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Work-Life-Balance: Wie viel Arbeit tut uns gut?

So sehr viele den Feierabend auch manchmal herbeisehnen: Zu arbeiten, tut Körper und Seele gut. Bleibt die Frage nach der richtigen Dosis.
Bei der Arbeit

Ob Vollzeit, halbtags oder im Schichtdienst: Wann und wie lange wir arbeiten, hat einen großen Einfluss auf unser Wohlbefinden. Hocken wir regelmäßig bis spätabends im Büro und nimmt der Stress überhand, kann in schlimmen Fällen beispielsweise ein Burnout die Folge sein. Unregelmäßige Dienstzeiten bringen unsere innere Uhr durcheinander und machen uns anfälliger für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber auch Arbeitslosigkeit kann uns krank machen: Laut Zahlen des Robert Koch-Instituts haben arbeitslose Männer dreimal so häufig eine Depression oder depressive Verstimmung wie erwerbstätige. Bei arbeitslosen Frauen ist das Risiko geringer, aber immerhin noch doppelt so hoch. Diese Daten wurden zwar bereits 2010 und 2012 im Rahmen der GEDA-Studien (kurz für »Gesundheit in Deutschland aktuell«) erhoben – an der Tendenz dürfte sich jedoch nichts geändert haben.

Wenn uns sowohl zu viel als auch zu wenig Arbeit Schwierigkeiten bereitet, bleibt die Frage nach der richtigen Dosis: Wie viel Arbeit tut uns gut?

»Es gibt Empfehlungen für alles: wie viel Vitamin C wir einnehmen sollen, wie viel Schlaf wir brauchen – aber niemand hat sich je gefragt, wie viel Arbeit eigentlich gut für uns ist«, sagt der Soziologe Brendan Burchell. Gemeinsam mit Daiga Kamerade von der University of Salford hat er im Jahr 2018 versucht, diese Lücke zu schließen. Dazu befragten die Forscher mehr als 70 000 Menschen aus Großbritannien über einen Zeitraum von neun Jahren wiederholt zu ihren Arbeits- und Lebensgewohnheiten sowie zu ihrer Gesundheit – und dazu, wie zufrieden sie damit waren. »Zu unserer großen Überraschung beobachteten wir, dass es bei den meisten Menschen keine Rolle spielte, wie viele Stunden sie arbeiteten – solange sie einen Job hatten«, sagt Kamerade.

Eine bis acht Stunden genügen, um sich besser zu fühlen

In der Studie, die das Team im Juni 2019 im Fachblatt »Social Science & Medicine« veröffentlichte, stellten die Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Stunden, die die Probanden gearbeitet hatten, und deren Wohlbefinden her. Den meisten Teilnehmern, die zuvor auf Jobsuche gewesen waren, ging es gesundheitlich besser, sobald sie eine bis acht Stunden pro Woche arbeiteten; die Männer waren mit diesem Pensum gleichzeitig auch deutlich zufriedener mit ihrem Leben. Frauen genügte das in der Regel noch nicht: Sie waren erst ab einer Arbeitszeit von 20 Stunden glücklicher. Das Team um Kamerade erklärt diese Diskrepanz damit, dass Menschen in Großbritannien, sobald sie mehr als 16 Stunden pro Woche arbeiten, vom Staat keine Unterstützung mehr erhalten – es sei denn, sie haben Kinder zu versorgen. Da dies bei Frauen häufiger der Fall sei, glauben die Forscher, dass es sich für diese eher lohnen könnte, mehr Geld zu verdienen. Die Männer hingegen waren mit weniger als 16 Stunden – und den vermutlich weiterhin bezogenen Leistungen vom Amt – zufriedener.

