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Wer war's?: Vom Nutzen der Zahl 2147483647

Flüssige Linsen und Elektromotoren
Bunte Silhoutten verschiedener Köpfe

Von des Gesuchten Versuch über die magnetische Anziehung, besonders in Rücksicht der Ablenkung, welche der Compass am Bord der Schiffe durch den örtlichen Einfluss der Kanonen etc. leidet, erfährt der deutschsprachige Leser 1823 aus den Annalen der Physik. Die phy­si­kalische Arbeit, im Original von 1820, hat eine bewegte Vorgeschichte. Denn der ­Autor scheitert zunächst damit, seine Ergebnisse in den Proceedings der Royal Academy loszuwerden: Die ehrwürdige Wissenschaftsgesellschaft lässt die Beschreibungen der Experimente mit ­kreisenden Kanonenkugeln und Kom­pass­nadeln diskret in der Schublade verschwinden. Dies empört auch Ludwig Wilhelm Gilbert, den Herausgeber der ­Annalen der Physik, in Sorge um den Nachwuchs seiner Zunft: »Ein solches Vornehmthun derer, die sich zu Richtern physikalischen Verdienstes aufgeworfen haben, scheint mir mit Schuld zu seyn, daß bei uns die Zahl der Experimentatoren sich so sehr vermindert hat. Ob unsere Kritiker (Reviewer) und unsere Königl. ­Societät in den letzten Jahren dem Interesse der Wissenschaft nicht mehr geschadet als genützt haben, darüber habe ich bei mir keinen Zweifel.«

Doch der Gesuchte – zu diesem Zeitpunkt, mit Mitte 40 und in fester Anstellung als Mathematiklehrer an der König­lichen Militärakademie seines Landes alles andere als ein Nachwuchswissenschaftler –, hätte Gilberts Schützenhilfe gar nicht bedurft. Er lässt sich von seinem Misserfolg nämlich nicht entmutigen, sondern versorgt die Society weiter eifrig mit Arbeiten zum Magnetismus, unterstützt von einem verdienten Offizier, dem Lieutnants Zachary Mudge, der als Kapitän ein berufliches Interesse an der Missweisung von Kompassnadeln hegt.

Mit Blick auf eine mögliche elektrische Ursache für den Erdmagnetismus untersucht der Gesuchte auch den Zusammenhang von Strom und Magnetismus. Er hängt eine drehbare kreisförmige Metallscheibe in ein Töpfchen, das mit Quecksilber gefüllt ist und sich im Inneren eines Magnetfelds befindet. Als er Strom durch Scheibe und Quecksilber leitet, beginnt sie sich wundersamerweise zu drehen – man könnte sagen: einer der ersten Elek­tromotoren. Zeit für eine neue Veröffent­lichung. Im Jahr darauf wird der Gesuchte Fellow der Royal Society, und wenig später wird ihm die begehrte Copley-Medaille verliehen – »für seine vielfältigen Nachrichten zum Thema Magnetismus«.

Doch er widmet sich auch anderen ­Aufgaben, etwa dem Abfassen mathematischer Bücher und Tabellenwerke, die zu Bestsellern werden. In einem seiner Mathematikbücher stellt er seinen Lesern auch dar, wie seit der Antike perfekte Zahlen produziert werden: mit Hilfe von Primzahlen der Form 2n–1. Die zu seiner Zeit größte bekannte (Mersenne-)Primzahl 231–1 = 2147483647 führt zu einer 19-stelligen perfekten Zahl – was, wie der Gesuchte vermutet, auch »für immer« die größte sein werde, weil sie »bloß wegen ­ihrer Ausgefallenheit von Interesse« sei. (Tatsächlich ist sie die größte ganze vorzeichenbehaftete Ganzzahl von 32 Bit Länge und daher heute für Programmierer von großem Interesse. Und statt acht Mersenne-Primzahlen wie zur Zeit des Gesuchten kennt man heute derer 51.)

