Zukunft der Mobilität: Weg mit dem letzten Dreck
Die Zeit der Stinker auf den Meeren neigt sich ihrem Ende entgegen: Ab 2020 dürfen Schiffe nur noch Treibstoff bunkern, der höchstens ein halbes Prozent Schwefel enthält, schreibt die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO in ihren weltweit bindenden Standards vor. In bestimmten "Emissions-Kontroll-Gebieten" (Emission Control Area, ECA) wie der Nord- und Ostsee dürfen Schiffe sogar bereits ab 2015 nur noch mit Marinedieselöl fahren, das höchstens ein zehntel Prozent Schwefel enthält. Mit diesen Vorschriften will die IMO zwar eigentlich nur die Luftverschmutzung durch Schiffsabgase drosseln. Doch gleichzeitig stößt sie damit die Tore für alternative Schiffsantriebe weit auf, die weniger oder sogar gar keine Treibhausgase mehr in die Luft blasen.
Dabei ist die Klimabilanz herkömmlicher Schiffsdiesel schon heute viel besser, als Landratten gern vermuten: "Transportiert ein Containerschiff eine Tonne auf dem Wasser einen Kilometer weit, bläst es rund 20 Gramm Kohlendioxid in die Luft", erklärt Olaf Jacobsen vom Institut für Elektrische Energiesysteme und Automation der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH). Neue Autos dagegen sollen laut einer Richtlinie der Europäischen Union erst ab 2015 im Durchschnitt 120 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer freisetzen.
Die Klimabilanz des Schiffsdiesels gehört allerdings ohnehin nicht zu den gößten Problemen der Seefahrt – im Gegensatz zu anderen Abgasen aus den Schornsteinen. Denn das bisher vor allem als Treibstoff in Schiffen verwendete Schweröl ist eigentlich der letzte Rest, der in einer Raffinerie übrig bleibt, wenn Diesel, Benzin und andere Produkte längst aus dem Erdöl herausdestilliert wurden. Zurück bleibt eine braune Pampe, die so zähflüssig ist, dass sie erst an Bord erhitzt werden muss, bevor eine Pumpe sie durch die Leitungen pressen kann. Verbrennt dieses Schweröl dann in der Schiffsmaschine, quellen aus dem Schornstein jede Menge Ruß, unvollständig verbrannte Kohlenwasserstoffe und Schwefelverbindungen, aus denen am Ende Schwefelsäure und saurer Regen entstehen.
Teurer Schiffsdieselersatz
Um diese Dreckschleudern zu bändigen, hat die IMO niedrigere Schwefelgehalte vorgeschrieben. Weil aber Raffinerien das gelbe Element nur sehr aufwändig aus der Schlacke entfernen können, ist der neue Schiffstreibstoff erheblich teurer. "Kostete eine Tonne herkömmliches Schweröl mit einem Prozent Schwefel auf dem Markt in Rotterdam Anfang 2012 etwas mehr als 700 US-Dollar, werden für Marinegasöl mit 0,1 Prozent Schwefel 1000 US-Dollar fällig", benennt Jacobsen den Preisunterschied.
Gleichzeitig produzieren moderne Raffinerien inzwischen kaum noch Schweröl, was ebenfalls den Preis treibt. Wollen Reedereien ihre Kosten senken, müssen sie daher einen günstigeren Treibstoff finden oder den Verbrauch der Schiffe drosseln. Genau auf diesem Gebiet forschen Günter Ackermann und Olaf Jacobsen an der TUHH. Da aber nicht nur der Schiffsantrieb, sondern auch Steuerung, Beleuchtung, Klimaanlage, Instrumente, Computer und andere Einrichtungen an Bord Energie brauchen, entwickeln die Forscher erst einmal ein Computermodell, das den Energiefluss auf Schiffen zeigt. Und der ist enorm: Liegt ein Kreuzfahrtschiff im Hafen, liefert die Hilfsmaschine mit acht Megawatt eine Leistung, die an Land für die Versorgung von mehr als 1500 Haushalten reichen würde, während die 25 Megawatt-Maschine für den Antrieb immerhin Pause hat.
