einen ist das CO2 einfacher zu handhaben, und zum anderen könnte man so dessen Menge in der Atmosphäre reduzieren.

Viele Chemiker träumen deswegen davon, mit dem "großen Bruder" des Kohlenmonoxids zu arbeiten – mit Kohlendioxid. Sie wollen daraus den Kohlenstoff für die organische Chemie gewinnen, der heute vielfach noch aus der Öl- oder Gasindustrie stammt.

Ein Vorteil: Kohlendioxid gibt es reichlich – beispielsweise in der Erdatmosphäre. Wurden doch im vergangenen Jahr nach Schätzungen des Global Carbon Projects rund 36 Milliarden Tonnen Kohlendioxid aus der Verbrennung fossiler Energieträger sowie aus industriellen Prozessen in die Luft geblasen. Klimaforscher messen bedrohlich steigende Werte in der Atmosphäre. Auf Hawaii ermittelten sie im Jahr 2013 beispielsweise eine Konzentration von 0,04 Volumenprozent – oder 400 ppm (Parts per Million), wie Experten sagen. So hoch lag der Wert nach Erkenntnissen der Forscher mehrere hunderttausend Jahre nicht mehr auf Erden.

Mit einem Anteil von 45 Prozent entfällt der größte Beitrag an den CO2-Emissionen auf die Energiewirtschaft, gefolgt vom Transportwesen (24 Prozent), der Stahlindustrie (6 Prozent), der Zementherstellung (4 Prozent), den Raffinerien (3 Prozent) und der chemischen Industrie mit 2 Prozent. Wenn sich all dieses Kohlendioxid nutzbringend einsetzen ließe, wäre die Menschheit zumindest eine Sorge los: den menschengemachten Klimawandel.

CO2 und CO könnten unterschiedlicher kaum sein

Doch so einfach lässt sich der kleine Bruder Kohlenmonoxid nicht ersetzen: Die Geschwister könnten kaum gegensätzlicher sein. Kohlendioxid ist zwar einerseits kaum toxisch; andererseits aber auch so reaktionsträge, dass es sich sogar für Feuerlöscher eignet – es verbrennt nicht. Um es trotzdem zu chemischen Reaktionen zu animieren, setzt man vielfach hoch aktive Reaktionspartner ein: Epoxide beispielsweise, Wasserstoff oder Acetylen. Oder es braucht leistungsstarke Reaktionsbeschleuniger.

Das Problem: Kohlendioxid ist so reaktionsträge, dass es sich sogar für Feuerlöscher eignet.

Eine wesentliche Hürde für den wirtschaftlichen Einsatz von CO2 ist aber der derzeitige Mangel an geeigneten Katalysatoren. Im besten Fall sollten diese zudem in der Lage sein, eine nachhaltige Energiequelle – Solarenergie beispielsweise – mit einem billigen Reduktionsmittel wie Wasserstoff aus Wasser zu koppeln. Bislang ist eine entsprechende Nutzung von CO2 als Rohstoff daher oft nur bei Produkten mit hoher Wertschöpfung attraktiv.

Ruthenium-Katalysator bietet Lichtblick

Einen Lichtblick verkündete vor einiger Zeit ein Team um Jürgen Klankermayer und Walter Leitner vom Institut für Technische und Makromolekulare Chemie der RWTH Aachen. Ihnen gelang es, Kohlendioxid mit einem Ruthenium-Katalysator unter deutlich weniger aggressiven Bedingungen umzusetzen. Dabei erzeugten sie Methanol, das Kraftstoffen beigemischt werden kann. "Das ist das erste Beispiel einer Hydrierung von CO2 zu Methanol unter Verwendung eines molekular definierten Katalysators unter relativ milden Reaktionsbedingungen", erläutern die Wissenschaftler. Der Katalysator verknüpft ein Kohlendioxidmolekül mit drei Molekülen Wasserstoff. Daraus entstehen Methanol sowie Wasser. "Nun erforschen wir, wie die Reaktion im Detail abläuft, um den Katalysator weiterzuentwickeln."