»Lange Arbeitszeiten zerfressen die mentale und in der Folge auch die körperliche Gesundheit der Menschen«
Huong Dinh, Ökonom an der Australian National University

Doch egal, ob 8 oder 20 Stunden – das »Zufriedenheitspensum« aus Kamerades Studie wird durch eine klassische 40-Stunden-Woche klar überschritten. Laut Statistischem Bundesamt lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten in Deutschland im Jahr 2018 sogar bei 41 Stunden. Muten wir uns also allesamt eine Überdosis Arbeit zu? Ja, meint Huong Dinh von der Australian National University. Zusammen mit ihren Kolleginnen Lyndall Strazdins und Jennifer Welsh will sie herausgefunden haben, dass alles, was über 39 Stunden Arbeit pro Woche hinausgeht, schlecht für unsere mentale Gesundheit ist.

Für Frauen ist mit 38 Stunden das Limit erreicht

Diesen Wert stützen die Forscherinnen auf eine Befragung von fast 8000 Australiern, die Auskunft über ihre Arbeitsbedingungen, ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit gaben – etwa über die Zahl ihrer Krankheitstage, Arztbesuche, Klinikaufenthalte und etwaige Befunde. Auch hier zeigten sich allerdings Geschlechterunterschiede: Während Männer bis zu 43,5 Stunden pro Woche arbeiten konnten, ohne ihre Gesundheit zu gefährden, war bei Frauen das Limit bereits bei 38 Stunden erreicht. Das hängt in den Augen von Strazdins und ihren Kolleginnen damit zusammen, dass Frauen häufiger die Betreuung von Kindern und Familienangehörigen übernehmen – sie haben also sozusagen einen zweiten Job neben ihrer eigentlichen Arbeit. Die Forscherinnen sind deshalb der Meinung, dass die aktuellen Arbeitszeitregelungen gerade für weibliche Arbeitnehmer ungesund sind.

So lange arbeitet man in Deutschland | Die tatsächlichen Arbeitszeiten von Beschäftigten, aufgeschlüsselt nach Geschlecht. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA) vergleicht hier Zahlen aus den Jahren 2015 (Befragung von etwa 18 000 Arbeitnehmern: hellere Farbtöne) und 2017 (befragt wurden rund 9000 Arbeitnehmer, dunkler dargestellt). Alle Angaben in Prozent, Rundungsfehler sind möglich.

»Lange Arbeitszeiten zerfressen die mentale und in der Folge auch die körperliche Gesundheit der Menschen«, sagte Dinh der britischen Tageszeitung »Daily Mail«. Stress, Überforderung und Müdigkeit laugen den Körper aus und können zu psychischen und körperlichen Leiden wie Schlafstörungen, Rückenschmerzen, Migräne, Depressionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Das Burnout-Syndrom gilt zwar offiziell nicht als Krankheit – dennoch leiden Menschen aller Berufsgruppen unter physischer und psychischer Erschöpfung, wenn sie beruflich zu stark gefordert sind.

Das steht auch im Einklang mit einer Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aus dem Jahr 2017, in der sich Arbeitnehmer im Schnitt eine Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche wünschten. Das ist vor allem bei Vollzeitbeschäftigten der Fall, die oft länger arbeiten, als in ihrem Vertrag vereinbart ist. Menschen, die wenig verdienen oder in Teilzeit arbeiten, wollen ihre Stundenzahl hingegen tendenziell eher erhöhen. Häufig gehen sie mehreren Jobs nach, um sich und ihre Familie ernähren zu können.

