Astrobiologie: Wo bleibt das Mars-Wasser?
"Aufsetzen bestätigt, wir stehen sicher auf dem Mars." Diese Worte aus einem Kontrollraum im kalifornischen Pasadena gehen am 6. August 2012 in minutenlanges Jubelgeschrei über. Der bis heute schwerste, teuerste und fähigste Marsrover ist gelandet, Beweis für unbändigen Forscherdrang und überragende Ingenieurskunst. Curiosity ist ein fahrendes Labor. Und das soll den Spuren des vor Jahrmilliarden geflossenen Wassers auf dem Mars folgen, vielleicht sogar dem Leben näherkommen, wenn es dort je existiert hat. Curiositys Bilanz nach drei Jahren auf dem Mars erscheint allerdings mager. Er übermittelte einige Hinweise auf Wasser, die Raumsonden jedoch schon seit Jahrzehnten von dort liefern. Curiositys Räder sind mittlerweile durch spitze Steine schwer beschädigt, während der Rover die wichtigsten Gesteine gerade erst erreicht. Von den dort erwarteten Ergebnissen hängt viel ab, denn an einen ehemals erdähnlichen Mars glauben viele Forscher kaum noch.
Lange Zeit waren Menschen vom Leben auf anderen Planeten überzeugt, doch der Besuch der ersten Raumsonden sorgt für Ernüchterung. Der Mars besitzt eine extrem dünne und kalte Atmosphäre. Flüssiges Wasser kann es hier nicht geben. Die Marsoberfläche ist dazu übersät von Kratern, die einschlagende Meteoriten in den letzten vier Milliarden Jahren hinterlassen haben. Krater, die auf der Erde innerhalb weniger Jahrtausende durch Wasser erodiert wären. Aber es gibt auch Flusstäler auf dem Mars, die noch dazu jede irdische Dimension sprengen. Allein der Canyon Valles Marineris ist mit 4000 Kilometern so lang wie die gesamten Vereinigten Staaten. Dazu gibt es gewaltige Vulkane. Der höchste von ihnen ist Olympus Mons, der gut 21 Kilometer über das mittlere Höhenniveau des Planeten hinausragt. Marsveteran Michael Carr vom US Geological Survey zerbricht sich darüber bis heute den Kopf. "Warum bewegen sich die geologischen Strukturen auf dem Mars auf einer so großen Skala?", fragt er.
Diese Frage treibt die ambitionierte US-Marsforschung der Gegenwart an. Zwischen 1997 und 2007 verachtfacht sich das Budget für die US-Marsforschung von kaum 90 auf gut 700 Millionen Dollar pro Jahr, fast alle der elf kreisenden und gelandeten Sonden aus den letzten zwei Jahrzehnten sind amerikanisch. Dazu kreist je eine Raumsonde aus Europa und Indien. Diese Flotte liefert nicht nur immer genauere Fotos, sondern auch detaillierte Höhenmessungen: In den ersten Daten eines Lasermessgeräts finden Forscher 1999 auffällige Hügelketten. Diese durchziehen die nördliche Tiefebene des Planeten, die ein Drittel der Oberfläche ausfüllt. Die Hügel scheinen über tausende Kilometer exakt gleich hoch zu sein. Für die Forscher die Küstenlinien eines alten Ozeans – soweit man das aus dem Orbit beurteilen kann.
Schließlich bricht das Zeitalter der Rover an. Gleicht das erste winzige Fahrzeug Sojourner noch einem Spielzeug, landen 2004 mit Spirit und Opportunity zwei stattliche, 180 Kilogramm schwere Robotergeologen. Tatsächlich finden die auch direkt im Gestein Hinweise auf ehemals geflossenes Wasser, wenn auch vergleichsweise klägliche. Bei Spirit ist es Thermalwasser an einer Stelle, wo vermutlich etwas Hitze aus der Tiefe das Eis im Untergrund auftaute. Der Zwilling Opportunity zeigt, dass an seinem Landeplatz vor Jahrmilliarden kleine, salzhaltige Tümpel existiert haben, vielleicht für einige Jahrtausende, bevor sie wieder austrockneten. Aber es fehlen weiterhin Hinweise, wie die immensen Täler gegraben wurden.