An der Preisschraube drehte hingegen eine Arbeitsgruppe um Matthias Beller vom Leibniz-Institut für Katalyse an der Universität Rostock (LIKAT Rostock). Für eine der wichtigsten chemischen Reaktionen zur Herstellung von Feinchemikalien – das Einfügen eines doppelt gebundenen Sauerstoffatoms an ein zuvor doppelt gebundenes Kohlenstoffatom – hat das Team nun eine Methode entwickelt, bei der sie Kohlenmonoxid durch Kohlendioxid ersetzen können. Mit dem Reaktionsbeschleuniger aus verhältnismäßig billigem Ruthenium lassen sich verschiedene Verbindungen synthetisieren: Alkohole und Ammoniakverbindungen, Lösungsmittel wie Aceton sowie Formaldehyd oder Aminosäuren, aus denen Proteine bestehen, darüber hinaus Polycarbonate, aus denen sich zum Beispiel CDs pressen lassen.

Die Wissenschaftler konnten ferner zeigen, dass ihr Katalysator mit Kohlendioxid sogar deutlich effizienter arbeitet als die übliche Methode auf Basis von Kohlenmonoxid, Alkoholen und einem Katalysator aus teurem Palladium. "Zu unserer Überraschung erzielten wir schon bei relativ geringen Temperaturen von 160 Grad Celsius exzellente Erträge bei Methylester", lässt die Arbeitsgruppe verlauten.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass das neue Verfahren auch auf andere chemische Reaktionen übertragbar ist. "Diese Arbeit leistet einen substanziellen Beitrag zur Entwicklung neuer Verfahren mit Kohlendioxid als Ausgangsbasis", behaupten sie. Obgleich die Wirkungsweise des Katalysators ebenfalls noch nicht vollständig verstanden ist.

Von Euphorie keine Spur

Trotz aller Erfolge sieht jedoch die chemische Industrie das praktische Potenzial von Kohlendioxid als relativ begrenzt an. Nach Schätzungen der Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie Dechema könnten selbst unter idealen Bedingungen weltweit nur etwas über zwei Gigatonnen pro Jahr zu chemischen Produkten verarbeitet werden (PDF), selbst wenn man den Bedarf einrechnet, den die Industrie benötigt, um beispielsweise Getränke aufzusprudeln oder um noch mehr Erdöl aus dem Boden zu pressen. Das entspräche nur wenigen Prozent der weltweit anfallenden CO2-Emissionen.

Bei allen Prozessen ist zudem die Gesamt-CO2-Bilanz zu berücksichtigen. So kommt die derzeit in der chemischen Industrie dominierende Synthese von Harnstoff – aus dem Dünger gewonnen wird – nur dann als eine so genannte CO2-Senke in Betracht, wenn der dafür ebenfalls benötigte Ammoniak ausschließlich mit Wasserstoff aus regenerativen Quellen hergestellt wurde.

Ähnlich sieht es mit der Herstellung von Kraftstoffen auf Basis von Methanol aus. Hier steckt zwar das größte Potenzial für eine mögliche, künftige CO2-Wirtschaft. Weil Kohlendioxid energetisch aber so stabil ist, muss bei der Umsetzung des Gases zu Kraftstoffen normalerweise mehr Energie aufgebracht werden, als bei deren Verbrennung frei wird. Eine solche CO2-Nutzung ist somit nur dann sinnvoll, wenn die Energie aus regenerativen oder zumindest CO2-freien Quellen stammt. Ein fotokatalytischer Weg wäre ebenfalls attraktiv, befindet sich aber in einem noch früheren Stadium der Grundlagenforschung.

Günstige und effektive Katalysatoren sind also ein Schlüssel zum Erfolg, doch ihr Einsatz leidet an erheblichen Kinderkrankheiten. Der Weg zum Durchbruch der CO2-Chemie, das lassen die Forschergruppen durchblicken, wird steinig werden.

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