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Klimawandel: Wilde Annäherung

Kürzere Winter, wärmere Frühlingsmonate und dazu noch Wachstum ankurbelndes Kohlendioxid aus der Luft - das dürfte Pflanzen früher und ergiebiger sprießen lassen. Manche Spezies aber erweisen sich unter den erwarteten Zukunftsbedingungen eher als Spätzünder. Das bringt ganze Ökosysteme durcheinander.
Jasper Ridge Global Change Experiment
Mutter Natur ist ein perfektes Vorbild in Hauswirtschaftslehre. Schließlich gilt es, mit Vorräten sinnvoll umzugehen. Langten alle gleichzeitig in den Nährstoff-Suppentopf, reichte die Kelle nicht für jeden – und manche würden das nicht überleben. Dafür blieben anderntags Reste übrig, weil alles müde abwinkte und längst schon an ruhigere Zeiten denken würde. Aus ökonomischer Sicht schlechte Planung.

Viel besser funktioniert das Zusammenleben, wenn die Lebensgenossen ihren Bedarf zeitlich staffeln. Statt dass also im Mai Gänseblümchen, Löwenzahn und Co gleichzeitig blühen und Nährstoffe aus dem Boden saugen, beeilt sich der eine, und der andere geduldet sich ein bisschen. So ist der Tisch immer für alle ausreichend gedeckt.

Das Konzept sollte auch funktionieren, wenn es wärmer wird – nur eben ein bisschen früher im Jahr. Manche Studien allerdings machten hellhörig: Zwar blühten unter experimentell herbeigeführten Zukunfts-Umgebungsbedingungen tatsächlich viele Arten einige Tage vor ihrer üblichen Zeit. Andere aber begannen zu trödeln.

Jasper Ridge Global Change Experiment | Um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Pflanzenwelt abzuschätzen, versuchen Wissenschaftler wie hier beim Jasper Ridge Global Change Experiment die erwarteten Zukunftsbedingungen experimentell nachzustellen: Sie belüften Felder mit kohlendioxidangereicherter Luft, stellen Heizstrahler auf oder düngen zusätzlich.
Ein Bild, das sich auch Elsa Cleland von Universität von Kalifornien in Santa Barbara und ihren Kollegen bot. Über Jahre hinweg hatten sie die Entwicklung von Gräsern und krautigen Pflanzen auf ihren Versuchsflächen verfolgt. Dabei hatten sie jeweils einige Flächen mit Infrarotstrahlern beheizt, mit Kohlendioxid begast, mit Stickstoffdünger versorgt oder zusätzlich bewässert. Hinzu kamen Areale, auf denen die Forscher alle möglichen Kombinationen dieser erwarteten Folgen des globalen Wandels erkundeten.

Normalerweise blühen im Untersuchungsgebiet erst die Gräser, dann die Kräuter – schön nacheinander, damit sie sich nicht in der Nährstoffversorgung behindern. Das befolgten die Einjährigen, also aus Samen auskeimenden Vertreter, auch unter den Heizstrahlern, nur waren sie zwei bis fünf Tage früher dran. Allein ein mehrjähriges Kraut, ein auch bei uns vorkommender Pippau (Crepis vesicaria), blieb bei seinen Gewohnheiten.

Auch unter Kohlendioxid-Belüftung erblühten die Kräuter wie bei Wärmezufuhr zwei bis vier Tage früher. Die Gräser jedoch verspäteten sich nun um bis zu neun Tage. Einen ähnlichen Effekt hatte die Stickstoff-Düngung, während die zusätzliche Wasserversorgung sich überhaupt nicht auswirkte. Und unter kombinierten Einflüssen kehrte sich das Bild sogar um: Die Nährstoffzufuhr hob den Effekt der höheren Temperaturen, den Blühtermin vorzuverlegen, bei den Gräsern gänzlich auf. Kamen alle vier veränderten Umweltfaktoren zusammen, erblühten die Kräuter im Mittel sogar knapp vor den Gräsern.

Damit aber geriete Mutter Naturs Haushalt in Bedrängnis – insbesondere in Gebieten mit natürlicherweise eingeschränkten Vegetationsperioden. Wenn nun Bewohner, die sich momentan noch nacheinander mit den dort eher knappen Ressourcen begnügen, zu drängeln beginnen, könnten sich ungeahnte Veränderungen in der Artenzusammensetzung ergeben – mit kaum abzuschätzenden Folgen.

Die noch dazu regional sehr unterschiedlich ausfallen dürften. Denn während die Kohlendioxidwerte global recht einheitlich klettern werden, erwarten Forscher bei den steigenden Temperaturen und in der Stickstoff-Versorgung differenzierte Muster. Abhängig davon, worauf Pflanzen ihren Zeitpunkt des Austreibens oder Blühens abstimmen, sehen ihre Reaktionen also ganz anders aus.

Außerdem ist ein weiterer Effekt nicht zu verachten: Diese sich aufhebenden Reaktionen können Prognosen massiv verfälschen. So hatten Cleland und ihre Kollegen mit einem Spektrometer regelmäßig die Reflexion der Pflanzendecke gemessen. Ähnlich gehen Satelliten vor, wenn sie das Ergrünen der Landschaften erfassen – und anhand solcher Daten schätzen Wissenschaftler ab, wie bestimmte Ökosysteme auf den Klimawandel reagieren.

Die in Kalifornien untersuchten Pflanzengesellschaften waren von Gräsern dominiert. Deren verspätetes Erwachen aus dem Winterschlaf konnten Cleland und ihre Mitarbeiter in ihren spektrometrischen Daten tatsächlich erkennen. Wenn sich nun aber die Effekte genau aufheben, weil eine Art früher, die andere dafür später treibt, geraten die eher unscharfen Satellitenaugen an den Rand ihres Könnens: Für sie wird es einfach zum selben Zeitpunkt grün wie früher auch, ein täuschend beruhigendes Ergebnis.

Aus Sicht eines Landwirts allerdings spielt es sehr wohl eine Rolle, wer wann die Blätter streckt – von den anderen Mitgliedern der Lebensgemeinschaft ganz zu schweigen. Statt eines globalen Blicks ist also eine gründliche Betrachtung der Einzelposten unerlässlich. Wie es sich für gute Haushaltsplanung gehört.

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