Tonga-Vulkanausbruch: Wie ein ungewöhnlicher Vulkan die Erde verändert
Der Ausbruch des Vulkans Hunga Tonga-Hunga Ha'apai im Januar 2022 war gleich in mehrerer Hinsicht ein außergewöhnliches Ereignis. Der Vulkan im pazifischen Königreich Tonga verursachte nicht nur die stärkste Explosion, die moderne Instrumente jemals aufzeichneten, sondern veränderte auch die Atmosphäre dramatisch. Über 100 Millionen Tonnen des in der Hitze des Ausbruchs verdampften Meerwassers schossen in Höhen bis 58 Kilometer – in die sonst recht trockene obere Stratosphäre und untere Mesosphäre.
Wasserdampf ist ein starkes Treibhausgas, und nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen 1979 zeigten Satellitendaten so große Mengen davon in der Stratosphäre. Könnte es einen Erwärmungsschub am Boden verursachen? Niemand wusste so recht, wie sich diese Wasserdampfmenge auf Wetter und Klima auswirken würde.
Normalerweise kühlen große vulkanische Eruptionen die gesamte Erdoberfläche kurzzeitig über ein bis zwei Jahre ab. Schuld ist die in höheren Atmosphären-Stockwerken freigesetzte Rauchwolke voller Schwefeldioxid: Die daraus gebildeten Sulfataerosole reflektieren das Sonnenlicht zurück ins Weltall, während sie von Windsystemen weltweit verbreitet werden.
Ein perfektes natürliches Experiment
Doch die Eruptionswolke des Unterwasservulkans enthielt wenig Schwefeldioxid, dafür eben umso mehr Wasser. Dieses Ereignis ist nicht nur eine Kuriosität, sondern auch eine einmalige Gelegenheit für die Klimaforschung. Seit Jahrzehnten versuchen Fachleute, die Auswirkungen des Klimawandels zu simulieren. Nun liefert die Wasserdampfinjektion des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai gleichsam ein perfektes natürliches Treibhausgas-Experiment.
Eine im Mai 2024 erschienene australische Klimamodellstudie in der Fachzeitschrift »Journal of Climate« stellt nun mögliche Auswirkungen insbesondere auf Ozonloch, Oberflächentemperaturen und Niederschlagsmuster vor. Demnach könnte der Tonga-Vulkanausbruch dazu beitragen, das Ozonloch vorübergehend zu vergrößern. Tatsächlich beobachteten Fachleute genau das auch in der Realität.
Weiterhin wirkten solche Wasserdampfanomalien in der Stratosphäre komplexer auf die Erdoberfläche, als sie bloß durch den Treibhauseffekt zu erwärmen. Es gebe zum Beispiel Rückkopplungen mit Wolken. Diese beeinflussen die Strahlungsbilanz und können abkühlend oder erwärmend wirken. Am globalen Durchschnitt, zeigt das Modell, ändert sich durch den Tonga-Vulkan nur wenig – doch regional macht er das Wetter anomal.
Aber was heißt eigentlich »anomal«, und woher wissen wir, dass der Vulkan schuld ist? Bei all den Extremereignissen, die jetzt gehäufter auftreten, stellt sich in der so genannten Attributionsforschung stets die Frage, was dem menschengemachten Klimawandel zuzuordnen ist. Die gleichen Analysen kann man auch bei einem Vulkan durchführen und so darauf rückschließen, welche Effekte nicht dem Menschen zuzuschreiben sind. Der Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai ist ebenfalls ein guter Test für diese Techniken – die Ergebnisse liegen schon in wenigen Jahren vor.
Wie der Vulkan das Wetter verändert
Die Studienautoren verglichen daher jeweils eine Welt mit und eine ohne Tonga-Vulkanausbruch, um so genannte Ensemble-Mittelwerte zu bestimmen. Das heißt konkret: Sie programmierten in 29 verschiedenen Klimamodellen die gemessene Wasserdampfmenge in der Stratosphäre und ließen Großrechner die dynamischen Transportprozesse inklusive der globalen Auswirkung simulieren. Das Ergebnis verglichen sie jeweils mit der entsprechenden Klimamodellrechnung ohne Wasserdampf.