Einen besonderen Blick wirft der Mathematiker aber auf die Sterne: Er kon­struiert sich ein Teleskop mit flüssigen Linsen. Gängige Praxis seiner Zeit ist, in Refraktoren die Objektive aus einer normalen Sammellinse und einer zerstreuenden aus stärker streuendem Flintglas zu bauen, die aufeinander gekittet werden. Diese Kombination produziert weniger Farbfehler. Die Flintglas-Linse ist schwer zu bekommen, und so will der Gesuchte sie durch eine flüssige Linse ersetzen: Er füllt Schwefelkohlenstoff zwischen Sammellinse und eine Glasscheibe, die verhindern soll, dass die Optik in den Tubus läuft. Das Ergebnis ist mäßig erfolgreich; immerhin entstehen einige Teleskope mit Flüssiglinsen. Ganz nebenbei fällt dem Gesuchten auf, dass man durch eine vor das Okular eingeschobene Streulinse klassisch aus Glas auch die Vergrößerung steigern kann. Heute kennt jeder Amateur diesen Vorsatz, den man vor das Okular packt – und damit den Namen des Gesuchten.

Es war Peter Barlow (geboren am 13. Oktober 1776 in Norwich, England, gestorben am 1. März 1862 in Kent). Über das frühe Leben und die Ausbildung von Barlow ist praktisch nichts bekannt. Als Autodidakt und Autor der Frauenzeitschrift Ladies' Diary, die von einem Mathematiklehrer an Royal Military Academy in Woolwich herausgegeben wurde, gelangte er im Jahr 1801 an diese Akademie, zunächst als Assistent, ab dem Jahr 1806 als Mathematiklehrer.

Seine ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen waren mathematische Lehrbücher und Tabellen: An Elementary Investigation of the Theory of Numbers (1811) sowie A New Mathematical and Philosophical Dictionary und die New Mathematical Tables (beide im Jahr 1814). Insbesondere die Tabellen wurden zu einem wichtigen Nachschlagewerk, das viele weitere Auflagen erlebte. Anschließend ging er zu technisch-physikalischen Themen über: Er schrieb über die Stärke von Bauholz im Schiffsbau – ein Buch, das ebenfalls zu einem ingenieurwissenschaftlichen Bestseller wurde – und begann mit langjährigen Experimenten zur Missweisung von Schiffskompanten wegen des Eisens an Bord und lokaler Anomalien des Erdmagnetfelds; er schlug vor, Ausgleichseisenmassen neben dem Kompass anzubringen, um so Fehler durch das Eisen an Bord zu verringern, was dann auch weithin umgesetzt wurde. Er vermutete zudem auch – einer Vermutung Ampères folgend –, dass das Erdmagnetfeld von elektrischen Strömen im Erdinneren produziert wird. Dazu baute er 1824 einen Holzglobus, um den er einen Draht wand, durch den er einen elektrischen Strom leitete. Zwei Jahre zuvor hatte er die später nach ihm benannte Barlow-Scheibe, auch: »Barlow-Rad«, konstruiert; eine Erfindung, die man auch einen frühen Elektromotor nennen kann.

Im Jahr 1823 wurde Barlow Fellow der Royal Society und zwei Jahre später erhielt er die Copley-Medaille der Royal Society. Im Jahr 1827 begann er mit optischen Experimenten, zunächst mit dem Ziel, Achromaten mit Hilfe von flüssigen Linsen aus Schwefelkohlenstoff herzustellen. Dabei kam er auch darauf, vor das Okular eine konkave Linse einzusetzen, um die Vergrößerung zu steigern; diese so genannte Barlow-Linse zählt bis in die Gegenwart zum üblichen Teleskop-Zubehör.

Barlow gehörte zahlreichen Wissenschaftsakademien an. Er war Ehrenmitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften (1826), Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften und Schönen Künste von Belgien (1827), der französischen Académie des Sciences (1828) und der American Academy of Arts and Sciences (1832).

Gegen Ende seines Lebens beschäftigte sich Barlow dann mit der Effektivität und dem Energiefluss in dampfgetriebenen Schiffen und Lokomotiven; er schrieb eine Reihe von Aufsätzen, etwa über die Leistung, die Züge beim Überwinden der Trägheit brauchen und den Luftwiderstand bei der Bewegung schneller Eisenbahnen. Barlow arbeitete auch in Eisenbahn-Kommissionen mit. Barlows Söhne Peter William und William Henry wurden beide Ingenieure.

Peter Barlow (1776 – 1862) | Der Physiker ist heute am meisten für seine Vorsatzlinse zur Brennweiten-Verlängerung bekannt, die sich heute in Amateurkreisen großer Beliebtheit erfreut.

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