Radioaktivität: Wer hat an der Uhr gedreht?
Vor Jahren stießen Forscher auf eine rätselhafte Anomalie: Beeinflusst die Sonne das Ticken der radioaktiven Uhr? Den Beweis für ihre kühne These bleiben sie - noch - schuldig.
Kaum etwas tickt so zuverlässig wie die radioaktive Uhr. Schon Protagonisten der Radioaktivitätsforschung wie die Curies und Ernest Rutherford bissen sich die Zähne daran aus: Komme, was wolle, die Zerfallsrate lässt sich nicht beeinflussen. Nicht umsonst nutzt man, etwa bei der C-14-Methode, das langsame Vergehen radioaktiver Atome, um weit in der Vergangenheit liegende Ereignisse zu datieren. Egal welchen Einflüssen eine Probe unterworfen war, immer sind es 5730 Jahre, bis die Hälfte der darin befindlichen Kohlenstoff-14-Isotope zerfallen ist.
Aber stimmt das auch? Seit dem Jahr 2006 säen Wissenschaftler Zweifel an diesem Stück gut abgehangenen Lehrbuchwissens. Die Forschergruppe der Purdue University in West Lafayette hatte in Langzeitmessungen des Brookhaven National Laboratory und später auch in Daten der Braunschweiger Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) Schwankungen beobachtet, die sich mit simplen Zufallsfehlern nicht erklären lassen: Je nach Jahreszeit, so entdeckten sie, ging der Zerfall mal schneller und mal langsamer vonstatten – um deutlich weniger als ein Prozent zwar, aber dennoch statistisch signifikant [1].
Jere Jenkins und Ephraim Fischbach, die das rätselhafte Phänomen gemeinsam mit ihren Kollegen entdeckt hatten, suchten nach einer Erklärung und fanden sie in einer unwahrscheinlichen Quelle: der Sonne. Neutrinos, die bei den Fusionsprozessen im Innern des Sterns entstehen, könnten den Zerfall der Atomkerne beeinflussen, so die Hypothese der beiden Forscher.
Eine Sonneneruption in den Daten?
Die passend "Geisterteilchen" getauften Neutrinos treffen pro Sekunde in milliardenfacher Anzahl auf unseren Körper und durchqueren nicht nur ihn, sondern auch praktisch jedes andere Objekt im All, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Wie viele genau auf der Erde ankommen, hängt von der Entfernung zur Sonne ab: Im Januar zum Zeitpunkt der geringsten Distanz erreichen uns die meisten, ein halbes Jahr später die wenigsten. Entsprechend sollte der Einfluss der Teilchen variieren. Genau diese Regelmäßigkeit entdeckte das Forscherduo in den 19 Jahre umfassenden Daten der Braunschweiger Radon-Messung beziehungsweise im Silizium und Chlor, das in Brookhaven zum Einsatz kam.
Der Haken an der Sache ist ganz einfach: Mit dem Standardsatz an Wechselwirkungen, den die herkömmliche Physik bereithält, lässt sich kein Mechanismus finden, der einen solchen Neutrino-Einfluss plausibel macht. "Wir behaupten nicht mehr und nicht weniger, als dass etwas, das mit praktisch keiner anderen Sache wechselwirkt, etwas verändert, was sich nicht verändern lässt", meint Jenkins. Kein Wunder also, dass die Purdue-Forscher wenn nicht auf heftige Kritik, dann doch zumindest auf erhebliche Zweifel seitens ihrer Fachkollegen gestoßen sind.
Probe aufs Exempel
Seitdem leisten beide nach Kräften Überzeugungsarbeit durch weitere Datenanalysen, durch Instrumentenprüfungen – und nun erstmals auch durch ein Entscheidungsexperiment: Sie variierten die Menge an Neutrinos, denen ihre Probe ausgesetzt war, und protokollierten, ob sich in gleichem Maße auch deren Zerfallsrate ändern würde [3].
Dazu griffen sie zu einem Trick. Bei einer bestimmten Sorte Radioaktivität, dem Betazerfall, senden die Isotope ebenfalls Neutrinos (genauer: Antineutrinos) aus, die die benachbarten Atome ebenso beeinflussen müssten wie die solaren Teilchen. Das Team fertigte deshalb zwei gleich schwere Proben aus einem radioaktiven Goldisotop (198Au) an: eine in Kugelform und eine als dünne Folie. Neutrinos, die in der Folie entstehen, würden diese praktisch sofort verlassen. Die aus der Kugel dürften hingegen mit deutlich erhöhter Wahrscheinlichkeit mit den übrigen Atomen interagieren.
