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»Das Gehirn hat kein Geschlecht«: Gegen das binäre Korsett

Daphna Joel beschreibt, wie Erkenntnisse aus der Hirnforschung dem zweigeteilten Geschlechtersystem von Mann und Frau widersprechen. Eine spannende Mischung aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichem Diskurs.
Ist es ein weiblicher Mann oder eine männliche Frau oder keines von beidem? Nicht immer sind Geschlechter eindeutig definiert - weder im biologischen noch im gesellschaftlichen Sinn.

Daphna Joel ist Neurowissenschaftlerin an der Universität Tel Aviv. Gemeinsam mit der Wissenschaftsautorin Luba Vikhanski hat sie ein Buch darüber geschrieben, wie Erkenntnisse aus der Hirnforschung dem binären Geschlechtersystem widersprechen. Es ist ein Plädoyer gegen die strikte Einteilung von Menschen in Mann und Frau und eine Vision von einer geschlechtsneutralen Welt. Da steckt viel Erhellendes drin, mutet gegen Ende jedoch auch ein wenig weltfremd an.

Das Werk ist in vier Teile gegliedert. In den ersten beiden erzählt Joel anekdotenreich von ihrem »Erwachen«, welches sie beim Lesen einer eindrucksvollen Studie hatte: Forschende hatten festgestellt, dass bestimmte Hirnregionen unter Stress von männlich zu weiblich wechseln. Sie stellte sich die Frage: Gibt es so etwas wie ein typisch männliches oder weibliches Gehirn überhaupt? Die Autorin schildert ihre eigenen wissenschaftlichen Bemühungen, legt aber auch viele andere Befunde dar, die einer solchen Zweiteilung des menschlichen Gehirns widersprechen. Ob Multitasking oder räumliches Denkvermögen – vermeintliche Unterschiede in den kognitiven Leistungen hielten keiner eingehenden Prüfung stand. Zudem werde auf minimalen Abweichungen herumgeritten, während Gemeinsamkeiten unter den Teppich gekehrt würden. Joel selbst kam in ihren viel beachteten »Mosaik«-Studien zu dem Resultat, dass das Gehirn sich weder anatomisch noch funktionell großartig zwischen den Geschlechtern unterscheidet. Vielmehr weise jeder ein einzigartiges Potpourri »weiblicher« und »männlicher« Eigenschaften auf. Das biologische Geschlecht sei nur eine von vielen Variablen, die das Gehirn formen.

Die Forscherin vertritt die Meinung, dass die Unterschiede im männlichen und weiblichen Verhalten vor allem gesellschaftlich geprägt sind. Wie genau das aussieht, beschreibt sie in den beiden letzten Teilen und schließt mit einer Vision davon, wie eine geschlechtsneutrale Umgebung gestaltet werden könnte. Von dieser würden Frauen wie Männer profitieren. Sie liefert konkrete Vorschläge, wie man in der Familie und Schule eine Erziehung umsetzen kann, die es Kindern ermöglicht, sich frei zu entfalten. Denn schon männliche und weibliche Babys werden unterschiedlich behandelt: »Indem Kinder in die emotionalen Zwangsjacken ihres Geschlechts gesteckt werden, erziehen wir ohnmächtige Mädchen und behinderte Jungen.

Vieles, was Joel schildert, dürfte denjenigen, die sich mit der Materie eingehender beschäftigen, nicht neu sein. Das Buch ist jedoch eine spannende Mischung aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichem Diskurs. Der Schreibstil ist eingängig und humorvoll, auch wenn sie sich an einigen Stellen mantraartig wiederholt. Ihre Botschaft gegen Ende wirkt aus heutiger Sicht geradezu utopisch: »Ich habe eine Zukunft vor Augen, in der es keine Männer und Frauen gibt, sondern nur Menschen mit weiblichen, männlichen oder intersexuellen Genitalien.« Trotzdem ist die Kernbotschaft unterstützenswert: Feiert die Vielfalt und gebt jeder Person die Chance, ihren eigenen Weg zu gehen.

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