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Kosmologie: Zu viele Rentner im Kosmos

Hübsch der Reihe nach und jeder im passenden Tempo. Die Astrophysik weiß recht genau, wie die Materie, das Weltall und alles darin enthaltene entstanden ist. Zumindest glaubte sie es zu wissen. Die Entdeckung zahlreicher uralter großer Galaxien droht nun, die mühsam errungenen Erkenntnisse über den Haufen zu werfen.
Hubble Ultra Deep Field
Eigentlich ist die Geschichte der Kosmologie eine grandiose Erfolgsstory. Da leben wir Menschen lächerliche 80 Jahre auf einem kleinen Planeten, der einen mittelmäßigen Stern in einem unbedeutenden Arm einer durchschnittlichen Galaxie umkreist – und machen uns Gedanken über Vorgänge, die vor etwa 14 Milliarden Jahren aus weniger als Nichts das Weltall und den ganzen Rest entstehen ließen. Vom ultraheißen Plasma über gigantische Wasserstoffwolken, die ersten Wirbel und Klumpen von Materie, zaghaft zündendes Kernfusionsfeuer der frühen Sterne, die Bildung von ganzen Galaxien, Sternexplosionen, bei denen schwerere Elemente entstehen und freigesetzt werden, die Genesis nachfolgender Sterngenerationen und Planeten bis hin zur Entstehung des Lebens mit einem seltsame Fragen stellenden Wesen, das sich selbst "Mensch" nennt. Das alles reiht sich in unseren Modellen nahezu lückenlos aneinander, füllt Sachbücher und populärwissenschaftliche Fernsehsendungen. Kein Wunder, denn fast alle Beobachtungen, die wir mit unseren Sinnen und Instrumenten machen können, fügen sich anstandslos in unsere Sicht des Kosmos. Ohne Ironie eine großartige Leistung.

Vielleicht noch großartiger, wenn auch weniger beruhigend, könnte die Bereitschaft der Wissenschaft sein, das alles immer wieder in Frage zu stellen, wenn es mal an einer Ecke hakt. Nicht gleich eine Revolution, eher das typische "Wir haben da ein Problem". Denn mitunter antwortet die Natur auf Beobachtungen und Experimente nicht mit einer Bestätigung der Theorie, sondern mit einem "knapp daneben". Und gerade in der Astrophysik kommt so ein kräftiges Rütteln an dem schönen Gedankengebäude öfter mal vor.

Im neuesten Fall geht es dabei um die Frage, wann eigentlich die ersten großen Galaxien entstanden sind. Nach dem vorherrschenden hierarchischen Modell sollten sich kleine Ansammlungen von Materie Schritt für Schritt zu immer größeren Strukturen vereinigt haben, also zunächst Sterne, dann Sternhaufen, kleine Galaxien und erst zum Schluss die großen, massereichen Galaxien. Weil das seine Zeit braucht, dürfte es davon kaum welche gegeben haben, als das Universum halb so alt war, wie es jetzt ist. Diese Voraussage lässt sich nachprüfen, indem man mit leistungsstarken Teleskopen an den Himmel schaut. Da das Licht der unzähligen Sterne nur mit endlicher Lichtgeschwindigkeit zur Erde eilt, bedeutet so ein Blick in die Ferne zugleich eine Zeitreise in die Vergangenheit. Das Leuchten einer Galaxie in sieben Milliarden Lichtjahren Entfernung war eben sieben Milliarden Jahre unterwegs, bevor es uns erreicht. Was wir sehen, ist ein uralter Zustand des Systems – geradezu ein Geschenk für alle Forscher der Geschichte des Universums.

Allerdings gibt es ein Problem: Das Universum dehnt sich aus und mit ihm das darin herumsausende Licht. Seine Wellenlänge wird dadurch länger, bezogen auf den sichtbaren Bereich verschiebt sich die Farbe zum Roten. Je weiter ein leuchtendes Objekt entfernt ist, umso stärker diese Rotverschiebung. Bei mehreren Milliarden Lichtjahren verschwindet ursprünglich weißes Licht größtenteils im infraroten Bereich des Spektrums, und das ist von der Erde aus wegen atmosphärischer Störungen kaum noch zu empfangen. Vor allem die charakteristischen Linienmuster in den Spektren, die wie Fingerabdrücke zur Identifikation von Galaxien dienen, sind nicht zu sehen. Alle bisherigen Tests auf das Alter der entfernten Galaxien lieferten darum nur sehr wage Ergebnisse.

Zwei Arbeitsgruppen von Astronomen ist es nun mit verbesserten Techniken und den größten Teleskopen der Welt gelungen, doch an die begehrten Spektren zu gelangen. Ein Team um Emanuele Daddi von der Europäischen Südsternwarte nutzte das Riesenteleskop der Organisation in Chile und entdeckte gleich vier kugelförmige Galaxien, die bereits so alt waren, dass sich keine neuen Sterne mehr in ihnen bildeten [1]. Zum Erstaunen der Wissenschaftler waren diese "Rentner-Galaxien" jedoch so weit weg, dass sie bereits im Ruhestand gewesen sein müssen, als das Universum erst ein Viertel seines gegenwärtigen Alters hatte. So etwas durfte nach der Theorie überhaupt nicht sein. Unterstützung erfahren die europäischen Astronomen von US-amerikanischen Kollegen um Karl Glazebrook von der Johns-Hopkins-Universität. Mit ihrem Gemini-Observatorium haben diese eine große Menge Galaxien mit alten Sternen gemustert und kamen ebenfalls zu dem Schluss, dass sehr viele davon schon drei Milliarden Jahre nach dem Urknall existiert haben müssen [2].

Zwei unabhängige Teams stellen bei den genauesten derartigen Messungen an verschiedenen Ausschnitten des Himmels fest, dass es viel zu früh für die theoretischen Vorhersagen bereits große Mengen massereicher Galaxien voller alter Sterne gab. Das Aus für das Modell von der hierarchischen Entwicklung des Kosmos? Noch nicht. Aber ganz so gemächlich, wie man sich das bislang vorgestellt hat, kann es in der Jugendzeit des Universums nicht zugegangen sein. Haben sich die Sterne anders entwickelt und sehen deshalb schneller alt aus? Oder sind die großen Galaxien viel früher entstanden? Wo muss das Modell geändert werden, um wieder zu den Beobachtungen zu passen? Welche Theorie erklärt die Dinge besser? Die frühen Rentner unter den Sternen bringen neuen Schwung in die Kosmologie. Damit wir doch noch die Antwort finden, wie alles entstanden ist. Zumindest eine vorläufige Version davon.

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