Kalkulationen vorab zeigten, dass die Zahl intern erzeugter Neutrinos durchaus ins Gewicht fallen müsste, da sie die Menge der solaren um ein Vielfaches übersteigen würde. Theoretisch war also mit einem deutlichen Effekt zu rechnen. Doch nach Tagen der Observation kamen Jenkins und Kollegen trotz allem zu dem enttäuschenden Schluss: Nichts Genaues weiß man – leider immer noch – nicht. Das Verhältnis in den Halbwertszeiten von Kugel und Folie, das erwartungsgemäß bei einem Wert von exakt eins liegen müsste, ermitteln sie als 0,999 mit einem Fehler von ±0,002.
... so schlau als wie zuvor
Die Resultate seien "nicht beweiskräftig", räumt Jenkins ein. "Wir sind gerade dabei, das Experiment zu wiederholen." Denn verschiedene Elemente könnten sich in ihrer Empfindlichkeit Neutrinos gegenüber unterscheiden. Möglicherweise interagieren die schwächeren Elektron-Antineutrinos, die in der Goldprobe entstanden, weniger oder anders mit den benachbarten Kernen als die energiereichen solaren Teilchen. Man wisse nun immerhin, welche Größenordnungen der Effekt nicht übersteige. Erst weitere Versuche würden definitive Klarheit verschaffen, vermutet der Forscher.
Damit würden sie das endgültige Ende ihrer Theorie lediglich um ein paar Jahre hinauszögern, vermuten hingegen die Kritiker. "Wäre der Neutrino-Effekt real, käme dies einer Revolution im Weltbild der Teilchenphysik nahe", sagt Heinrich Schrader, der an der PTB mit seinen Mitarbeitern einst die auffälligen Messungen vorgenommen hat. "Ich persönlich glaube jedoch nicht daran."
Die profane Alternativerklärung: Es handelt sich um einen systematischen Messfehler – einen noch unbekannten Geräteeffekt, der verschwinden müsste, sobald man die Methode ändert. Doch die Ergebnisse entsprechender Nachfolgestudien sind ebenfalls nicht unumstritten – Gutachten und Gegengutachten wechseln sich mit einiger Regelmäßigkeit ab. "Leider ignorieren Fischbach und Jenkins andere Erklärungsversuche", bemängelt beispielsweise Schraders Kollege Karsten Kossert, ebenfalls an der PTB.
Gutachten und Gegengutachten
Doch Jenkins hält dagegen: "Die Wahrscheinlichkeit, dass derselbe Effekt bei der Vielzahl verwendeter Verfahren auftritt, ist vernachlässigbar klein." Das will das Purdue-Team bei einer eigenen "rigorosen Analyse" der Detektortypen nachgewiesen haben [4]. Die zwei in Brookhaven untersuchten Isotope hätten darüber hinaus unterschiedliche Fluktuationen gezeigt, obwohl ein und derselbe Detektor jeweils abwechselnd auf sie gerichtet wurde – also kein Geräteeffekt. Da ist sich Jenkins sicher.
Doch auch Heinrich Schrader hat eine detaillierte Inspektion der damals verwendeten Technik vorgenommen und kam zu einer ganz anderen Beurteilung [5]. So ergaben sich Hinweise, die Elektronik lasse sich durch Feuchtigkeit beeinflussen. Außerdem könnte natürlich vorkommendes radioaktives Radon die Ergebnisse verfälschen. Wenn zu bestimmten Zeitpunkten im Jahr größere Mengen des Stoffs aus der Erde austreten, könnte hier die ganz und gar anschauliche Ursache für die regelmäßigen Abweichungen liegen, die auch plausibel macht, warum deren Maximal- und Minimalwerte gar nicht mit den exakt sonnennächsten und sonnenfernsten Tagen im Jahr zusammenfallen.
Erst kürzlich setzte ein Team um Kossert ein Verfahren ein, dessen Unsicherheiten um Größenordnungen kleiner waren als bei der Methode, die einst die Oszillationen offenbarte. Die Wissenschaftler ermittelten die Zerfallsrate einmal im Winter und einmal im Sommer [6]. "Wir können mit unseren Messungen keine jahreszeitliche Abhängigkeit erkennen", fasst Kossert zusammen – jedenfalls nicht an den Chlorisotopen, die sie in den Detektor schoben.
