US-Wahl: Warum lagen die Umfragen falsch?
Die "New York Times" war sich fast sicher: Mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 80 Prozent, hieß es auf der Website der Zeitung, werde Hillary Clinton die nächste Präsidentin der USA. Damit befand sich die Redaktion in guter Gesellschaft. Obwohl ihr Rivale Donald Trump im Endspurt des Wahlkampfes noch einmal aufholte, sahen die Umfragen Clinton national und vor allem in den wichtigen Swing States vorne. Wenige Tage vor der Wahl berichtete der prominente Wahlanalyst und Ökonom Nate Silver von der Website "Fivethirtyeight", die Umfragen der meisten "Pollster", der Meinungsforscher, näherten sich einander an – bei einem für Clinton komfortablen Wert, der ihr Mehrheiten in den meisten so genannten "Swing States" sichern würde. Dass Trump noch aufholen würde, erschien extrem unwahrscheinlich.
Der Rest ist Geschichte: Trump gewann die Swing States, und damit die Wahl. Eine Reihe von Faktoren ist als Ursache der Differenz zwischen Umfragen und Ergebnis im Gespräch. Wegen der vergleichsweise geringen Wahlbeteiligungen bei Präsidentschaftswahlen in den USA müssen Demoskopen sehr darauf achten, jene Leute zu erfassen, die auch tatsächlich abstimmen werden. Trump allerdings hat wahrscheinlich eine erhebliche Zahl Wutwähler mobilisiert, die bei vorherigen Wahlen zu Hause blieben – so war wohl ein Teil seiner Unterstützer nicht sichtbar.
Vielleicht haben auch einige jener Trump-Wähler gelogen, die tatsächlich erfasst wurden. Sei es, weil sie eine in ihrem Umfeld vermutlich unpopuläre Antwort nicht geben mochten, sei es, weil sie den von den "liberalen" Medien beauftragten Umfrageunternehmen misstrauen. Ausschließen lässt sich ebenso nicht, dass auf Seiten der Demokraten überraschend viele Wähler schlicht ein Problem damit hatten, für eine Frau zu stimmen. Umgekehrt hat möglicherweise die Praxis vieler Medien, Umfrageergebnisse nach verschiedenen Kriterien zu gewichten, zum Fehler beigetragen: Zahlen, die der verbreiteten Auffassung eines Clinton-Sieges widersprachen, wurde auf diese Weise wohl zu wenig Gewicht beigemessen.
Es könnte allerdings auch eine andere Erklärung für die vermeintliche Überraschung geben. Vieles deutet darauf hin, dass die Umfragen und die darauf aufbauenden Prognosemodelle weniger genau sind als ihr Ruf und zu einem eigenen Medienphänomen wurden. Festmachen lässt sich diese Entwicklung an Nate Silver, der nach der Wahl von 2008 zu globaler Berühmtheit gelangte, weil er die Ergebnisse in 49 von 50 Staaten korrekt vorhersagte. In den Jahren darauf erzielten diese umfragebasierten Prognoseverfahren einige weitere viel beachtete Erfolge.
In den Hintergrund geraten ist allerdings, dass Wahlumfragen keineswegs so sichere Vorhersageinstrumente sind, wie man anhand der Berichterstattung vor der Wahl hätte meinen können. Die Umfragenpleite vor der Abstimmung über den Brexit, bei der alle Institute einen knappen Sieg der EU-Befürworter erwarteten, war keineswegs die erste Fehleinschätzung dieser Art: Schon Mitte 2015 fragte Cliff Zukin vom Eagleton Institute of Politics in der "New York Times", was denn los sei mit den Meinungsumfragen. Er zitierte dabei eine Serie ungenauer Prognosen auf der Basis von Umfragen, die ihn an der Glaubwürdigkeit solcher Vorhersagen zweifeln ließen.
Vor der aktuellen Wahl warnte auch Dan Hopkins von der University of Pennsylvania, dass die schlagzeilenträchtigen Ereignisse während des Wahlkampfes und die stark schwankenden Zustimmungswerte in den Umfragen möglicherweise keine echten Wahlentscheidungen wiedergaben. Demnach wechselten auch während einer umkämpften Kampagne kaum Menschen das Lager – geändert habe sich bloß die Bereitschaft von Clinton- und Trump-Wählern, auf Umfragen zu antworten. Die meisten Wählerinnen und Wähler hätten ihre Meinung das ganze Jahr über nicht geändert – anders als die schwankenden Prozentzahlen suggerierten. In dieser Sicht wäre die gewisse Übereinstimmung zwischen Umfragen und Endresultat – Clinton wird wohl die Mehrheit der abgegebenen Stimmen holen – sogar eher ein Zufall.
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