Mehr Geld macht nicht immer glücklicher

Ist es am Ende also auch eine Frage des Gehalts, wie zufrieden wir mit unserem Arbeitspensum sind? Tatsächlich nimmt unser Wohlbefinden mit steigendem Einkommen zu – allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Das belegt eine Studie, die der Ökonom und Nobelpreisträger Angus Deaton 2010 zusammen mit dem Psychologen Daniel Kahneman veröffentlichte. Für ihre Untersuchung befragten die beiden Wissenschaftler ein Jahr lang täglich rund 1000 US-Bürger per Telefon zu deren finanzieller Situation und zur Stimmung am vorangegangenen Tag. Als sie die Zufriedenheitswerte der Teilnehmer gegen das jeweilige Einkommen auftrugen, erkannten sie, dass Personen, die mehr Geld hatten, zwar glücklicher waren – jedoch nur bis zu einem Jahreseinkommen von etwa 75 000 Dollar (umgerechnet derzeit etwa rund 67 000 Euro). Deaton meint: »Vielleicht ist das die Schwelle, über der es Menschen nicht mehr möglich ist, das zu tun, was für das emotionale Wohlbefinden am meisten zählt: Zeit mit der Familie verbringen, Krankheit und Schmerz vermeiden oder die freie Zeit genießen.«

Wie viel Arbeit wir uns wünschen – und wie viel wir haben | Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA) befragte insgesamt etwa 8000 Vollzeit- (oben) und Teilzeitarbeitnehmer (unten) zu ihrer gewünschten, vereinbarten und tatsächlichen Arbeitszeit. Die Zahlen aus dem Jahr 2017 geben jeweils die Arbeitsstunden pro Woche an.

Geld gegen Freizeit einzutauschen, kann deshalb für viele ein guter Deal sein. Das zeigt zum Beispiel eine Studie von Ashley Whillans von der Harvard Business School, in der Menschen, die ihr Einkommen für Dienstleister wie Haushaltshilfen, Gärtner oder Ähnliches ausgaben, zufriedener waren als Personen, die alle anfallenden Aufgaben selbst erledigten – unabhängig davon, wie viel sie jeweils verdienten.

Arbeitsfreie Zeit aktiv gestalten

Ähnlich wie ein hohes Einkommen kann allerdings auch arbeitsfreie Zeit irgendwann seinen Reiz verlieren – wenn wir keinen Weg finden, sie sinnvoll zu nutzen. Darauf deutet unter anderem eine Metastudie aus dem Jahr 2017 hin: Demnach sind Menschen umso zufriedener, je aktiver sie in ihrer freien Zeit sind. Freunde zu treffen, Sport zu treiben und zu verreisen, macht uns offenbar eher glücklich, als im Internet zu surfen oder fernzusehen. Zum gleichen Schluss kamen Claudia Schmiedeberg von der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Jette Schröder vom Mannheimer Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, nachdem sie Daten des deutschen Beziehungs- und Familienpanels »pairfam« ausgewertet hatten. Für die Studie befragen Forscher seit 2008 immer wieder 12 000 zufällig ausgewählte Personen – unter anderem zu ihren Freizeitaktivitäten. Wer mehr als drei Stunden am Tag im Internet oder vor dem Fernseher verbrachte, so das Ergebnis der Wissenschaftlerinnen, fühlte sich nicht so glücklich wie Personen, die aktiveren Freizeitbeschäftigungen nachgingen.

»Untätigkeit ist nicht gleich Freizeit«
Volker Faust, Neurologe

Wie viel freie Zeit uns glücklich macht, ist sicherlich individuell verschieden. So bedeutet Freizeit für Arbeitslose etwa meist etwas völlig anderes als für Erwerbstätige, wie Studien zeigen. »Man kann nicht gegen seinen Willen ausspannen – und zwar endlos«, sagt Volker Faust, Neurologe und Autor des Internetportals »Psychosoziale Gesundheit«. Was im Übermaß vorhanden ist, verliert an Wert. Außerdem fehle Betroffenen oft die Kraft, etwas zu unternehmen. »Untätigkeit ist nicht gleich Freizeit«, so Faust.

Flexibler und weniger arbeiten – das geht

Das Team um Kamerade und Burchell plädiert deshalb für flexible Gestaltungsmöglichkeiten, gelegentliche »Fünf-Tages-Wochenenden« und kurze Arbeitstage, die nur ein paar Stunden dauern. Selbst wenn das nicht möglich ist, könnten flexiblere Arbeitszeiten und -modelle wie Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit jedem persönlich helfen, seine Arbeitszeiten möglichst so anzupassen, dass das Wohlbefinden nicht allzu sehr darunter leidet.