Weitere Rhythmen
Doch Jenkins gibt sich nicht geschlagen. Zwei Datenpunkte genügten aus statistischen Gründen nicht zum Gegenbeweis. Erst recht nicht, wenn die Schwankungen in Datenreihen auftauchen, die mehr als ein Jahrzehnt umfassen: "Es ist ungerechtfertigt, auf dieser Basis von einem Null-Resultat zu sprechen." Auch wenn die Parteien akademisch-höflich miteinander umgehen, die Standpunkte sind klar verteilt.
Das letzte Wort dürfte noch nicht gesprochen sein. Zumal Fischbach und Jenkins mit einem neuerlichen Coup aufwarten können: Gemeinsam mit Peter Sturrock, einem emeritierten Physiker der Stanford University, haben sie die Originaldaten aus Braunschweig und Brookhaven noch einmal durch ein Statistikprogramm gejagt und wollen zusätzlich zum Jahreszyklus zwei weitere Perioden ausgemacht haben [7]. Die sollen nun Sonnenforscher aufhorchen lassen: Die erste (11,23/Jahr) erinnere an die "synodische" Eigenrotation der Sonne von 27,3 Tagen Dauer; die zweite (2,11/Jahr) an die so genannte Rieger-Periode, der zufolge die Sonnenaktivität im Rhythmus von rund 155 Tagen schwankt. Noch sind die Befunde nicht publiziert. Sollten sie sich bei genauerer Prüfung als stichhaltig erweisen, wäre das ein deutlicher Anhaltspunkt für einen solaren Einfluss.
"Mit den Neutrinos mögen wir danebenliegen", sagt Jenkins, aber dass die Sonne eine Wirkung hat, davon ist er fest überzeugt. Irgendein "Geisterteilchen" müsse es sein – womöglich eines, das den Physikern bislang durch die Finger geschlüpft ist. Und selbst wenn es nur mit der Ausrüstung wechselwirke, "würde das einige sehr, sehr interessante Fragen aufwerfen", prophezeit Jenkins. Wenigstens in diesem Punkt dürfte ihm ausnahmsweise keiner seiner Kritiker widersprechen.
Aber stimmt das auch? Seit dem Jahr 2006 säen Wissenschaftler Zweifel an diesem Stück gut abgehangenen Lehrbuchwissens. Die Forschergruppe der Purdue University in West Lafayette hatte in Langzeitmessungen des Brookhaven National Laboratory und später auch in Daten der Braunschweiger Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) Schwankungen beobachtet, die sich mit simplen Zufallsfehlern nicht erklären lassen: Je nach Jahreszeit, so entdeckten sie, ging der Zerfall mal schneller und mal langsamer vonstatten – um deutlich weniger als ein Prozent zwar, aber dennoch statistisch signifikant [1].
Jere Jenkins und Ephraim Fischbach, die das rätselhafte Phänomen gemeinsam mit ihren Kollegen entdeckt hatten, suchten nach einer Erklärung und fanden sie in einer unwahrscheinlichen Quelle: der Sonne. Neutrinos, die bei den Fusionsprozessen im Innern des Sterns entstehen, könnten den Zerfall der Atomkerne beeinflussen, so die Hypothese der beiden Forscher.
Eine Sonneneruption in den Daten?
Die passend "Geisterteilchen" getauften Neutrinos treffen pro Sekunde in milliardenfacher Anzahl auf unseren Körper und durchqueren nicht nur ihn, sondern auch praktisch jedes andere Objekt im All, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Wie viele genau auf der Erde ankommen, hängt von der Entfernung zur Sonne ab: Im Januar zum Zeitpunkt der geringsten Distanz erreichen uns die meisten, ein halbes Jahr später die wenigsten. Entsprechend sollte der Einfluss der Teilchen variieren. Genau diese Regelmäßigkeit entdeckte das Forscherduo in den 19 Jahre umfassenden Daten der Braunschweiger Radon-Messung beziehungsweise im Silizium und Chlor, das in Brookhaven zum Einsatz kam.