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Das Computermodell zeigt den Forschern eine Reihe von Sparmöglichkeiten. Statt 1,2 Megawatt Leistung für herkömmliche Lichtquellen brauchen Energiesparmodelle auf einem Kreuzfahrtschiff zum Beispiel nur noch 0,8 Megawatt – und reduzieren so die Gesamtleistung um fünf Prozent. Nutzt man die Wärmeenergie des Kühlwassers, um aus Salzwasser täglich 20 Tonnen Frischwasser für die 30 Mann Besatzung eines Frachtschiffs herzustellen, lässt sich ebenfalls eine kräftige Portion Treibstoff sparen. Als die dänische Containerreederei Mærsk ab 2006 acht neue Schiffe mit 97-Megawatt-Hauptmaschinen baute, wurde die gesamte Wärmeenergie in den Abgasen genutzt und so zehn Megawatt Leistung zusätzlich bereitgestellt: Sie unterstützen unter anderem den Antrieb und sparen so Schiffsdiesel.
Das E-Ship
Ein komplett anderes Energiesparmodell heißt "E-Ship 1" und sammelt zurzeit Praxiserfahrung auf den Weltmeeren. Am Bug und Heck des 130 Meter langen Frachtschiffs ragen je zwei mächtige Zylinder wie überdimensionale Litfasssäulen mit vier Meter Durchmesser 27 Meter hoch in den Himmel. Diese Zylinder nutzen den Wind als Zusatzantrieb zum Schiffsdiesel – und das zehnmal besser als herkömmliche Segel! Der Eigentümer des Frachters hat durchaus Erfahrung mit der Nutzung von Windenergie, denn Enercon im ostfriesischen Aurich ist schließlich der größte deutsche Hersteller von Windenergieanlagen. Und da der Branchenprimus eine Renaissance der Windkraft auf hoher See für möglich hält, erprobt er das Ganze auf der E-Ship 1.
Allerdings nicht mit klassischen Segeln, sondern mit einer Technologie, deren Grundlagen der Berliner Physiker Heinrich Gustav Magnus bereits 1852 beschrieb. Dem Wissenschaftler war aufgefallen, dass rotierende Geschosse oder Golfbälle von der Flugbahn abweichen, auf der nicht rotierende Gegenstände fliegen würden. Fußballer kennen dieses Phänomen unter dem Begriff "Bananenflanke": Trifft der Fuß des Spielers den Ball ein wenig seitlich, dreht sich das Leder um sich selbst und fliegt nicht gerade, sondern im Bogen über das Feld.
Beim Flug strömt dabei die Luft am Ball vorbei. Rotiert das Leder, fließt die Luft auf der einen Seite mit der Drehrichtung und beschleunigt dort das Tempo. Auf der gegenüberliegenden Seite strömt die Luft gegen die Drehrichtung und bremst die Rotation. Beide Kräfte heben sich auf, und die Rotation ändert sich nicht. Beide Kräfte aber zerren im rechten Winkel zur Flugbahn zur Seite. Mit der Zeit krümmt sich die Flugbahn des Balls also immer mehr. Genau deshalb lassen sich Bananenflanken auch so schwer berechnen. Gleichzeitig entsteht in Drehrichtung des Balls ein leichter Unterdruck, während auf der gegenüberliegenden Seite die Luft erheblich stärker verwirbelt. Beides lässt ebenfalls Kräfte quer zur Flugrichtung entstehen und verstärkt damit die Ablenkung erheblich.
In den 1920er Jahren versuchte der hessische Ingenieur Anton Flettner mit diesem inzwischen "Magnus-Effekt" genannten Phänomen einen Schiffsantrieb zu entwickeln. Dazu ließ er auf dem Deck senkrecht stehende Metallzylinder aufstellen, die ein Motor um ihre eigene Achse drehen ließ. Trifft nun Wind auf diese Zylinder, zieht der Magnus-Effekt das Schiff im rechten Winkel zur Windrichtung. Als Antrieb lassen sich die inzwischen Flettner-Rotoren genannten Metallzylinder also nur nutzen, wenn der Wind nicht genau von vorne oder von hinten kommt. Nur bei Seitenwind treiben sie das Schiff vorwärts. Kommt der Wind dabei von der falschen Seite, ändert der Kapitän einfach die Drehrichtung der Metallzylinder, um eine rückwärtsgerichtete Kraft in eine Vorwärtskraft zu verwandeln.
