Zwergplanet Pluto: Eisvulkane auf Pluto?
Die Reihe an Überraschungen in den Messdaten und Bildern aus dem Plutosystem reißt nicht ab: In den seit September 2015 übermittelten Daten, welche die US-Raumsonde New Horizons Mitte Juli bei ihrem dichten Vorbeiflug am Zwergplaneten und seinen fünf Monden aufgenommen und gespeichert hatte, wurden die Forscher reichlich fündig. Die Ergebnisse aus dem Plutosystem wurden am Abend des 9. November 2015 auf dem 47. Jahrestreffen der Division of Planetary Sciences der American Astronomical Society in Washington, D. C., präsentiert.
Eine der größten Überraschungen ist der Fund von ausgedehnten Strukturen auf Pluto, bei denen es sich möglicherweise um Eisvulkane handelt. Sie befinden sich südlich der hellen herzförmigen Region, die derzeit den inoffiziellen Namen Tombaugh Regio trägt. Die beiden Gebilde sind zwischen drei und fünf Kilometer hoch und erstrecken sich über 130 beziehungsweise 170 Kilometer auf der Oberfläche. Jeweils im Zentrum dieser Gebirge mit den informellen Namen Wright und Piccard Mons findet sich eine Einwölbung, bei der es sich nicht um einen Einschlagkrater handelt. Es könnte eine Einbruchstruktur sein, eine Caldera, wie sie von Vulkanen auf der Erde und anderen Himmelskörpern im Sonnensystem wohlbekannt sind. Sie entstanden, als die Vulkane ihre Lava zum größten Teil gefördert hatten und der leere Hohlraum unter ihren Gipfeln in sich zusammensank.
Die Forscher um Alan S. Stern, den Chefwissenschaftler der Mission New Horizons, vermuten, dass diese Vulkane eine Mischung aus flüssigem Wasser und Eis zusammen mit Beimischungen von Stickstoff, Ammoniak und Methan förderten. Diese Mischung muss man sich wie einen Brei vorstellen, ähnlich wie sulzigen Schnee bei Tauwetter. Insbesondere eine Beimischung von Ammoniak (NH3) hätte bedeutende Auswirkungen auf die Entstehung von Schmelzen, da es den Schmelzpunkt von Wassereis beträchtlich absenkt. Somit ist sehr viel weniger Wärme notwendig, um das Material im Plutomantel zu schmelzen, als wenn dieser aus annähernd reinem Wassereis bestünde. Derartige Gebilde wie auf Pluto wurden noch auf keinem anderen aus Eis bestehenden Himmelskörper im äußeren Sonnensystem entdeckt; in dieser Hinsicht scheint Pluto einzigartig zu sein.
Auch die vielen auf den Detailfotos von Pluto sichtbaren Einschlagkrater weckten das Interesse der Forscher, weil sich mit ihnen die Oberfläche des Zwergplaneten geologisch datieren lässt. Auf der beim Vorbeiflug in hoher räumlicher Auflösung aufgenommenen Hemisphäre zählten die Forscher um Kelsi Singer vom Southwest Research Institute in Boulder, Colorado, 1070 verschiedene Einschlagkrater, die sich in unterschiedlichsten Erhaltungzuständen befinden. Manche von ihnen müssen offenbar sehr jung sein und zeigen ihre gut erhaltenen Formen, während andere offenbar Einflüssen aus dem Inneren des Zwergplaneten unterlagen, die ihre Formen veränderten.
Aus der Zählung der Krater ermittelten die Forscher für die kraterreichsten Regionen auf Pluto ein wahrscheinliches Alter von rund vier Milliarden Jahren. Diese Gebiete stammen somit aus der Frühzeit des Sonnensystems, als sich die Planeten und ihre kleineren Geschwister bildeten. Andere Regionen mit weniger Kratern sind etwa eine Milliarde Jahre alt. Eine besondere Ausnahme ist der helle westliche Teil von Tombaugh Regio, der inoffiziell Sputnik Planum genannt wird. Diese auffallend glatte Region besteht aus einer Schicht aus Stickstoffeis mit Beimengungen von gefrorenem Methan (CH4) und Kohlenmonoxid (CO). Hier gibt es keinerlei Einschlagkrater, so dass sich Sputnik Planum innerhalb der letzten zehn Millionen Jahre gebildet haben muss. Diese Variabilität bei den Oberflächenaltern ist ein Beleg dafür, dass Pluto bis in die jüngste Zeit geologisch aktiv war und wahrscheinlich noch ist.
