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Sexualverhalten: Wie Weibchen zu Hyänen werden

Nur wenige große Säugetiere haben einen ähnlich schlechten Leumund wie die Hyäne: Sie delektiert sich gerne an Aas, kommuniziert mit Gänsehaut auslösendem Gelächter und umgibt sich vorzugsweise mit einem etwas eigenwilligen Odeur. Als Mütter gönnen sie ihren Sprösslingen jedoch eine wertvolle Mitgift: eine Dosis Hormone für die Macht.
Mutterhyäne mit Nachwuchs
Zu den Klassikern der zoologischen Literatur zählt natürlich das "Tierleben" des unvergessenen Alfred Edmund Brehm aus dem thüringischen Renthendorf bei Neustadt an der Orla. Allerdings weniger wegen des wissenschaftlichen Gehalts des Werks als wegen der überaus blumigen Sprache, in der die Artbeschreibungen vorliegen. Denn sie lehnt sich zwar durchaus auch an den Stand der Zoologie im 19. Jahrhundert an, ist sich aber keinesfalls für menschliche Wertungen zu schade.

Früh übt sich | Früh übt sich, wer einmal ein richtiges Alpha-Weibchen werden möchte: Der Nachwuchs von Rudelführerinnen ist aggressiver, muskulöser und sexuell aktiver als jener von nachrangigen Tieren.
In diesem Sammelsurium edler und weniger edler Vertreter des Tierreichs darf die Hyäne ebenfalls nicht fehlen. Was schreibt also Brehm über sie? Ein Auszug: "Zudem sind alle Hyänen Nachttiere, haben eine kreischende oder wirklich grässlich lachende Stimme, zeigen sich gierig, gefräßig, verbreiten einen üblen Geruch und haben nur unedle, fast hinkende Bewegungen: kurz, man kann sie unmöglich schön nennen."

Und fürwahr, die in Afrika und – im Falle der Streifenhyäne (Hyaena hyaena) – auch in Teilen Asiens lebenden Karnivoren legen in der Regel ein eher seltsam anmutendes Verhalten an den Tag: So suhlen sich die Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta) gerne in verwesendem Fleische, denn je mehr sie stinken, desto höher steigen sie im Kurs ihrer Kumpanen. In den Savannen Ostafrikas führen sie regelrechte Kriege gegen Löwen, deren Nachwuchs sie töten, wenn sich die Gelegenheit bietet. Und eventuell tragen sie ihr Scherflein zum Aussterben der Wildhunde bei, denen sie die Beute bevorzugt abjagen und die heute dort besonders selten sind, wo die Hyänen prosperieren.

Zudem – und das ist außergewöhnlich für Rudel bildende Beutegreifer – haben die Tiere die Rollenverteilung umgekehrt: Ein Weibchen ist – Verzeihung – der Herr im Ring und führt die Gruppe an. Die Alpha-Hyäninnen sind größer, aggressiver und durchsetzungsstärker, wenn es an die Verteilung der Beute geht, als jedes Männchen. Ja, sie haben sogar eine Art Scheinpenis, der selbst versierte Beobachter zumindest aus der Ferne vor Identifikationsprobleme stellt. Die Klitoris der Tiere ist verlängert und ragt weit aus dem Körperinneren heraus.

Hormoncocktail als Mitgift | Die Alpha-Weibchen geben ihrem Nachwuchs nicht nur Mutterliebe mit auf den Weg, sie statten ihn auch mit einer Extraportion männlicher Hormone aus – und verschaffen ihnen damit einen Startvorteil im Leben.
Diese anatomische Besonderheit steht aber womöglich mit einer weiteren Eigentümlichkeit der Tüpfelhyänen in Zusammenhang, die nun von Biologen um Stephanie Dloniak von der Michigan State University in East Lansing aufgedeckt wurde. Sie beobachten seit mehr als zwanzig Jahren ein über die Zeit stabiles Matriarchat der Art im kenianischen Massai-Mara-Reservat und legten ihren Fokus dabei unter anderem auf den Fortpflanzungserfolg der Weibchen sowie den Werdegang der jeweiligen Nachkommen.

