Genetik: Wieder die alte Leier
Ohne väterliches Vorbild singen Zebrafinken schief. Zwitschern sie dann ihrem eigenen Nachwuchs vor, dürfte der es eigentlich auch nicht besser lernen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Ohne je das Original gehört zu haben, pfeifen die Finken auf einmal richtig.
Ein bisschen wirkt es wie "Stille Post" – aber auf den Kopf gestellt: Stellen Sie sich fünf musikalisch völlig unbedarfte Leute vor, die an ihren linken Nachbarn weitergeben, was ihnen der rechte ins Ohr gesummt hat. Doch anstatt ein vorgesungenes Lied bis zur Unkenntlichkeit zu verzerren, gibt hier der letzte in der Reihe "Alle Vöglein sind schon da" zum Besten.
So in etwa soll abgelaufen sein, was das Team um die Biologin Olga Fehér von der City University of New York beobachtet hat: Ihr Studienobjekt, der Zebrafink (Taeniopygia guttata), ist wegen seines putzigen Äußeren, vor allem aber wegen seiner Gesangskünste bei Vogelforschern und -haltern gleichermaßen beliebt. Wächst er allerdings ohne das Pfeifen seines Vaters und Onkels als Vorbild auf, klingt sein Zwitschern monoton, unrhythmisch und überhaupt nicht, wie bei seinen wild lebenden Artgenossen. Fehér und Kollegen isolierten junge Männchen und protokollierten dann anhand einer Anzahl akustischer Parameter, wie schräg genau sie sangen.
Deren Nachwuchs ließen die Forscher anschließend ausschließlich ihre sängerisch minderbemittelten Väter hören und beobachteten, was passieren würde. Eigentlich, so die Annahme, sollten sie mindestens genauso unharmonisch singen wie ihre Erzeuger. Zu ihrem eigenen Erstaunen mussten die Forscher jedoch feststellen, dass die Söhne zwar ihre Väter imitierten, dabei aber kleine Korrekturen vornahmen: Die akustischen Parameter lagen messbar näher am Zebrafinken-Original als noch ihr Vorbild. Dabei hatten die Söhne nie zuvor gehört, wie sich ein Zebrafink in Freiheit üblicherweise anhört. Doch damit nicht genug, der Prozess setzte sich über die Folgegeneration fort: "Wir waren überrascht, wie schnell sie wieder beim Gesang des Wildtyps angekommen waren", berichtet Fehér. Im Allgemeinen habe dieser Vorgang nur drei bis vier Generationen in Anspruch genommen.
Keinen Unterschied machte es, wenn die Finken zusätzlich die Gesänge von Geschwistern aus dem gleichen Nest hörten oder Feedback von umworbenen Weibchen bekamen. Das ergab sich bei einem zweiten Experiment, in dem die Forscher einem isoliert aufgewachsenen Troubadix zugestanden hatten, seinen Käfig als Stammvater einer mehrere Generationen umfassenden Kolonie zu bevölkern.
Fehér und Kollegen gelang es, verschiedene Mechanismen zu identifizieren, die beim Imitieren eine Rolle spielen und für die schrittweise Drift zurück zum Urzustand verantwortlich sind. Jungmännchen erfanden in aller Regel keine der "Silben" genannten Tonfolgen neu. Stattdessen verkürzten sie die gehörten immer mehr, sie imitierten deren Häufigkeit nur dann, wenn sie in einem wildtyp-gemäßen Rahmen lag, und sie adaptierten die Klangfarbe in einer Weise, dass sie vom Vorbild zu Gunsten des allgemein üblichen Zebrafinkenoriginals abwich. Offen lassen die Wissenschaftler, ob hier angeborene Klangvorlieben zum Tragen kommen oder ob sich die Art und Weise, wie gelernt wird, im Endprodukt niederschlägt – bestimmte Tonverläufe mögen beispielsweise schlichtweg einprägsamer sein als andere.
Mit ihren Befunden erklären die Wissenschaftler, wieso es in Zebrafinkenpopulationen zu einer Art kulturellen Weitergabe von "Gesangsdialekten" kommen kann: Teile des Zebrafinkengezwitschers werden durch Vererbung bedingt, andere Aspekte sind dagegen offen für eine Prägung durch die Umwelt. So kann das Liedgut von Kolonie zu Kolonie variieren und gleichzeitig immer noch nach Zebrafink klingen. Das entspräche einem "Multigenerationen-Phänotyp", der mehrere Generationen für seine Ausbildung benötige, wie die Forscher es nennen.
Da liegt der Vergleich mit den Traditionen und Sprachen der Menschen natürlich in der Luft. Fehér und Kollegen weisen unter anderem auf Gehörlose in Nicaragua hin, die – völlig ohne Anleitung und innerhalb kurzer Zeit – eine funktionierende Zeichensprache inklusive komplettem Regelwerk entwickelt haben. Auch hier wäre möglich, dass der angeborene Teil unserer Sprachfähigkeit den Rahmen dessen absteckt, was überhaupt gelernt, verwendet und weitergetragen werden kann. Am Ende ähneln sich deshalb alle Sprachen, ohne identisch zu sein.