Auf eine solche Aktivität weisen auch die zahlreichen Brüche und Verwerfungen auf Pluto hin, die weite Teile seiner Oberfläche durchziehen. Hier wurde die Kruste durch Vorgänge im Inneren des Zwergplaneten gedehnt, bis sie schließlich einriss und teilweise absank. Dabei bildeten sich ausgeprägte Grabenbrüche ganz ähnlich dem Oberrheingraben in Südwestdeutschland oder dem Great Rift Valley in Afrika. Manche dieser Grabenbrüche durchlaufen diskordant Einschlagkrater, das heißt, sie durchbrechen deren Strukturen und sind damit auch eindeutig jünger.
Eiernde Kleinmonde
Eine große Überraschung boten die vier kleinen Monde von Pluto: Styx, Nix, Kerberos und Hydra. Anstatt wie sonst üblich im Sonnensystem ihrem Mutterkörper stets eine Seite zuzuwenden, rotieren die Monde um ihre Achsen unabhängig von ihrer Umlaufdauer um Pluto. Dabei stehen ihre Rotationsachsen auch nicht senkrecht auf der Bahnebene um Pluto. Besonders krass ist die Neigung bei Nix, deren Rotationsachse um 132 Grad gegen die Umlaufebene geneigt ist. Somit rotiert sie rückläufig. Bei den anderen drei Monden sind die Achsen um rund 90 Grad gegen die Umlaufebene geneigt. Am schnellsten rotiert Hydra, pro Umlauf vollführt sie 89 Umdrehungen. Nix rotiert 14-mal pro Umlauf, die beiden Kleinstmonde Styx und Kerberos jeweils sechsmal. Das Rotationsverhalten der Monde ändert sich zudem über längere Zeiträume hinweg. Dies geht aus vorherigen Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Hubble hervor. Sie zeigen, dass sich die Rotationsdauer von Nix im Zeitraum von 2012 bis 2014 um etwa zehn Prozent verkürzt hat.
Die Forscher gehen davon aus, dass für dieses ungewöhnliche Verhalten die inhomogenen kombinierten Schwerefelder von Pluto und Charon verantwortlich sind. Die Himmelskörper befinden sich in einer so genannten Hantelrotation. Das heißt, beide wenden sich jeweils die gleiche Hemisphäre zu und rotieren um ihren gemeinsamen Schwerpunkt, der rund 2400 Kilometer außerhalb von Pluto liegt. Das kombinierte Schwerefeld der zwei Himmelskörper weist keine einfache sphärische Form auf, so dass die Kleinmonde durch die markanten Gezeiteneffekte auf Dauer daran gehindert werden, in eine stabile gebundene Rotation zu Pluto und Charon einzutreten.
Aber nicht nur das ungewöhnliche Rotationsverhalten der Kleinmonde überraschte die Forscher, sondern auch ihre Gestalten: Bei Kerberos und Hydra fanden sich auf den Bildern von New Horizons klare Hinweise darauf, dass sie wahrscheinlich aus der Verschmelzung von zwei kleineren Objekten hervorgingen. Sie erinnern damit an den Kern des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko, der derzeit von der europäischen Raumsonde Rosetta erforscht wird. Bei den Monden Styx und Nix warten die Forscher noch auf die besten Bilder, um auch dort nach Anzeichen einer Verschmelzung zu fahnden.
Nach wie vor befindet sich der größte Teil der Bilder und Messdaten noch in den Speichern von New Horizons. Sie werden im Lauf der nächsten zwölf Monaten nach und nach zur Erde gefunkt. Somit sind uns weitere Überraschungen aus dem Plutosystem gewiss: Die Auswertung und Interpretation hat gerade erst begonnen.
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