Vokalisen: Was Hänschen lernt
Manch liebestoller Mann schmettert gerne einmal Arien unter dem Fenster der Angebeteten. Nicht immer trifft er dabei den richtigen Ton - ein Problem, das durchaus auch bei Vögeln vorkommen kann. Doch die kleinen Piepmätze wissen sich zu helfen.
Kanarienvögel zählen zu den stimmgewaltigsten und ansprechendsten Sängern unter den gefiederten Freunden des Menschen, der ihresgleichen in einem Jahrhunderte währenden Ausleseverfahren vom eher unscheinbaren – wenngleich ebenfalls lauthals tirilierenden – Kanarengirlitz (Serinus canaria) zum heutigen Harzer Roller und zig anderen bunten wie fröhlich pfeifenden Zuchtformen veredelt hat. Doch die Gesangsfreunde zwitschern eigentlich nicht zur reinen Freude ihrer Halter, sondern vielmehr um damit die Dame ihres Herzens zu betören.
Das wohl tönende Flöten und Trillern, das heitere Plätschern, Summen und Quietschen der "Tiühs", Twi-wi-wi-wis" und "Tit-ti-türrs" soll in der potenziellen Braut den Mutterinstinkt wecken und sie von einer frenetischen Insektenjägerin und Samensammlerin zur liebevollen Lebensspenderin wie Betreuerin des eigenen Nachwuchses werden lassen. Allerdings kommt der Freier dabei schnell in Kalamitäten, wenn sich seine Balzmelodie in den Ohren des Weibchens in Dissonanzen auflöst: Dann bleibt dem Männchen der Schnabel leer, und es darf sein Genmaterial nicht weitergeben.
Eine klassische Liedzeile des Vogels besteht dann nach Abschluss des Lernprozesses aus kurzen, stereotypen Silben, die zu jeweils gleich lautenden Strophen zusammengesetzt werden – etwa AAAAA, BBBBB und CCCCC. Eine Kombination verschiedener Strophen ergibt dann im Gesamten das Liedgut des liebestollen Männchens. Was aber passiert, wenn die Jungtiere ohne Kontakt zu ihresgleichen aufwachsen und dabei jedoch vollkommen artfremde Gesänge hören?
Zu diesem Zweck separierten die Forscher 16 junge Kanarienmännchen und beschallten zehn von ihnen ein Jahr lang täglich alle zwei Stunden mit einem Computerlied, das überhaupt nichts vom normalen Crescendo ihrer Verwandten hatte: Es wies keine Wiederholungen auf und war eine reine Aneinanderreihung einzelner Silben, die eine Strophe im ABCDE-Format ergab und von Gardner als "Random Walk" bezeichnet wurde. Die restlichen sechs mussten sich dagegen zum Vergleich eine gleichsinnige Melodie – das "Glissendo" – anhören, die aus identischen Einheiten bestand, deren Länge jedoch pro Strophe leicht abnahm wie AAAAA AAAA AAA.
Gleichzeitig nahmen die Wissenschaftler die Imitationen des Nachwuchses auf und werteten anschließend pro Vogel etwa 15 000 Gesangsstücke aus. Von den zehn "Random Walkern" konnten immerhin sechs mehr als zehn Sekunden ihres Hörspiels perfekt nachträllern – eine erstaunliche Leistung, da Kanarienvögel normalerweise nur 2,7 Sekunden lange Lieder komponieren. Über mehrere Monate hinweg übten sie sich an den künstlichen Vorbildern und sangen dann lange Litaneien an kopierten Melodien – ganz im Kontrast zum natürlichen Gang der Dinge, bei dem Jungvögel sich im Alter von zwei Monaten eigenes Liedgut basteln.
Doch nach acht bis zehn Monaten kamen die Jungspunde in die Pubertät, und alles wurde anders. Beide Vergleichsgruppen stellten ihre Gesänge um, sie ließen einige der erlernten Silben des Random Walks oder des Glissendos fallen und griffen an ihrer Stelle immer wieder die übrig gebliebenen auf: Aus einem künstlichen Lied wurde ein artgerechter Kanarienchanson, der auch die auserwählte Braut beeindrucken könnte – ein zweiter, unabhängiger Gesangsmechanismus setzte ein. Diese Transformation von der wilden Jugend zum geregelten Erwachsenendasein vollzog sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und nicht bei allen gleich ausführlich. Mit der Gabe von Testosteron konnten die Forscher den Prozess allerdings beschleunigen.
Auch im Erwachsenenalter pfiffen die Tiere jedoch dann und wann noch die alten Lieder – vor allem jene aus der Glissando-Gemeinschaft. Gardner und seine Kollegen schließen daraus, dass im Vogelgehirn beim Singen zwei unterschiedliche Prozesse beteiligt sein können: ein Lernprogramm in der Jugend und eine innere – genetisch vorgegebene – Gesangseinstellung für das Erwachsenenalter, welche die Männchen schließlich die richtigen Töne treffen lässt. Dieses Umschalten erinnerte die Forscher an die Flexibilität menschlicher Lautgebung und die Lernfähigkeit von Fremdsprachen.
Es ist also nichts verloren, wenn Ihre Kinder Opas jungen Kanarienvögeln den neuesten Handy-Klingelton beigebracht haben und statt fröhlichem Gezwitscher nun der "Verrückte Frosch" aus dem Käfig rockt. Denn was Hänschen hier lernte, gilt für Hansi nimmermehr: Es muss nur ein paarungswilliges Weibchen in seine Nähe kommen.