Doch damit nicht genug. Per Zufall stießen Jenkins und Fischbach auf eine mutmaßliche weitere Anomalie, die die Theorie des solaren Faktors unabhängig vom Jahreszyklus untermauerte. Eine heftige Sonneneruption im Dezember 2006, bei der Unmengen von Teilchen auf die Erde prasselten, hat sich nach Meinung der beiden Wissenschaftler in zeitgleich erhobenen Werten zum Zerfall von Mangan-54 als Delle bemerkbar gemacht [2].
Der Haken an der Sache ist ganz einfach: Mit dem Standardsatz an Wechselwirkungen, den die herkömmliche Physik bereithält, lässt sich kein Mechanismus finden, der einen solchen Neutrino-Einfluss plausibel macht. "Wir behaupten nicht mehr und nicht weniger, als dass etwas, das mit praktisch keiner anderen Sache wechselwirkt, etwas verändert, was sich nicht verändern lässt", meint Jenkins. Kein Wunder also, dass die Purdue-Forscher wenn nicht auf heftige Kritik, dann doch zumindest auf erhebliche Zweifel seitens ihrer Fachkollegen gestoßen sind.
Probe aufs Exempel
Seitdem leisten beide nach Kräften Überzeugungsarbeit durch weitere Datenanalysen, durch Instrumentenprüfungen – und nun erstmals auch durch ein Entscheidungsexperiment: Sie variierten die Menge an Neutrinos, denen ihre Probe ausgesetzt war, und protokollierten, ob sich in gleichem Maße auch deren Zerfallsrate ändern würde [3].
Dazu griffen sie zu einem Trick. Bei einer bestimmten Sorte Radioaktivität, dem Betazerfall, senden die Isotope ebenfalls Neutrinos (genauer: Antineutrinos) aus, die die benachbarten Atome ebenso beeinflussen müssten wie die solaren Teilchen. Das Team fertigte deshalb zwei gleich schwere Proben aus einem radioaktiven Goldisotop (198Au) an: eine in Kugelform und eine als dünne Folie. Neutrinos, die in der Folie entstehen, würden diese praktisch sofort verlassen. Die aus der Kugel dürften hingegen mit deutlich erhöhter Wahrscheinlichkeit mit den übrigen Atomen interagieren.
Kalkulationen vorab zeigten, dass die Zahl intern erzeugter Neutrinos durchaus ins Gewicht fallen müsste, da sie die Menge der solaren um ein Vielfaches übersteigen würde. Theoretisch war also mit einem deutlichen Effekt zu rechnen. Doch nach Tagen der Observation kamen Jenkins und Kollegen trotz allem zu dem enttäuschenden Schluss: Nichts Genaues weiß man – leider immer noch – nicht. Das Verhältnis in den Halbwertszeiten von Kugel und Folie, das erwartungsgemäß bei einem Wert von exakt eins liegen müsste, ermitteln sie als 0,999 mit einem Fehler von ±0,002.
... so schlau als wie zuvor
Die Resultate seien "nicht beweiskräftig", räumt Jenkins ein. "Wir sind gerade dabei, das Experiment zu wiederholen." Denn verschiedene Elemente könnten sich in ihrer Empfindlichkeit Neutrinos gegenüber unterscheiden. Möglicherweise interagieren die schwächeren Elektron-Antineutrinos, die in der Goldprobe entstanden, weniger oder anders mit den benachbarten Kernen als die energiereichen solaren Teilchen. Man wisse nun immerhin, welche Größenordnungen der Effekt nicht übersteige. Erst weitere Versuche würden definitive Klarheit verschaffen, vermutet der Forscher.
Damit würden sie das endgültige Ende ihrer Theorie lediglich um ein paar Jahre hinauszögern, vermuten hingegen die Kritiker. "Wäre der Neutrino-Effekt real, käme dies einer Revolution im Weltbild der Teilchenphysik nahe", sagt Heinrich Schrader, der an der PTB mit seinen Mitarbeitern einst die auffälligen Messungen vorgenommen hat. "Ich persönlich glaube jedoch nicht daran."
Die profane Alternativerklärung: Es handelt sich um einen systematischen Messfehler – einen noch unbekannten Geräteeffekt, der verschwinden müsste, sobald man die Methode ändert. Doch die Ergebnisse entsprechender Nachfolgestudien sind ebenfalls nicht unumstritten – Gutachten und Gegengutachten wechseln sich mit einiger Regelmäßigkeit ab. "Leider ignorieren Fischbach und Jenkins andere Erklärungsversuche", bemängelt beispielsweise Schraders Kollege Karsten Kossert, ebenfalls an der PTB.
