Genderforschung: Zwerge im Zickenkrieg
Jungen sind anders, Mädchen auch: Mögen Eltern auch noch so sehr versuchen, geschlechtsneutral zu erziehen und ihren lieben Kleinen ein ausgewogenes Lebensumfeld zu bieten, wenn der Teddy bedroht ist, reagiert Lisa anders als Lars. Alles kein Grund zur Verzweiflung.
Es muss ein Gen für die Vorliebe von Rosa geben, das ungeachtet aller äußeren Einflüsse bei kleinen Mädchen im Kindergartenalter aktiv ist. Das entsprechende Pendant im männlichen Erbgut sorgt durch eine wohl leicht veränderte Form dafür, dass statt des Signals "Rosa" ein gesteigertes Interesse an Kränen, Baggern, Hubschraubern und sonstigem Maschinenpark dauerhaft erwacht.
Anders scheint kaum noch erklärbar, dass es trotz zahlenmäßig gleicher Angebote an Lastern, Puppen und Co in heutigen Kinderzimmern sowie allen Regenbogenfarben in den Kleiderschränken eine Phase gibt, in der kleine Mädchen einen ihren Eltern meist unerklärlichen Modetick und kleine Jungen ihren festen Berufsplan "Baggerfahrer" entwickeln – aller wohlmeinenden familiären gegensteuernden Fürsorge zum Trotz.
Viele tun sich schwer damit, wollen sie doch jegliche frühe Prägung vermeiden, die ihre Kleinen in eine gesellschaftlich verpönte altmodische Geschlechterrolle pressen könnte. Doch überschätzen sie dabei womöglich ihren Einfluss auf die Natur der Dinge: Gewisse Verhaltensweisen scheinen dermaßen tiefgründig angelegt, dass auch die pädagogisch ausgefeilteste Erziehung versagt.
Ein neues Beispiel hierzu stammt aus dem Konfliktbereich "drei Kinder, ein Spielzeug". Zu Hause, auf dem Spielplatz, im Kindergarten – diese Konstellation ist alltäglich, und natürlich will Klein Bodo immer just jenen Eisenbahnwagen haben, den Klein Sophie sich gerade gesichert hatte. Solange sich nur zwei Beteiligte einigen müssen, kommt es meist zur direkten Auseinandersetzung in Form von Tauziehen, nicht selten endet es für mindestens einen der Kombattanten mit Tränen. Ein kleiner Kampf ohne Langzeitschäden, versteht sich.
Betritt nun aber noch Klein Erika oder Klein Ernst die Szene, wird es interessant: Kommt es zu Koalitionen? Wenn ja, in welcher Form spielen sie ihre Macht gegenüber dem unterlegenen Dritten aus? Und verhalten sich Jungen und Mädchen womöglich unterschiedlich?
Die erste und die letzte Frage lassen sich eindeutig bejahen, wie Ergebnisse aus den USA zeigen. Joyce Benenson vom Emmanuel College in Boston und ihre Kollegen waren in die örtlichen Kindergärten gegangen und hatten dort die genannten Fragen an mehreren Dreierteams untersucht. Im Gepäck verschiedene Stofftiere – Schildkröten, Elefanten und Papageien –, die sie zuvor von unbeteiligten Kindern als gleichermaßen für Mädchen wie Junge begehrenswert überprüft hatten.
Der Clou an der Sache: Die kindlichen Dreierteams bestanden jeweils nur aus Jungen oder Mädchen – so wollten die Forscher geschlechtsspezifische Unterschiede herausfinden. Und die offenbarten sich schnell: Mussten sich drei Jungs um ein Stofftier rangeln, bevorzugten sie klar den direkten Weg, das Objekt an sich zu bringen. Zwar fanden sich auch mal zwei gegen einen zusammen, doch kam es dabei durchaus vor, dass einer der beiden das Spielzeug hatte und man einträchtig zusammen damit agierte.
Die Mädchen hingegen verhielten sich zurückhaltender – und zeigten bereits in diesem zarten Alter von vier Jahren erste Zickenqualitäten: Statt sich mit direktem Griff Schildkröte oder Co zu sichern, verbündeten sich die beiden Besitzlosen gegen die ganz schnell gar nicht mehr so glückliche Dritte und grenzten sie deutlich aus. Sie wählten also indirekte soziale Druckmittel an Stelle eines direkten Kräftemessens.