So gesehen ist der Vergleich mit dem umgekehrten Stille-Post-Spiel dann vielleicht gar nicht mehr so treffend: Denn es nicht zu erwarten, dass am Ende der Reihe ein ganz bestimmtes Lied herauskommt. Nimmt man aber einmal an, die Natur hätte über Jahrhunderte hinweg den Deutschen bestimmte musikalische Vorlieben in die Gene geschrieben – dann wäre es vielleicht gar nicht mehr so überraschend, wenn eine willkürliche Tonfolge am Ende immer irgendwie nach Marschmusik in C-Dur klänge.
So in etwa soll abgelaufen sein, was das Team um die Biologin Olga Fehér von der City University of New York beobachtet hat: Ihr Studienobjekt, der Zebrafink (Taeniopygia guttata), ist wegen seines putzigen Äußeren, vor allem aber wegen seiner Gesangskünste bei Vogelforschern und -haltern gleichermaßen beliebt. Wächst er allerdings ohne das Pfeifen seines Vaters und Onkels als Vorbild auf, klingt sein Zwitschern monoton, unrhythmisch und überhaupt nicht, wie bei seinen wild lebenden Artgenossen. Fehér und Kollegen isolierten junge Männchen und protokollierten dann anhand einer Anzahl akustischer Parameter, wie schräg genau sie sangen.
Deren Nachwuchs ließen die Forscher anschließend ausschließlich ihre sängerisch minderbemittelten Väter hören und beobachteten, was passieren würde. Eigentlich, so die Annahme, sollten sie mindestens genauso unharmonisch singen wie ihre Erzeuger. Zu ihrem eigenen Erstaunen mussten die Forscher jedoch feststellen, dass die Söhne zwar ihre Väter imitierten, dabei aber kleine Korrekturen vornahmen: Die akustischen Parameter lagen messbar näher am Zebrafinken-Original als noch ihr Vorbild. Dabei hatten die Söhne nie zuvor gehört, wie sich ein Zebrafink in Freiheit üblicherweise anhört. Doch damit nicht genug, der Prozess setzte sich über die Folgegeneration fort: "Wir waren überrascht, wie schnell sie wieder beim Gesang des Wildtyps angekommen waren", berichtet Fehér. Im Allgemeinen habe dieser Vorgang nur drei bis vier Generationen in Anspruch genommen.
Keinen Unterschied machte es, wenn die Finken zusätzlich die Gesänge von Geschwistern aus dem gleichen Nest hörten oder Feedback von umworbenen Weibchen bekamen. Das ergab sich bei einem zweiten Experiment, in dem die Forscher einem isoliert aufgewachsenen Troubadix zugestanden hatten, seinen Käfig als Stammvater einer mehrere Generationen umfassenden Kolonie zu bevölkern.
Fehér und Kollegen gelang es, verschiedene Mechanismen zu identifizieren, die beim Imitieren eine Rolle spielen und für die schrittweise Drift zurück zum Urzustand verantwortlich sind. Jungmännchen erfanden in aller Regel keine der "Silben" genannten Tonfolgen neu. Stattdessen verkürzten sie die gehörten immer mehr, sie imitierten deren Häufigkeit nur dann, wenn sie in einem wildtyp-gemäßen Rahmen lag, und sie adaptierten die Klangfarbe in einer Weise, dass sie vom Vorbild zu Gunsten des allgemein üblichen Zebrafinkenoriginals abwich. Offen lassen die Wissenschaftler, ob hier angeborene Klangvorlieben zum Tragen kommen oder ob sich die Art und Weise, wie gelernt wird, im Endprodukt niederschlägt – bestimmte Tonverläufe mögen beispielsweise schlichtweg einprägsamer sein als andere.
Mit ihren Befunden erklären die Wissenschaftler, wieso es in Zebrafinkenpopulationen zu einer Art kulturellen Weitergabe von "Gesangsdialekten" kommen kann: Teile des Zebrafinkengezwitschers werden durch Vererbung bedingt, andere Aspekte sind dagegen offen für eine Prägung durch die Umwelt. So kann das Liedgut von Kolonie zu Kolonie variieren und gleichzeitig immer noch nach Zebrafink klingen. Das entspräche einem "Multigenerationen-Phänotyp", der mehrere Generationen für seine Ausbildung benötige, wie die Forscher es nennen.
Da liegt der Vergleich mit den Traditionen und Sprachen der Menschen natürlich in der Luft. Fehér und Kollegen weisen unter anderem auf Gehörlose in Nicaragua hin, die – völlig ohne Anleitung und innerhalb kurzer Zeit – eine funktionierende Zeichensprache inklusive komplettem Regelwerk entwickelt haben. Auch hier wäre möglich, dass der angeborene Teil unserer Sprachfähigkeit den Rahmen dessen absteckt, was überhaupt gelernt, verwendet und weitergetragen werden kann. Am Ende ähneln sich deshalb alle Sprachen, ohne identisch zu sein.
So gesehen ist der Vergleich mit dem umgekehrten Stille-Post-Spiel dann vielleicht gar nicht mehr so treffend: Denn es nicht zu erwarten, dass am Ende der Reihe ein ganz bestimmtes Lied herauskommt. Nimmt man aber einmal an, die Natur hätte über Jahrhunderte hinweg den Deutschen bestimmte musikalische Vorlieben in die Gene geschrieben – dann wäre es vielleicht gar nicht mehr so überraschend, wenn eine willkürliche Tonfolge am Ende immer irgendwie nach Marschmusik in C-Dur klänge.
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