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Klimawandel: Wo geht's hin?

Die Zahlen schwanken, doch die Botschaft bleibt dieselbe: Es wird wärmer, in manchen Ecken feuchter, in anderen Gebieten trockener, und Extreme werden mehr und mehr zur Regel. Welche Folgen die nackten Zahlen tatsächlich für Mensch und Umwelt haben, und wer besonders leiden wird, versucht eine neue Studie zu beantworten, die Wissenschaftler und Entscheidungsträger an einen Tisch brachte.
Europa aus dem All
Kennen Sie das Spiel Ökolopoly? Entwickelt von dem Biokybernetiker Frederic Vester, führt es beeindruckend vor Augen, dass unsere Welt weit mehr ist als ein einfaches, geradliniges Ursache-Wirkung-System. Ziel ist es, als Staatschef seine politischen Maßnahmen so zu gestalten, dass man an der Macht bleibt – und zwar nicht als Diktator, sondern vom Volk getragen. Kein leichtes Spiel, denn jede Aktion zieht zwangsläufig eine Reihe von Reaktionen nach sich: Wer da unbedacht die Schraube für Produktivität höher dreht, wird plötzlich mit wütenden Untertanen konfrontiert, weil die zunehmenden Umweltschäden das Leben unerträglich machen. Schnell neue, strikte Luftreinhaltungsrichtlinien eingeführt? Die Wirtschaftsbosse danken mit Drosselung der Herstellung, und schon steckt man im Teufelskreis. Die Welt ist nun mal ein komplexes Netz, in dem eine Laufmasche nicht nur eine einzelne Spur, sondern wüste Löcher verursachen kann.

Ähnlich muss es auch realen Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft gehen, die mehr als den kurzfristigen Erfolg und Profit vor Augen haben. Von Seiten der Wissenschaft bekommen sie nüchterne Zahlen auf den Tisch, ausgespuckt von mathematischen Modellen, die möglichst realitätsnah unsere Zukunft zu beschreiben versuchen. Doch was bedeutet ein verändertes Niederschlagsregime für die Landnutzung? Wie wirkt sich der steigende Kohlendioxidgehalt auf die Böden und damit mittelbar auf landwirtschaftliche Erträge aus? Wie stark bedrohen steigende Temperaturen den Wirtschaftsfaktor Tourismus in Wintersportgebieten?

"Es war uns besonders wichtig, Experten aus der Praxis von Anfang an in das Projekt mit einzubeziehen"
(Dagmar Schröter)
Fragen über Fragen, die Dagmar Schröter vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und ihre Kollegen mit ausgewählten Experten aus der Privatwirtschaft und betroffenen öffentlichen Insitutionen diskutierten und zu beantworten suchten. "Es war uns besonders wichtig, Experten aus der Praxis von Anfang an in das Projekt mit einzubeziehen", erklärt Schröter. "Wir wollten sicherstellen, dass die Nutzer unsere Methoden mitentwickeln können, damit unser Verständnis des Mensch-Umwelt-Systems, die untersuchten Problemfelder und die Ergebnispräsentation ihre Adressaten erreichen können."

Also verknüpften die Wissenschaftler verschiedene sozioökonomische und Emissionsszenarien – sie sollten die wirtschaftliche, demografische, technologische und institutionelle Entwicklung widerspiegeln – mit den Ergebnissen gängiger Klimamodelle, welche die üblichen Parameter auf naturwissenschaftlicher Seite wie Temperaturentwicklung, Niederschlagsmuster oder Vegetationsveränderungen vorzeichnen.