Fragt sich nur, mit welchem Ziel. Ergebnis des Kindermobbings war, dass das Tier relativ schnell wieder frei gegeben wurde – wer spielt schon gern allein –, die Ressource also wieder allen zur Verfügung stand. Genau das, so erklären die Wissenschaftler, sei in tiefstem evolutionsbiologischen Interesse einer Frau, die darauf angewiesen ist, ihren Nachwuchs erfolgreich großzuziehen – ein Unterfangen, das im Alleingang nur mit unvergleichlich höherem eigenen Risiko möglich wäre und daher abhängig ist von Kooperation mit anderen, die es sich durch solches Taktieren zu sichern gilt.
Um gleich noch tiefer in die unter Psychologen beliebten evolutionsbiologischen Begründungsmuster einzusteigen: Männer, so argumentieren nicht nur Benenson und ihre Kollegen, könnten sich die direkte körperliche Auseinandersetzung nun einmal leisten – eventuell davon getragene Schäden beeinträchtigten nur selten ihre ja eigentlich einzige Aufgabe: Nachwuchs zu zeugen. Frauen hingegen müssten schon mehr und vor allem langfristiger auf ihre körperliche Leistungsfähigkeit achten, darum wählten sie eher indirekte Methoden, um ihre Interessen durchzusetzen. Und dabei könnte, wie die Vierjährigen bereits demonstrierten, das direkte Ziel (Schildkröte im Arm) auch einmal auf lange Sicht wichtigeren Anliegen (Schildkröte ist für alle da) geopfert werden.
Zurück aus der evolutionsbiologischen Theorie – von der man halten mag, was man will – in die praktische Alltagspsychologie unserer Kinderzimmer: Wie sollten elterliche Betroffene nun mit diesen Ergebnissen umgehen? Sollten sie ihre lieben Kleinen zum geschlechtsübergreifenden Konfliktlösungsworkshop schicken? Damit im Kindergarten schon der Weg bereitet wird für eine kompetenter miteinander umgehende Erwachsenengeschlechterwelt?
Vielleicht wäre es viel wichtiger, endlich etwas gelassener zu werden in dieser Geschlechterrollenvermeidungsdiskussion – Vorlieben mit vier entsprechen schließlich selten dem Verhalten mit 40. Stattdessen sollten wir Kindern – egal ob Junge oder Mädchen – vor allem eines mitgeben: Selbstvertrauen (aber nicht Selbstüberschätzung), das sie befähigt, ihre eigenen Interessen offen zu vertreten und nicht klein beizugeben, weil sich jemand anderes darin besser schlägt. Und sie nicht bevormundend, sondern bestärkend und vertrauensvoll darin zu begleiten, ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen – dann erkennen sie auch den für sie richtigen Schritt.
Anders scheint kaum noch erklärbar, dass es trotz zahlenmäßig gleicher Angebote an Lastern, Puppen und Co in heutigen Kinderzimmern sowie allen Regenbogenfarben in den Kleiderschränken eine Phase gibt, in der kleine Mädchen einen ihren Eltern meist unerklärlichen Modetick und kleine Jungen ihren festen Berufsplan "Baggerfahrer" entwickeln – aller wohlmeinenden familiären gegensteuernden Fürsorge zum Trotz.
Viele tun sich schwer damit, wollen sie doch jegliche frühe Prägung vermeiden, die ihre Kleinen in eine gesellschaftlich verpönte altmodische Geschlechterrolle pressen könnte. Doch überschätzen sie dabei womöglich ihren Einfluss auf die Natur der Dinge: Gewisse Verhaltensweisen scheinen dermaßen tiefgründig angelegt, dass auch die pädagogisch ausgefeilteste Erziehung versagt.
Ein neues Beispiel hierzu stammt aus dem Konfliktbereich "drei Kinder, ein Spielzeug". Zu Hause, auf dem Spielplatz, im Kindergarten – diese Konstellation ist alltäglich, und natürlich will Klein Bodo immer just jenen Eisenbahnwagen haben, den Klein Sophie sich gerade gesichert hatte. Solange sich nur zwei Beteiligte einigen müssen, kommt es meist zur direkten Auseinandersetzung in Form von Tauziehen, nicht selten endet es für mindestens einen der Kombattanten mit Tränen. Ein kleiner Kampf ohne Langzeitschäden, versteht sich.
Betritt nun aber noch Klein Erika oder Klein Ernst die Szene, wird es interessant: Kommt es zu Koalitionen? Wenn ja, in welcher Form spielen sie ihre Macht gegenüber dem unterlegenen Dritten aus? Und verhalten sich Jungen und Mädchen womöglich unterschiedlich?
