Ein ewiges Rätsel
Das neue Buch des renommierten Neurowissenschaftlers Joseph LeDoux trägt den kurzen Titel »Bewusstsein«. Darin beschäftigt er sich mit der sehr spezifischen Frage, welche Rolle die Teile unseres Gehirns bei bestimmten Wahrnehmungen spielen. Dabei schlägt er einen großen Bogen vom Menschen zurück bis zum ersten Einzeller – und darüber hinaus zum Urknall und zum Entstehen der Erde.
Alles hängt zusammen
Denn alles ist miteinander verbunden und baut aufeinander auf: Die Funktionsweise unseres Bewusstseins lasse sich erst dann verstehen, wenn man sie in Beziehung zu ihrer Entwicklungsgeschichte im Millionen Jahre langen Prozess der Evolution setze. Wer die Wirkweisen von Computern verstehen will, schreibt LeDoux in der Einleitung, sollte auch nicht erst in den 1970er Jahren bei den frühen Apple- und Microsoft-Prozessoren einsteigen, sondern sich ebenso mit dem Rechenschieber auseinandersetzen.
Deshalb beginnt LeDoux auch in seinem Buch mit dem Anfang. Er erzählt, wie sich ein paar chemische Elemente zu immer komplexeren Verbindungen zusammengeschlossen haben, bis schließlich vor vier Milliarden Jahren das erste Lebewesen entstand. Es folgt die Entwicklungsgeschichte vom Einzeller zum Vielzeller, zu immer komplexeren Wesen, die schließlich Augen ausbilden und später eine Wirbelsäule. Das alles beschreibt der Autor ebenso dicht wie anschaulich. Die kurzen Kapitel über die Entwicklungsschritte des Lebens bauen zwar aufeinander auf, stehen aber trotzdem für sich und sind eine gute Möglichkeit, Wissen über die Uratmosphäre der Erde, Eukaryoten oder die kambrische Explosion aufzufrischen oder sich neu anzueignen.
Etwas komplizierter wird es, wenn LeDoux nach seinem Parforceritt durch die Evolution wieder beim Menschen und damit bei der Frage angekommen ist, was denn nun genau menschliches Bewusstsein ist und wie es sich von der Wahrnehmung anderer Tiere unterscheidet. Das Thema ist seit mehr als 40 Jahren der Kernbereich seiner Forschung. Hier kennt er jede ideengeschichtliche Pirouette und jede Nuancen-Verschiebung bei den prägenden Begrifflichkeiten aus dem Effeff. Laien schwirrt hier schnell mal der Kopf: Wovon waren noch mal die Behavioristen überzeugt, und wie unterscheiden sie sich von den Kognitivisten? Arbeitsgedächtnis, deliberative Kognition, präfrontaler Kortex – um im Dickicht der Begriffe und der Personen, die sie geprägt, weiterentwickelt und umgedeutet haben, nicht die Orientierung zu verlieren, wäre ein Glossar hilfreich.
Doch auch wenn man ein paar Vokabeln nachschlagen muss und nicht jede Wendung gleich versteht, ist »Bewusstsein« eine inspirierende Lektüre. Wie denken wir? Ist das Bewusstsein vielleicht nur die Spitze des Eisbergs, weil wie bei den anderen Tieren der Großteil unserer Handlungen unbewusst erfolgt? So detailliert und vielgestaltig sind einige der großen Fragen der Menschheit schon lange nicht mehr verhandelt worden.
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