Frühes Sonnensystem: Wie ist der Mond entstanden?
Nach den Vorstellungen der Planetenforscher traf die Erde ein weiterer Himmelskörper, der sich in einer Sonnenumlaufbahn nicht weit entfernt von der Erdbahn gebildet hatte, auf unseren schon fast vollständig gebildeten Heimatplaneten. Der Himmelskörper hatte in etwa die Größe des Mars (rund 6000 Kilometer) und ein Zehntel der Erdmasse. Dieser Impaktor wird auch "Theia" genannt. Er stieß vor rund 4,5 Milliarden Jahren streifend mit der Urerde zusammen, wobei die Kollisionsgeschwindigkeit relativ gering war. Sie betrug etwa die Fluchtgeschwindigkeit von der Erde, also rund elf Kilometer pro Sekunde. Diese relativ langsame Kollision ist notwendig, um den heute vorhandenen Drehimpuls des Erde-Mond-Systems zu erklären.
Die Folgen des Einschlags waren für die Urerde katastrophal, sie wurde bei dem Einschlag vollständig aufgeschmolzen und verwandelte sich in einen weißglühenden Lavaball. Bei dem Einschlag gerieten gewaltige Mengen glühenden Gesteins und Gesteinsdampfs ins All, die in der Folge eine Scheibe um die Erde bildeten. Aus diesem Material, dass nach Computersimulationen überwiegend vom Impaktor stammen müsste, bildete sich in der Folge der Mond. Der Eisenkern von Theia sank dagegen innerhalb weniger Stunden ins Zentrum der Erde ab und vereinigte sich dort mit dem Erdkern.
Dieses Szenario ist der von den Planetenforschern derzeit favorisierte Erklärungsversuch über den Ursprung unseres Trabanten. Aber nicht alle Aspekte des heutigen Mondes lassen sich mit dieser Hypothese völlig befriedigend erklären. Aus den Analysen der Mondgesteine, welche die Apollo-Astronauten und die unbemannten sowjetischen Luna-Raumsonden zur Erde brachten, als auch von auf der Erde gefundener Mondmeteorite, ergibt sich, dass die Gesamtzusammensetzung des Mondes praktisch identisch mit derjenigen des heutigen Erdmantels ist.
Dies gilt nicht nur für die makroskopische chemische Zusammensetzung, sondern erstreckt bis hinein in die Isotopie wichtiger gesteinsbildender Elemente wie Sauerstoff, Titan oder Chrom. Nach den Vorgaben der Riesen-Einschlag-Hypothese sollte der Mond aber überwiegend aus Material des Impaktors Theia bestehen und somit eine vom Erdmantel verschiedene Zusammensetzung aufweisen. Es gilt als unwahrscheinlich, dass ein anderer planetarer Körper exakt die gleiche chemische und isotopische Zusammensetzung aufweist wie die Erde.
Matija Cuk und Sarah T. Stewart von der Harvard University in Cambridge, Masschusetts, nehmen an, dass die Urerde vor und zum Zeitpunkt des Einschlags von Theia rasend schnell rotierte, etwa einmal in nur 2,3 Stunden [1]. Außerdem erfolgte der Einschlag mit höherer Geschwindigkeit als im alten Szenario, wobei Material aus dem tieferen Erdinneren herausgeschleudert wurde. Dieses bildete wie im Standardmodell eine Scheibe um die Erde aus, woraus sich dann der Mond formte. Dieser hat dann die Zusammensetzung des Erdmantels. Das Problem bei dieser Hypothese ist jedoch der daraus resultierende Drehimpuls des Erde-Mond-Systems. Mit etwa dem 2,7-Fachen des heutigen Werts ist er deutlich zu hoch.
Um diesen Drehimpuls auf das heutige Maß zu reduzieren, nehmen die Forscher eine komplexe Wechselwirkung zwischen den Schwerefeldern und Bahnen des Mondes und der Erde mit dem Schwerefeld der Sonne an, sie sprechen von einer Evektionsresonanz. Dabei stehen kurz nach der Kollision die Umlaufperiode der Erde und die Form und Lage der Mondbahn um die Erde in einem festen Verhältnis zueinenander und können so in relativ kurzer Zeit Drehimpuls auf die Sonne übertragen. Schließlich bricht durch die Veränderung der Mondbahn dieses Resonanz auf und die Drehimpulsübertragung stoppt. So erreicht der Drehimpuls schließlich den heutigen Wert, der seitdem konstant geblieben ist.
Die Erde rotiert heute wesentlich langsamer als zu ihrer Entstehung. Durch die Gezeitenwechselwirkung mit dem Mond wird sie langsam abgebremst. Dieser Drehimpulsverlust der Erdrotation wird über Gezeitenkräfte in die Mondbahn übertragen. Folge: Der Mond entfernt sich von der Erde. Diese Abstandsvergrößerung lässt sich heute mittels Laser und Reflektoren auf dem Mond direkt messen, sie beträgt rund vier Zentimeter pro Jahr.
Wie im Bild zu sehen, geschieht dies bevorzugt entlang zweier Spiralarme, so dass die neugeborene Erde für wenige Stunden wie eine Balkenspiralgalaxie aussieht. Die beiden Spiralarme winden sich auf und bilden in der Folge eine dichte Materiescheibe um die Erde – die Saat des Mondes. In diesem Fall bestehen die beiden neugeborenen Himmelskörper durch die Vereinigung der Impaktoren aus dem gleichen Material, so dass sich die Zusammensetzung des Mondes zwanglos erklären lässt. Aber auch in diesem Fall enthält das neugeborene Erde-Mond-System zuviel Drehimpuls. Er muss wie im Fall der zuerst aufgeführten Theorie von Cuk und Stewart durch die Evektionsresonanz auf die Sonne übertragen werden.
Mit diesen beiden Vorschlägen sind neue Ideen in die seit rund 30 Jahren andauernden Diskussionen um die "Riesen-Einschlag-Hypothese" eingebracht worden. Es bleibt nun abzuwarten, ob sie sich in der Folge durchsetzen können.
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