Bei den Hyänen ist es nun nicht so, dass sich nur das Alpha-Weibchen mit Männern einlässt, sondern dies dürfen auch andere feminine Parts des bis zu sechzig Kopf starken Rudels. Damit bekommt der Nachwuchs des Leitweibchens jedoch in der eigenen Sippschaft unvorteilhafte Konkurrenz, was wiederum nicht im Sinne der Mutter liegen kann. Doch wie Dloniak und ihre Kollegen notierten, verhalten sich die Zöglinge des Alpha-Weibchens bereits bald nach der Geburt statusgemäß: Sie sind aggressiver, robuster und zeigen bereits während der Kindheit ein deutlich sexualisierteres Gebaren – in Form etwa von spielerischem Besteigen gleichaltriger Artgenossen – als die Jungen von Subalternen. Ihre Chancen zu überleben und selbst einmal die Rudelführung zu übernehmen, liegen also beträchtlich höher als bei ihren Konkurrenten.

Woher kommt aber dieser Startvorteil? Werden sie besser versorgt als ihre Kameraden? Liegt es an einer wie auch immer gearteten unterschiedlichen Erziehung? Saugen sie dieses Statusdenken bereits mit der Muttermilch auf? Letzteres kommt der Wahrheit schon ziemlich nahe, denn nach den Nachforschungen der Wissenschaftler gibt das Alpha-Weibchen ihren potenziellen Alpha-Kindern bereits im Mutterleib die entsprechende Hormondosis für Imponiergehabe und Durchsetzungsstärke mit auf den Weg.

Hyänen-Klitoris | Weibliche Tüpfelhyänen haben als anatomische Besonderheit eine verlängerte Klitoris, die wie eine Art Penis aus ihrem Unterleib ragt. Um die Weibchen zu begatten, müssen die Männchen den exakten Paarungswinkel treffen.
In denen von ihnen analysierten Kotproben wiesen gerade die Häufchen der Alpha-Weibchen in den letzten Wochen der Schwangerschaft deutlich erhöhte Werte von Androgenen auf – einem Mix männlicher Geschlechtshormone, der die Entwicklung von Muskeln steuert und Aggressivität wie Sexualverhalten beeinflusst. Über die Plazenta wird er von der Mutter an die Ungeborenen weitergegeben, wobei männliche wie weibliche Junge davon gleichermaßen profitieren.

Leisten können sich die Alpha-Weibchen diesen Zuschuss, weil sie wegen ihrer Kraft selbst im schwangeren Zustand noch sehr robust am Kadaver auftreten und somit mehr nahrhaftes Fleisch ergattern als ihre Konkurrentinnen. Die hormonbedingte zukünftige Durchsetzungsstärke und Verdrängungskraft der Jung-Frauen wird aber gleichzeitig mit der anatomischen Veränderung der Klitoris teuer erkauft, denn Paarung und Geburt werden durch deren Verlängerung bedeutend erschwert.

Nach Ansicht von Dloniaks Team könnten die erhöhten Hormongaben jedoch nicht nur Teil des Problems, sondern auch dessen Lösung sein. Da sich die männlichen Nachkommen der Rudelführerinnen bereits in früher Kindheit im Paaren üben, erlernen sie eher die Finessen der komplizierten Begattung und sind so später erfolgreicher im Kinder zeugen. Das Eindringen in die Klitoris gelingt nämlich nur, wenn das Männchen beim Besteigen exakt den richtigen Winkel trifft.

Die oberste Mutter der Kompanie sorgt also mit ihrer hormonellen Mitgift nicht nur für eine Wahrung der weiblichen Hackordnung, sondern auch dafür, dass bevorzugt ihre Söhne zur Weitergabe der Herrschaftslinie schreiten können? Was Alfred Edmund Brehm wohl zu dieser ganz speziellen Art von Emanzipation gesagt hätte?

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