Die Fachleute berichten, dass der Ausbruch des Unterwasservulkans die Art und Weise ändert, wie sich »wave trains«, großräumige Wellenbewegungen in der Atmosphäre, über die Erde bewegen. Das vermag das Wetter direkt zu beeinflussen und anomale Ereignisse hervorzurufen. Die Wasserdampfmenge beeinflusse zwar kaum die globale mittlere Temperatur, könne aber die regionalen Oberflächentemperaturen in großen Gebieten für einige Jahre deutlich verschieben: Nordamerika etwa erwärmt sich demnach wohl um mehr als 1,5 Grad Celsius, während sich Skandinavien um etwa ein Grad abkühlt. Zudem seien ungewöhnliche Wärme in der Arktis und kühle Anomalien auf der Südhalbkugel über Australien zu erwarten.
Laut den Simulationen macht der Stratosphäreneinfluss Europa und Australien im Winter nasser und die Westküste der USA trockener als üblich. Im Sommer dagegen herrschen in Nordeurasien trockenere Bedingungen vor, während Chinas Ostküste und Westaustralien nasse Anomalien erhält. Auch im Pazifik und im Indischen Ozean regnet es mehr. Und diese Pazifikanomalie wird sogar von einer positiven Tendenz des El Niño begleitet.
Warum das Ozonloch wuchs
Das in der Studie verwendete WACCM4-Klimamodell gehört zu den besten für viele Fragestellungen, unter anderem zur Ozonschicht. Es zeigt zudem klar den beobachteten Effekt auf das Ozonloch. Für den zweiten Frühling und Sommer nach der Eruption prognostizierte es eine temporäre Vergrößerung des Ozonlochs von zwei Millionen Quadratkilometern. Dieses vergrößerte Ozonloch maßen Fachleute im späten Frühling 2023 tatsächlich.
Die Simulation zeigte außerdem, weshalb das Ozonloch erst im zweiten Jahr nach dem Ausbruch größer wurde. Der stratosphärische Wasserdampf hatte im ersten Jahr nicht genügend Zeit, die polaren Breiten zu erreichen, bevor sich der allwinterliche antarktische Polarwirbel ausbildete, den der Wasserdampf nicht durchdringen kann.
Der Zusammenhang zwischen Ozonloch und dem Vulkanausbruch komme nicht überraschend, erklärt Thomas Birner, Professor für Theoretische Meteorologie an der LMU München. Polare Stratosphärenwolken aus Eis und eine erhöhte Konzentration von Hydroxylradikalen (reaktionsfreudigen Molekülen aus je einem Wasserstoff- und Sauerstoffatom) spielen eine Schlüsselrolle bei der Ozonzerstörung. Mehr verfügbares Wasser in der Stratosphäre bedeuten ergo mehr Eiswolken und mehr chemische Reaktionen, die das Ozonloch vergrößern. »Das Signal hätte man also auch ohne Computerrechnungen erwartet, aber die Modelle haben den Effekt noch mal bestätigt und vor allem quantifiziert«, sagt der Forscher. »Das legt nahe, dass die 2023 in echt beobachtete Anomalie zumindest auch zum Teil durch den Vulkanausbruch zu Stande gekommen ist.«
Inwieweit sich die regionalen Wetterprognosen ebenfalls bewahrheiten, werden spätestens die Beobachtungen der nächsten Jahre zeigen. Birner sieht die australische Veröffentlichung positiv, obwohl er neben Lob auch Kritik an einigen Hypothesen äußert. Die Studie sei eine Grundlage, mit der man wissenschaftlich arbeiten kann, selbst wenn man in Einzelpunkten anderer Auffassung ist, sagt er anerkennend.