Rückkehr der "Segel"schiffe?
Seit dem Jahr 2011 unterstützen vier solcher von Enercon weiterentwickelten Flettner-Rotoren auf der E-Ship 1 einen konventionellen Dieselantrieb mit sieben Megawatt Leistung. Wie viel Schiffsdiesel die riesigen Zylinder im Alltag auf hoher See aber tatsächlich sparen, kann die Firma derzeit noch nicht sagen. Ähnlich geht es dem Unternehmen SkySails in Hamburg, das die Windenergie mit einer Art überdimensionalem Lenkdrachen nutzt. Dieses Segel hat eine Fläche von rund 300 Quadratmetern und schwebt in einer Höhe von mehr als 100 Metern vor dem Bug des Schiffs. Dort oben wehen die Winde deutlich stärker als direkt über den Wellen. Über ein Seil aus hochreißfesten Kunststofffasern zieht diese Kraft das Schiff vorwärts. Im Durchschnitt soll der Drachen 10 bis 15 Prozent Antriebsenergie sparen, hofft die Firma. Genaue Zahlen aus der Praxis aber nennt auch SkySails bisher nicht.
Solche Daten liefert dagegen Gonzalo Tampier Brockhaus von der Universidad Austral de Chile in Valdivia. Der Ingenieur hat an der Technischen Universität Berlin mit Computersimulationen zwar nicht für Flettner-Rotoren und Flugdrachen, aber immerhin für diverse Segelkonzepte die Wirkung ermittelt. Demnach spart ein schnelles Container- oder Passagierschiff mit Hilfe der Windenergie nur wenige Prozent der Antriebskosten. Da lohnt es kaum, die Segel zu hissen, auch wenn dazu längst keine Matrosen mehr in die Takelage klettern, sondern ein Knopfdruck auf der Brücke die Segel vollautomatisch ausbringt oder einrollt.
Viel besser sieht die Situation jedoch aus, wenn ein Frachter in langsamer Fahrt mit nur zehn Knoten über die Weltmeere schippern darf. Dann sparen die Segel im günstigsten Fall 44 Prozent der Energie, meldete der Computer Gonzalo Tampier Brockhaus. Am ehesten lohnt sich die Segelei daher mit so genannten Massengutfrachtern, die beispielsweise Getreide oder Erz von Australien in den Rest der Welt liefern. Bei einer Passagierfähre dagegen, die möglichst schnell Passagiere und Fracht pünktlich zum Ziel bringen will, rechnet sich die Windenergie am wenigsten.
Und je stärker die Preise für Treibstoff steigen, umso mehr rentiert sich die Windenergie auf Segelschiffen. Nimmt der Kapitän dann auch noch kleinere Umwege in Kauf, um den Wind möglichst gut auszunutzen und trotzdem pünktlich anzukommen, spart der Frachter mit Zusatzsegeln plötzlich deutlich mehr Sprit als ohne solche Routenanpassungen, so die Berechnungen. Obendrein sollten die Reeder den Segeltyp an die Route anpassen, die ihre Schiffe normalerweise fahren. Für die Fahrt über den Nordatlantik fängt eine ganz andere Takelage die Windenergie besser ein als auf Routen zwischen dem Osten Asiens und Europa.
Oder doch Brennstoffmotoren?
Die steigenden Treibstoffpreise machen aber auch noch eine ganz andere Alternative attraktiv: flüssiges Erdgas oder im Schifffahrtsenglisch "liquid natural gas" (LNG). Bei minus 162 Grad Celsius kann Erdgas als Flüssigkeit in speziellen Tanks gelagert und als Treibstoff für Verbrennungsmotoren verwendet werden. Derartige Erdgasautos sind seit einigen Jahren auf den Straßen unterwegs, und in Norwegen wurden bald ein Dutzend Personenfähren mit LNG-Antrieb gebaut.