Die erste und die letzte Frage lassen sich eindeutig bejahen, wie Ergebnisse aus den USA zeigen. Joyce Benenson vom Emmanuel College in Boston und ihre Kollegen waren in die örtlichen Kindergärten gegangen und hatten dort die genannten Fragen an mehreren Dreierteams untersucht. Im Gepäck verschiedene Stofftiere – Schildkröten, Elefanten und Papageien –, die sie zuvor von unbeteiligten Kindern als gleichermaßen für Mädchen wie Junge begehrenswert überprüft hatten.
Der Clou an der Sache: Die kindlichen Dreierteams bestanden jeweils nur aus Jungen oder Mädchen – so wollten die Forscher geschlechtsspezifische Unterschiede herausfinden. Und die offenbarten sich schnell: Mussten sich drei Jungs um ein Stofftier rangeln, bevorzugten sie klar den direkten Weg, das Objekt an sich zu bringen. Zwar fanden sich auch mal zwei gegen einen zusammen, doch kam es dabei durchaus vor, dass einer der beiden das Spielzeug hatte und man einträchtig zusammen damit agierte.
Die Mädchen hingegen verhielten sich zurückhaltender – und zeigten bereits in diesem zarten Alter von vier Jahren erste Zickenqualitäten: Statt sich mit direktem Griff Schildkröte oder Co zu sichern, verbündeten sich die beiden Besitzlosen gegen die ganz schnell gar nicht mehr so glückliche Dritte und grenzten sie deutlich aus. Sie wählten also indirekte soziale Druckmittel an Stelle eines direkten Kräftemessens.
Fragt sich nur, mit welchem Ziel. Ergebnis des Kindermobbings war, dass das Tier relativ schnell wieder frei gegeben wurde – wer spielt schon gern allein –, die Ressource also wieder allen zur Verfügung stand. Genau das, so erklären die Wissenschaftler, sei in tiefstem evolutionsbiologischen Interesse einer Frau, die darauf angewiesen ist, ihren Nachwuchs erfolgreich großzuziehen – ein Unterfangen, das im Alleingang nur mit unvergleichlich höherem eigenen Risiko möglich wäre und daher abhängig ist von Kooperation mit anderen, die es sich durch solches Taktieren zu sichern gilt.
Um gleich noch tiefer in die unter Psychologen beliebten evolutionsbiologischen Begründungsmuster einzusteigen: Männer, so argumentieren nicht nur Benenson und ihre Kollegen, könnten sich die direkte körperliche Auseinandersetzung nun einmal leisten – eventuell davon getragene Schäden beeinträchtigten nur selten ihre ja eigentlich einzige Aufgabe: Nachwuchs zu zeugen. Frauen hingegen müssten schon mehr und vor allem langfristiger auf ihre körperliche Leistungsfähigkeit achten, darum wählten sie eher indirekte Methoden, um ihre Interessen durchzusetzen. Und dabei könnte, wie die Vierjährigen bereits demonstrierten, das direkte Ziel (Schildkröte im Arm) auch einmal auf lange Sicht wichtigeren Anliegen (Schildkröte ist für alle da) geopfert werden.
Zurück aus der evolutionsbiologischen Theorie – von der man halten mag, was man will – in die praktische Alltagspsychologie unserer Kinderzimmer: Wie sollten elterliche Betroffene nun mit diesen Ergebnissen umgehen? Sollten sie ihre lieben Kleinen zum geschlechtsübergreifenden Konfliktlösungsworkshop schicken? Damit im Kindergarten schon der Weg bereitet wird für eine kompetenter miteinander umgehende Erwachsenengeschlechterwelt?
Vielleicht wäre es viel wichtiger, endlich etwas gelassener zu werden in dieser Geschlechterrollenvermeidungsdiskussion – Vorlieben mit vier entsprechen schließlich selten dem Verhalten mit 40. Stattdessen sollten wir Kindern – egal ob Junge oder Mädchen – vor allem eines mitgeben: Selbstvertrauen (aber nicht Selbstüberschätzung), das sie befähigt, ihre eigenen Interessen offen zu vertreten und nicht klein beizugeben, weil sich jemand anderes darin besser schlägt. Und sie nicht bevormundend, sondern bestärkend und vertrauensvoll darin zu begleiten, ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen – dann erkennen sie auch den für sie richtigen Schritt.
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