Der Ozean bleibt die große Unbekannte
Ulrike Niemeier vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg stimmt dem zu. Die Klimaphysikerin aus der Gruppe »Stratosphärischer Antrieb und Klima« nutzt für ihre Studien vergleichbare Klimamodelle und bestätigt, dass sich diese prinzipiell gut für Ozonbetrachtungen eignen. Besonders spannend findet sie den in der Studie herausgestellten Zusammenhang mit einer veränderten Wellenaktivität der Atmosphäre, merkt allerdings an: »Ein Problem ist der fehlende Ozean. Deren Modell berücksichtigt keinen Ozean, sondern gibt nur Wasseroberflächentemperaturen vor. Niederschlag und Temperatur werden aber stark vom Ozean beeinflusst.«
Daher macht Niemeier bei Nachfragen zu ihren eigenen Simulationen stets sehr deutlich, dass sie zu bodennahen Temperatureinflüssen keine Aussagen machen kann. Die in der australischen Studie vorgestellten Details zu Temperatur- und Niederschlagseinflüssen seien daher kritisch zu betrachten.
Die Kritik daran, dass in dieser Klimamodellstudie eine dynamische Entwicklung des Ozeans fehlt, teilt Birner. »Veränderungen im Ozean geschehen deutlich langsamer als in der Atmosphäre, daher kann er auch erst später reagieren und mit der Atmosphäre rückkoppeln. Das ist der Effekt, der in den Rechnungen fehlt«, erläutert er. »Was die Autoren ausgerechnet haben, sind Effekte unter der Annahme, dass Rückkopplungen zum Ozean keine große Rolle spielen. Somit sind die Aussagen über die Temperaturentwicklungen ein paar Jahre nach dem Vulkanausbruch mit Vorsicht zu genießen.«
Die einzelnen Prozesse isolieren
Auch die Studienautoren räumen hier Unsicherheiten ein und betonen, wie wichtig weitere Untersuchungen wären, weil sie auf Grund der Beschränkung durch den fehlenden Ozean nicht alles abschließend erklären konnten. Aber warum haben sie die dynamische Entwicklung des Ozeans dann überhaupt weggelassen? Birner hat eine Erklärung: »Solche Simulationen an Großrechnern sind von der Computerzeit her einfach teuer.«
Grundsätzlich sei es in Ordnung, etwas wegzulassen, wenn es ein Modell vereinfacht. Das tue man zuweilen sogar absichtlich. Birner vergleicht es mit einem physikalischen Laborexperiment, in dem ein Prozess isoliert verstanden werden soll und sämtliche anderen, störenden Fremdeffekte daher ausgelassen werden. So vernachlässigt die Studie die geringen Aerosolwirkungen der Tonga-Eruption. Eine Interpretation der Autoren bezüglich eines Zusammenhangs mit El Niño bereitet Birner hingegen Bauchschmerzen, weil gerade dieses Phänomen auf einer Kopplung zwischen Ozean und Atmosphäre beruht.
Das schmälert aus seiner Sicht jedoch nicht den Wert der Arbeit für die Attributionsforschung. »So kommt man wieder ein Stück weiter, so funktioniert Wissenschaft. Wenn nächstes Jahr eine andere Studie eine Hypothese widerlegen sollte, ist das aber kein Grund, Klimastudien zu misstrauen«, mahnt Birner, der Fehlschlüssen vorbeugen will: »Wir verstehen die Basis des Klimasystems sehr gut. Es gibt einen Kern des Wissens, der zu 99 Prozent unbestritten ist«, betont er. »Um diesen Kern herum gibt es Unbekannte, die man noch nicht gänzlich versteht. Deswegen sollte man aber nicht den Kern in Frage stellen.«
Ob nun einige der bevorstehenden Wetterereignisse und Klimavariabilitäten letztlich dem Tonga-Vulkan zugeschrieben werden können oder nicht: Die größten Anomalien stammen nach wie vor vom menschengemachten Klimawandel.
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