Im August 2011 hat dann der Germanische Lloyd (GL-Group) in Hamburg, der weit mehr als ein technischer Überwachungsverein für Schiffe ist, die Umrüstung des ersten Frachters von Schweröl auf LNG als Treibstoff in die Wege geleitet. Auf dem Deck der Bit Viking wurden zwei große Tanks für jeweils 500 Kubikmeter LNG installiert und Rohrleitungen zu den runderneuerten Maschinen verlegt, damit sie sowohl mit Schweröl wie auch mit Flüssigerdgas funktionieren. Der Umbau hat geklappt, und seit dem 25. Oktober 2011 transportiert die Bit Viking zwischen Oslo und Kirkenes im äußersten Norden Norwegens Chemikalien.
Durch ihre Investition hat die Reederei Tarbit Shipping jetzt keine Probleme mit den Umweltauflagen der IMO mehr: Weil Flüssigerdgas keinerlei Schwefel enthält, strömen mit den Abgasen auch keine Schwefelverbindungen in die Luft. Der Ausstoß der schädlichen Stickoxide sinkt ebenfalls um 90 Prozent, und die Feinstaubemissionen reduzieren sich sogar um 99 Prozent. Vor allem aber profitiert das Klima, weil der LNG-Antrieb 20 bis 25 Prozent weniger Treibhausgase in die Luft bläst. Und weil die Preise für herkömmlichen Schiffsdiesel weiter steigen werden, glaubt der Germanische Lloyd, dass ein LNG-Antrieb schon bald günstiger als eine herkömmliche Betriebsweise sein wird.
Gehört der Brennstoffzelle die Zukunft?
Doch leider hat selbst Flüssigerdgas bislang ein doppeltes Manko: Zum einen gibt es abgesehen von Norwegen weltweit praktisch noch keine Lagertanks, aus denen Schiffe den kalten Treibstoff bunkern könnten. Und zum anderen bläst die Maschine immer noch einiges Kohlendioxid durch den Schornstein. Die Ingenieure vom Germanischen Lloyd haben daher ein Konzept für ein Containerschiff entwickelt, das weder Schadstoffe noch Treibhausgase emittiert. Dort wandeln Brennstoffzellen Wasserstoff und Sauerstoff in Wasser um und liefern dabei eine elektrische Leistung von fünf Megawatt für den Antrieb. Der Sauerstoff kommt wie bei herkömmlichen Verbrennungsmotoren aus der Luft. Ähnlich wie LNG wird auch der Wasserstoff verflüssigt und in Spezialtanks mitgenommen.
Vor allem die Kosten für die Brennstoffzellen und die Tanks machen dieses Fahrzeug zwar fast zwei Drittel teurer als ein Containerschiff mit konventionellen Aggregaten. "Trotzdem aber sollte dieses Konzept irgendwann zwischen 2020 und 2030 gewerblich interessant werden", vermutet Pierre Sames vom Germanischen Lloyd.
Der Grund für diesen Optimismus findet sich vor allem in der Tankstelle, die sich die GL-Ingenieure gleich mit ausgedacht haben: Für Schiffe günstig zu erreichen, sollte das Wasserstofflager ihrer Meinung nach bei einem Offshore-Windenergiepark weit vor der Küste liegen. Da Windräder oft nicht mit voller Leistung laufen oder ganz abgeschaltet werden, weil etwa in der Nacht weniger Strom gebraucht wird und die vorhandenen Stromspeicher voll sind, kann bis zu einem Drittel der potenziellen Windenergie bisher nicht geerntet werden. Die Ingenieure wollen nun die Windräder durchlaufen lassen und mit dem überschüssigen Strom gleich im Windpark in einer Art umgekehrten Brennstoffzelle aus Wasser Wasserstoff gewinnen. Der könnte in der Anlage gelagert und anschließend in die Schiffstanks gepumpt werden.
Schon ein 500-Megawatt-Windpark könnte so jedes Jahr 10 000 Tonnen Flüssigwasserstoff herstellen. Diese Menge reicht, um fünf kleinere Containerschiffe anzutreiben, die etwa zwischen deutschen und nordeuropäischen Häfen fahren. Da bis 2020 allein in Deutschland Offshore-Windparks mit einer Leistung von 3000 Megawatt entstehen sollen, könnte allein der überschüssige Strom schon 30 solcher Containerschiffe antreiben. Die Technik für solche Schiffe und die Wasserstoffherstellung ist längst erprobt – sie muss nur noch umgesetzt werden.
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