Das wohl tönende Flöten und Trillern, das heitere Plätschern, Summen und Quietschen der "Tiühs", Twi-wi-wi-wis" und "Tit-ti-türrs" soll in der potenziellen Braut den Mutterinstinkt wecken und sie von einer frenetischen Insektenjägerin und Samensammlerin zur liebevollen Lebensspenderin wie Betreuerin des eigenen Nachwuchses werden lassen. Allerdings kommt der Freier dabei schnell in Kalamitäten, wenn sich seine Balzmelodie in den Ohren des Weibchens in Dissonanzen auflöst: Dann bleibt dem Männchen der Schnabel leer, und es darf sein Genmaterial nicht weitergeben.
Wie jetzt jedoch ein Experiment von Verhaltensforschern um Timothy Gardner von der New Yorker Rockefeller-Universität erbrachte, können sich Kanarienvögel in diesem Problemfall rasch umstellen. Auslöser für diese Studie waren Gerüchte über Kanarien, die wie Zebrafinken singen sollen – eine Stimmenimitation, die man von diesen Girlitzverwandten bislang noch nicht kannte. Unter normalen Umständen erlernen die Kanarienvögel ihre Strophen durch Kopieren nahe singender Artgenossen, und selbst isoliert aufwachsende Küken ohne Vorbilder entwickeln ein typisches – wenngleich schmäleres – Gesangsrepertoire, was auf eine innere Veranlagung schließen lässt.
Eine klassische Liedzeile des Vogels besteht dann nach Abschluss des Lernprozesses aus kurzen, stereotypen Silben, die zu jeweils gleich lautenden Strophen zusammengesetzt werden – etwa AAAAA, BBBBB und CCCCC. Eine Kombination verschiedener Strophen ergibt dann im Gesamten das Liedgut des liebestollen Männchens. Was aber passiert, wenn die Jungtiere ohne Kontakt zu ihresgleichen aufwachsen und dabei jedoch vollkommen artfremde Gesänge hören?
Zu diesem Zweck separierten die Forscher 16 junge Kanarienmännchen und beschallten zehn von ihnen ein Jahr lang täglich alle zwei Stunden mit einem Computerlied, das überhaupt nichts vom normalen Crescendo ihrer Verwandten hatte: Es wies keine Wiederholungen auf und war eine reine Aneinanderreihung einzelner Silben, die eine Strophe im ABCDE-Format ergab und von Gardner als "Random Walk" bezeichnet wurde. Die restlichen sechs mussten sich dagegen zum Vergleich eine gleichsinnige Melodie – das "Glissendo" – anhören, die aus identischen Einheiten bestand, deren Länge jedoch pro Strophe leicht abnahm wie AAAAA AAAA AAA.
Gleichzeitig nahmen die Wissenschaftler die Imitationen des Nachwuchses auf und werteten anschließend pro Vogel etwa 15 000 Gesangsstücke aus. Von den zehn "Random Walkern" konnten immerhin sechs mehr als zehn Sekunden ihres Hörspiels perfekt nachträllern – eine erstaunliche Leistung, da Kanarienvögel normalerweise nur 2,7 Sekunden lange Lieder komponieren. Über mehrere Monate hinweg übten sie sich an den künstlichen Vorbildern und sangen dann lange Litaneien an kopierten Melodien – ganz im Kontrast zum natürlichen Gang der Dinge, bei dem Jungvögel sich im Alter von zwei Monaten eigenes Liedgut basteln.
Doch nach acht bis zehn Monaten kamen die Jungspunde in die Pubertät, und alles wurde anders. Beide Vergleichsgruppen stellten ihre Gesänge um, sie ließen einige der erlernten Silben des Random Walks oder des Glissendos fallen und griffen an ihrer Stelle immer wieder die übrig gebliebenen auf: Aus einem künstlichen Lied wurde ein artgerechter Kanarienchanson, der auch die auserwählte Braut beeindrucken könnte – ein zweiter, unabhängiger Gesangsmechanismus setzte ein. Diese Transformation von der wilden Jugend zum geregelten Erwachsenendasein vollzog sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und nicht bei allen gleich ausführlich. Mit der Gabe von Testosteron konnten die Forscher den Prozess allerdings beschleunigen.
Auch im Erwachsenenalter pfiffen die Tiere jedoch dann und wann noch die alten Lieder – vor allem jene aus der Glissando-Gemeinschaft. Gardner und seine Kollegen schließen daraus, dass im Vogelgehirn beim Singen zwei unterschiedliche Prozesse beteiligt sein können: ein Lernprogramm in der Jugend und eine innere – genetisch vorgegebene – Gesangseinstellung für das Erwachsenenalter, welche die Männchen schließlich die richtigen Töne treffen lässt. Dieses Umschalten erinnerte die Forscher an die Flexibilität menschlicher Lautgebung und die Lernfähigkeit von Fremdsprachen.
Es ist also nichts verloren, wenn Ihre Kinder Opas jungen Kanarienvögeln den neuesten Handy-Klingelton beigebracht haben und statt fröhlichem Gezwitscher nun der "Verrückte Frosch" aus dem Käfig rockt. Denn was Hänschen hier lernte, gilt für Hansi nimmermehr: Es muss nur ein paarungswilliges Weibchen in seine Nähe kommen.
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