Neugierde und Hoffnung
Curiosity tritt im August 2012 an, dieses Rätsel zu lüften. Der Landeort des Rovers heißt Gale, ein rund 3,8 Milliarden Jahre alter Krater, in dessen Zentrum ein über fünf Kilometer hoher Berg liegt. Darin lagern Sedimentschichten aus der kritischen Epoche der Marsgeschichte. Vor über 3,8 Milliarden Jahre nämlich floss reichlich Wasser an der Oberfläche. Darauf deuten eingeschnittene Bäche, Flüsse und Ströme, deren Alter anhand von Einschlagkratern aus dem Orbit bestimmt worden ist. Zunächst hat Curiosity aber ein Problem: Der Rover landet in der sandigen Ebene vor dem Berg und muss erst einmal Strecke machen. Die Fahrt dorthin zieht sich, weil allzu weiche Dünen und allzu harte Geröllpisten die Routenplanung einschränken. Über elf Kilometer und drei Jahre liegen nun hinter ihm.
Immerhin kann Curiosity auf dem Weg die Ergebnisse seiner Vorgänger ergänzen. Der Rover findet gerundete Kieselsteine. Auf der Erde entstehen sie nur, wenn sie über Kilometer im Wasser mitgetragen und dabei abgeschliffen werden. Später machen die Kameras am Kratergrund flache Schichten aus feinem Tonstein aus. Chemische Untersuchungen bestätigen: Der Ton war einst das Bett eines Sees und das Wasser darin sogar pH-neutral. Es war also keine ungastliche Salzbrühe, sondern durchaus wohlschmeckend.
Curiosity könnte viel mehr herausfinden: An Bord befinden sich etwa ein Massenspektrometer und ein Gaschromatograf. Mit diesen Geräten ließen sich komplexere organische Moleküle im Marsgestein nachweisen – was bisher keiner einzigen Raumsonde gelungen ist. "Um von einer richtigen Revolution in unserem Wissen bezüglich des Mars zu reden, ist es meines Erachtens noch zu früh", sagt deshalb auch Ernst Hauber vom Berliner Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt. "Die NASA will organische Moleküle finden", sagt er. "Und ich denke, erst wenn das der Fall wäre, würde man von einer wirklichen Zeitenwende in der Marsforschung reden."
Lava oder Gletscherflüsse
Zurückhaltend ist Hauber wohl auch deshalb, weil eine Grundfrage der Marsforschung bis heute unbeantwortet ist. Es gibt tausende Hinweise auf fließendes Wasser. Aber dafür sind milde Temperaturen nötig. Und kein Planetologe kann bisher schlüssig erklären, wie der Mars vor 3,8 Milliarden Jahren überhaupt warm gewesen sein kann. Damals war die Sonne noch 30 Prozent schwächer als heute und wärmte somit die Marsatmosphäre noch weniger, als sie es heute tut. Dieses Paradox der schwachen jungen Sonne wurde schon vor 40 Jahren formuliert und ist die Sinnfrage der gesamten Disziplin. Entweder war der Mars niemals wirklich warm und erdähnlich und all die Hinweise auf reichlich Wasser sind schlicht falsch. Oder das Wasser konnte irgendwie auch auf dem kalten Mars fließen.
Es gibt nicht viele Planetologen, die die Idee eines ehemals wasserreichen Mars ganz ablehnen. Einer von ihnen ist Giovanni Leone an der ETH Zürich – ein Außenseiter seines Fachs. Im Jahr 2013 verfasst er einen wissenschaftlichen Fachartikel mit einer provokanten These: Der größte Canyon des Sonnensystems Valles Marineris und viele andere auffällige Täler auf dem Mars seien ohne Zutun von Wasser entstanden und stattdessen von flüssiger Lava ausgespült worden. Viele große Flusstäler lägen an Vulkanflanken. Die Funde für Wasser hält er für schlüssig – aber ihm fehlt der Beweis, dass es jemals gigantische Mengen davon auf dem Mars gab. "Wir müssen uns die auf einer Karte ansehen", sagt er. "Das sind winzige Tümpel verglichen mit den vielen tausend Kilometern an Lava."