Flexiblere Arbeitszeiten wirken sich positiv auf die Gesundheit aus | Arbeitnehmer, die viel Einfluss auf Beginn und Ende ihrer Arbeit haben (in Dunkelblau), sind seltener von gesundheitlichen Beschwerden wie Rückenschmerzen und Schlafstörungen betroffen als Beschäftigte, die über wenig Flexibilität verfügen (in Hellblau). Die Daten stammen aus einem Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA) aus dem Jahr 2016, für den etwa 18 000 Beschäftigte befragt wurden.

Die IT-Beratungsfirma codecentric setzt beispielsweise bereits seit ihrer Gründung im Jahr 2005 auf Vertrauensarbeitszeit. Es gäbe zwar Zielgrößen, wie viele Stunden man für einen Kunden am Projekt arbeiten solle, aber keine Stechuhr, schreibt das Unternehmen, das inzwischen über 500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zählt, auf seiner Homepage. »Nicht alle Menschen funktionieren bei einer Arbeitszeit von 9 bis 17 Uhr optimal«, sagt Mitarbeiter Sascha Massaneck. Elke Törkel, eine weitere Mitarbeiterin, meint: »Dass ich frei entscheiden kann, wie ich meine Zeit sinnvoll einsetze, ermöglicht echte Work-Life-Balance und ›quality time‹ für die Familie.«

Dass die Mitarbeiter damit zufriedener und motivierter sind, spüren wohl auch die Arbeitgeber. So bieten mittlerweile große Konzerne ebenfalls immer mehr Flexibilität. Anfang 2014 hat der Autobauer BMW als einer der Ersten das Konzept »Mobilarbeit« eingeführt. Damit ist es Mitarbeitern beispielsweise möglich, morgens von zu Hause aus zu arbeiten, dann einen Termin beim Arzt wahrzunehmen und anschließend ins Büro zu gehen. Solche Konzepte sind inzwischen in vielen Firmen gang und gäbe. Laut einer Studie des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel liefern Unternehmen, die ihren Beschäftigten mehr Auswahl bei Arbeitszeit und -ort lassen, um 11 bis 14 Prozent bessere Ergebnisse. Man müsse jedoch aufpassen, dass man von unterwegs oder im Homeoffice nicht mehr arbeite als vereinbart, warnen Gewerkschafter und Anwälte für Arbeitsrecht. Denn viele Menschen, die von zu Hause aus arbeiten, können schwerer zwischen Freizeit und Arbeitszeit trennen – und schieben so im Schnitt 2,5 Überstunden pro Woche.

Aber auch Arbeitsmodelle, bei denen die Beschäftigten zwar weniger arbeiten, aber immer noch genügend verdienen, sind längst keine Utopie mehr. Bei einigen Firmen etwa in den USA und Schweden ist das bereits Realität. Im November 2017 führte die Bielefelder Kommunikationsagentur Rheingans Digital Enabler als erstes deutsches Unternehmen eine 25-Stunden-Woche ein. Die rund 15 Mitarbeiter arbeiten nur noch fünf Stunden täglich – bei gleichem Lohn. Zwar gäbe es aktuell noch keine fixen Zahlen, anhand derer sich der Erfolg des Fünf-Stunden-Arbeitstags messen ließe, erklärt Janine Kunz, Pressesprecherin des Unternehmens. Geschäftsführer Lasse Rheingans sei aber sehr zufrieden. Auch das Feedback der Mitarbeiter ist laut Kunz weitestgehend positiv. Der Fünf-Stunden-Tag sei ein ständiger Prozess, und alle müssten hinter dem Konzept stehen, damit es funktioniert. In der wertvollen Lebenszeit, die man gewinne, läge jedoch eine große Motivation.

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