Herrschaft im Planquadrat
"Ihr habt das ganze Reich angefüllt mit Städten […], die in Glanz und Anmut erstrahlen", preist Aelius Aristides um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. die zivilisatorische Leistung der Römer. Was der aus Kleinasien stammende Redner zum Ausdruck brachte, ist unter Althistorikern längst vorherrschende Lehrmeinung: Die Stadt war jene Siedlungsform, auf der das Imperium Romanum seine Herrschaft gründete. Politischer und ideologischer Bezugspunkt der reichsweit mehr als 2000 Städte war die Kapitale am Tiber.
Paul Zanker, emeritierter Professor für Klassische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, gibt einen glänzenden Überblick über die spannungsreiche Geschichte der römischen Stadt – von der Republik bis in die hohe Kaiserzeit. Kenntnisreich und anschaulich schildert er, welche politischen, sozialen und wirtschaftlichen Einflüsse das damalige Stadtbild prägten, das noch heute vielerorts sichtbar ist.
Kästchenschema
Ein wichtiges Kennzeichen der römischen urbanen Siedlungen war, dass sie an Überlandstraßen lagen, die von Rom ausgingen. Zudem besaßen sie eine klare, nach einheitlichem Muster angelegte Struktur. Diese zeichnet sich durch eine streng symmetrische Straßenführung mit zwei Hauptachsen – "cardo" (Nord-Süd) und "decumanus" (Ost-West) – aus, die an einem zentralen Hauptplatz, dem Forum, zusammenliefen. Viele solcher schachbrettartig angelegten Siedlungen wurden seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. als "coloniae" von Rom aus gegründet. In ihrem Erscheinungsbild spiegelte sich gemäß dem lateinischen Schriftsteller Aulus Gellius (2. Jh. n. Chr.) die "Größe und Majestät des römischen Volkes". Dabei hatte Gellius, wie Zanker betont, aber nicht den Stadtplan Roms im Sinn, sondern die politische und ideologische Zugehörigkeit der "coloniae" zu Rom und zum Imperium Romanum.
Diese Zugehörigkeit kam in allen römischen Städten sehr konkret in den Bautypen zum Ausdruck, in denen sich das politische und wirtschaftliche Leben abspielte. Forum (zentraler Hauptplatz), Curia (Ratsgebäude), Comitium (Versammlungsplatz) und Basilica (profaner Vielzweckbau für Rechtsprechung, Wirtschaft und Bildung) waren genuin römische Architekturformen, die von Britannien bis nach Nordafrika in der ganzen westlichen Hälfte des Imperium Romanum nachgeahmt wurden. Diese Gebäudetypen bestimmten – zusammen mit den Tempeln zur Pflege des Götterkults – das Erscheinungsbild einer römischen Stadt. Im Lauf der Zeit kamen noch Unterhaltungs-, Freizeit- und Vergnügungsbauten hinzu, etwa Theater, Arenen und Thermen.
Zankers Analyse geht jedoch über die bloße Beschreibung der architektonischen Ausgestaltung römischer Städte hinaus. Der ehemalige Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom lenkt den Blick auch auf ideologisch geprägte Vorstellungen, die in der Struktur der neu gegründeten Städte zum Ausdruck kamen: Die die Stadt durchquerende Fernstraße etwa demonstrierte für alle sichtbar die Angliederung an ein großes Ganzes. Dasselbe galt für die zentrale Position der Kapitolstempel, die eine Verbindung zum höchsten römischen Staatsgott Jupiter Optimus Maximus herstellen sollten.
Bau mit und werde ein zivilisierter Mensch
Gleichzeitig diente die Stadt mit ihren kommunalen Nutz- und Vergnügungsbauten auch dazu, den unterworfenen Völkern die Annehmlichkeiten der römischen Zivilisation schmackhaft zu machen. Der römische Historiker Tacitus (um 55-115 n. Chr.) stellte urbane Siedlungen quasi als Werbeprogramm für die römische Kultur dar. Er beschreibt, wie Rom die einheimische Bevölkerung in den eroberten Territorien für sich gewann, indem es diese ermunterte, typisch römische Bauten zu errichten – Tempel, komfortable Wohnhäuser und öffentliche Plätze –, um sie an die römische Lebensart zu gewöhnen und zu "zivilisieren". Die Stadt wurde so zu einem Instrument der Romanisierung, bei der die unterworfenen Völker aus freien Stücken die eigene Kultur zugunsten jener der Besatzer aufgaben.
Als ausgewiesener Kenner versteht es Zanker sehr gut, Hintergründe und Auswirkungen der römischen Urbanisierungspolitik zu veranschaulichen und diese in einen größeren kulturhistorischen Kontext zu stellen. Sein brillant geschriebenes Buch empfiehlt sich als lohnende Lektüre für alle, die den Ursprüngen der städtischen Entwicklung in Europa auf den Grund gehen wollen.
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