"Es wäre total schrill, wenn gar nichts da wäre"Fred Goesmann
Andere Forscher glauben dagegen, dass der Mars schon immer kalt war und das Wasser schlicht unter riesigen Gletschern geflossen ist. James Head von der Brown University in Rhode Island war lange einer der wichtigsten Befürworter eines ausgedehnten Marsozeans, bevor er umschwenkte. Er verbrachte mehrere Monate in den Trockentälern der Antarktis, die zu den kältesten Orten der Erde gehören. Die durchschnittliche Temperatur liegt dort bei minus 20 Grad Celsius. Trotzdem haben sich immer wieder dünne Kanäle gebildet, die ganz so aussahen wie jene auf dem Mars: "Es klingt vielleicht widersprüchlich, aber selbst tief im Eis kann immer wieder Schmelzwasser entstehen, das Flusstäler einschneiden kann."
Ein organisches Phantom
Wenn sich Curiosity nun dem anvisierten Berg zuwendet, bleibt die Hoffnung, im Gestein organisches Material nachzuweisen. Das müsste allerdings über Jahrmilliarden in sicherer Tiefe gelagert haben. Denn ultraviolette Strahlung würde die fragilen Moleküle in kurzer Zeit zerstören. Andererseits sollten herabfallende Meteoriten ständig neue organische Verbindungen liefern, wie sie das auch auf der Erde tun. "Es wäre total schrill, wenn gar nichts da wäre", sagt Fred Goesmann deshalb. Er entwickelt am Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung Analysegeräte für solche Moleküle. "Wenn es wirklich weg ist, wäre aber auch das interessant", sagt er. "Was oxidiert die Moleküle so stark, dass wir sie nicht wiederfinden?"
Eine denkbare Erklärung für nicht nachweisbare Organik sind vielleicht aggressive Salze im Marsstaub. Erst 2008 wies der NASA-Lander Phoenix diese so genannten Perchlorate nach. Werden sie wie in Analysegeräten üblich auf bis zu 1000 Grad Celsius erhitzt, zersetzen die Perchlorate schlagartig alle organischen Moleküle. "Das ist wie Salpeter im Schwarzpulver", sagt Fred Goesmann. "Wenn man das Zeug heiß macht, dann macht es puff." Tragisch für Curiosity: Zum Zeitpunkt dieser Entdeckung war der Rover längst im Bau. Seine Instrumente sind nicht auf perchlorathaltigen Staub eingerichtet. Entsprechend haben sie an Bord bisher nur einfache kohlenstoff- und chlorhaltige Verbindungen nachgewiesen – vielleicht ein Hinweis darauf, dass organisches Material in den Öfen ungewollt zersetzt wurde.
Die organischen Moleküle stehen allerdings längst im Fokus neuer Missionen. Der ExoMars Trace Gas Orbiter der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) soll im Januar 2016 starten und das Methan in den Fokus nehmen, das gelegentlich durch die dünne Marsatmosphäre weht. Es könnte durch schnell zerfallende organische Verbindungen in Meteoriten stammen, aus vulkanischen Quellen oder sogar von Mikroorganismen. Schließlich könnte der ExoMars Rover, den die ESA mit Russland entwickelt, ab 2019 dem ausgestorbenen Leben auf den Pelz rücken, dessen fossile Überreste irgendwo metertief im Gestein schlummern. Der Rover wird dafür ein so genanntes Laserdesorptions-Massenspektrometer an Bord haben, das erstmals in der Marsforschung organische Moleküle auch ohne Erhitzen nachweisen kann. Fred Goesmann ist verantwortlich für den Bau dieses Instruments am Göttinger Max-Planck-Institut. Er ahnt, dass bei allen Zweifeln unter den Marsforschern viel von seinen Ergebnissen abhängen könnte: "Entweder ist das ein weiterer Punkt auf dem Weg nach oben und wir suchen weiter nach Biologie auf dem Mars", sagt er. "Wenn dabei aber wieder nichts rauskommt, kann das auch einen gegenteiligen Effekt haben." Denn die Hoffnung auf organische Funde hält bislang die gesamte Marsforschung am Leben.
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