Gutachten und Gegengutachten
Doch Jenkins hält dagegen: "Die Wahrscheinlichkeit, dass derselbe Effekt bei der Vielzahl verwendeter Verfahren auftritt, ist vernachlässigbar klein." Das will das Purdue-Team bei einer eigenen "rigorosen Analyse" der Detektortypen nachgewiesen haben [4]. Die zwei in Brookhaven untersuchten Isotope hätten darüber hinaus unterschiedliche Fluktuationen gezeigt, obwohl ein und derselbe Detektor jeweils abwechselnd auf sie gerichtet wurde – also kein Geräteeffekt. Da ist sich Jenkins sicher.
Doch auch Heinrich Schrader hat eine detaillierte Inspektion der damals verwendeten Technik vorgenommen und kam zu einer ganz anderen Beurteilung [5]. So ergaben sich Hinweise, die Elektronik lasse sich durch Feuchtigkeit beeinflussen. Außerdem könnte natürlich vorkommendes radioaktives Radon die Ergebnisse verfälschen. Wenn zu bestimmten Zeitpunkten im Jahr größere Mengen des Stoffs aus der Erde austreten, könnte hier die ganz und gar anschauliche Ursache für die regelmäßigen Abweichungen liegen, die auch plausibel macht, warum deren Maximal- und Minimalwerte gar nicht mit den exakt sonnennächsten und sonnenfernsten Tagen im Jahr zusammenfallen.
Erst kürzlich setzte ein Team um Kossert ein Verfahren ein, dessen Unsicherheiten um Größenordnungen kleiner waren als bei der Methode, die einst die Oszillationen offenbarte. Die Wissenschaftler ermittelten die Zerfallsrate einmal im Winter und einmal im Sommer [6]. "Wir können mit unseren Messungen keine jahreszeitliche Abhängigkeit erkennen", fasst Kossert zusammen – jedenfalls nicht an den Chlorisotopen, die sie in den Detektor schoben.
Weitere Rhythmen
Doch Jenkins gibt sich nicht geschlagen. Zwei Datenpunkte genügten aus statistischen Gründen nicht zum Gegenbeweis. Erst recht nicht, wenn die Schwankungen in Datenreihen auftauchen, die mehr als ein Jahrzehnt umfassen: "Es ist ungerechtfertigt, auf dieser Basis von einem Null-Resultat zu sprechen." Auch wenn die Parteien akademisch-höflich miteinander umgehen, die Standpunkte sind klar verteilt.
Das letzte Wort dürfte noch nicht gesprochen sein. Zumal Fischbach und Jenkins mit einem neuerlichen Coup aufwarten können: Gemeinsam mit Peter Sturrock, einem emeritierten Physiker der Stanford University, haben sie die Originaldaten aus Braunschweig und Brookhaven noch einmal durch ein Statistikprogramm gejagt und wollen zusätzlich zum Jahreszyklus zwei weitere Perioden ausgemacht haben [7]. Die sollen nun Sonnenforscher aufhorchen lassen: Die erste (11,23/Jahr) erinnere an die "synodische" Eigenrotation der Sonne von 27,3 Tagen Dauer; die zweite (2,11/Jahr) an die so genannte Rieger-Periode, der zufolge die Sonnenaktivität im Rhythmus von rund 155 Tagen schwankt. Noch sind die Befunde nicht publiziert. Sollten sie sich bei genauerer Prüfung als stichhaltig erweisen, wäre das ein deutlicher Anhaltspunkt für einen solaren Einfluss.
"Mit den Neutrinos mögen wir danebenliegen", sagt Jenkins, aber dass die Sonne eine Wirkung hat, davon ist er fest überzeugt. Irgendein "Geisterteilchen" müsse es sein – womöglich eines, das den Physikern bislang durch die Finger geschlüpft ist. Und selbst wenn es nur mit der Ausrüstung wechselwirke, "würde das einige sehr, sehr interessante Fragen aufwerfen", prophezeit Jenkins. Wenigstens in diesem Punkt dürfte ihm ausnahmsweise keiner seiner Kritiker widersprechen.
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