Aus der Vielzahl der Einzelergebnisse schält sich heraus, dass in Europa insbesondere der Mittelmeerraum und die Bergregionen von der globalen Erwärmung bedroht sind. In den mediterranen Regionen werden geringere Niederschläge den Anbau von Nahrungsmitteln sowie von Pflanzen zur Energiegewinnung in Bedrängnis bringen. Die Häufigkeit von Waldbränden durch Trockenperioden steigt, und dort typische Pflanzen wie Kork- und Steineiche oder Aleppo- und Seestrandkiefer werden seltener. Das ist nicht nur aus Biodiversitätsgründen bedenklich, sondern auch aus kultureller Sicht: Diese Baumarten gehören untrennbar zur Landschaft, mit der sich die Bewohner identifizieren, sie sind Basis traditioneller Bewirtschaftungsmethoden und spielen eine entscheidende Rolle in der Anziehungskraft jener Gegenden für Touristen.

Schon jetzt lebt etwa die Hälfte der Bevölkerung in den 17 betrachteten Staaten – die 15 EU-Staaten vor der letzten Beitrittsrunde plus Schweiz und Norwegen – in Gebieten mit Wassermangel. In Szenarien, die ein Bevölkerungswachstum voraussetzen, erhöht sich dieser Anteil um weitere zehn bis gut zwanzig Prozent, und für 14 bis 38 Prozent der mediterranen Bevölkerung verschärft sich bis zum Jahr 2080 der Wassermangel erheblich. Als zusätzliches Problem kommt dann noch der steigende Wasserverbrauch durch Bewässerungsprojekte und Tourismus hinzu. Schutzgebiete können hier leider kaum Abhilfe schaffen, gaben die eingeladenen Naturschutz-Sachverständigen zu bedenken: Schon jetzt sei auf Grund der gesetzlichen Regelungen und Eigentumsverhältnisse eine Ausdehnung der Flächen kaum machbar.

"Besonders die Tiere und Pflanzen der Gebirge und des Mittelmeergebietes sind empfindlich; schon heute sind Veränderungen unübersehbar"
(Dagmar Schröter)
In den Bergregionen macht sich vor allem die kürzere Schneebedeckung bemerkbar, die in vielen Wintersportregionen die Schneesicherheitsgrenze bis zum Ende des Jahrhunderts um mindestens 200 Meter anheben wird. Ein Anstieg um 300 Meter würde in der Schweiz den Flächenanteil von Skiregionen mit ausreichend Schnee von 85 auf 63 Prozent senken – eine Katastrophe aus Sicht des Tourismus. Außerdem verändern die höheren Temperaturen das Abflussregime der Flüsse: Ausgerechnet zu Sommerzeiten, wenn entsprechend Bedarf besteht, kommt weniger Wasser aus den Bergen, während sich die Wassermenge und damit die Überflutungsgefahr im Winter erhöht. Darunter leidet auch die Schifffahrt und die Energiegewinnung durch Wasserkraft. Und natürlich nicht zu vergessen sind die Auswirkungen einer kürzeren Schneebedeckung auf die lokale, hoch spezialisierte Flora und Fauna: "Besonders die Tiere und Pflanzen der Gebirge und des Mittelmeergebietes sind empfindlich; schon heute sind Veränderungen unübersehbar", erklärt Schröter.

Die Zusammenarbeit mit Experten aus der Praxis sollte helfen, eine gemeinsame Basis für die Darstellung, die Interpretation und die Anwendung der nüchternen Daten zu entwickeln. Das ist wohl auch gelungen: Das anhaltende Interesse der beteiligten Entscheidungsträger verdeutliche, so Schröter und ihre Kollegen, dass der Klimawandel durchaus als Problem wahrgenommen wird, auch wenn es nur eins unter vielen sei. Das Durchspielen der verschiedenen Szenarien in bester Ökolopoly-Manier dürfte jedenfalls auf beiden Seiten einiges klarer gemacht haben. Denn so wie Politiker und Wirtschaftsfachleute das Klima-ABC lernen müssen, haben auch Wissenschaftler noch einigen Nachholbedarf darin, deren Denken und Agieren zu verstehen. Für einen Dialog aber ist das unerlässlich. Und überlebensnotwendig – denn die hier durchgespielten Varianten könnten für unsere Kinder und Enkel Realität werden.

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